Schimmelige Keller, schläfrige Ämter und Räumungsklagen – Wie Hamburgs Abzock-Vermieter sich gegen das Ende ihrer Geschäftsmodelle wehren und die Behörden nur langsam in die Gänge kommen.
(aus Hinz&Kunzt 211/September 2010)
Das Timing ist wirklich bemerkenswert. Am 26. Juli 2010 erklärt die Sozialbehörde: „Mietwucher oder Betrug werden nicht geduldet.“ Man sei „Vorwürfen gegen Vermieter konsequent nachgegangen, die im Verdacht stehen, Wohnungen an Hilfeempfänger zu falschen Konditionen vermietet zu haben“.
Am gleichen Tag taucht Karl-Heinz Fister in der Hinz&Kunzt-Redaktion auf und berichtet von den Zuständen in der „Wohnung“, die er angemietet hat: drei halbherzig hergerichtete Zimmer im Keller eines Hauses in Wilhelmsburg. Der Fußboden: blanker Estrich. Tageslicht: Fehlanzeige. Moder und Schimmel: in fast jeder Ecke.
Vermieterin ist die Kuhlmann Grundstücks GmbH. Sie ist seit knapp einem Jahr für zweifelhafte Zustände in ihren Wohnungen bekannt. Seit Oktober 2009 berichtet Hinz&Kunzt über die unlauteren Methoden der Firma („System Kuhlmann“): Mal vermietet sie unbewohnbare Keller als Wohnungen, mal zeichnet sie Apartments im Mietvertrag als viel größer aus, als sie tatsächlich sind, und kassiert Mondmieten dafür. Die Bewohner: fast ausschließlich Hartz-IV-Empfänger, die sonst nirgendwo als Mieter genommen werden. Ihre Wohnkosten überweist die Behörde oft direkt aufs Vermieterkonto.
Auch Hinz&Künztler Karl-Heinz Fister hatte verzweifelt eine Bleibe gesucht und nach einer Besichtigung im Dämmerlicht den Mietvertrag für den Kuhlmannschen Keller unterschrieben. Schnell merkt er aber: „Hier kann ich nicht wohnen.“ Er kündigt den Vertrag fristlos und wendet sich an seinen Sachbearbeiter bei der Arge. Er brauche eine neue Wohnung.
Die Reaktion: „Der Sachbearbeiter sagte mir, ich solle schnell Kuhlmann anrufen und die Kündigung zurücknehmen.“ Fister weigert sich. Die Konsequenz: Die Behörde teilt ihm schriftlich mit, dass sie die Übernahme einer künftigen Miete nicht garantieren könne, da ein Umzug „nicht erforderlich ist“. Für den Schimmelbefall habe er keinen Beweis erbracht.
„Herr Fister hätte die Mängel zunächst beim Vermieter rügen müssen“, erklärt Tobias Beckmann, der von der Arge beauftragte Rechtsanwalt. Erst nachdem Hinz&Kunzt sich einschaltet, bekommt Karl-Heinz Fister die Zusage, dass die Behörde die Miete für eine neue Wohnung übernehmen will.
Frank Dzialoszynski hat einen Keller im Haus nebenan gemietet – weniger schimmelig, dafür noch dunkler. Alternativen hat der 50-Jährige nicht. Als er und seine Partnerin sich vor gut einem Jahr trennten, brauchte er dringend eine Wohnung. Bekommen hat er eine unterirdische Unterkunft. Dzialoszynski weiß, dass „man hier eigentlich nicht wohnen kann“. Dass die Räume kaum – wie im Vertrag angegeben – 50 Quadratmeter groß sind, ahnt er. Hinz&Kunzt misst knapp 40 Quadratmeter. Dafür überweist die Arge monatlich 510 Euro Warmmiete.
Ein halbes Jahr ist es her, dass die Hartz-IV-Behörde nach langem Zögern Strafanzeige gegen Kuhlmann gestellt hat wegen des Verdachts auf Betrug und Mietwucher. Die Staatsanwaltschaft ermittelt. Hinter den Kulissen verhandelte die Arge monatelang mit Kuhlmann über einen Vergleich – ergebnislos. Mitte August erklärt Arge-Anwalt Beckmann auf Nachfrage von Hinz&Kunzt, die Verhandlungen seien gescheitert. Schadenersatzklagen würden vorbereitet, allein für die Wohnungen am Roßberg (hier fing die Geschichte von Kuhlmanns Kellern an) verlange die Behörde „rund 60.000 Euro“ zurück. Bis Redaktionsschluss hat Thorsten Kuhlmann – entgegen Ankündigungen von Februar – keinen Cent zurückbezahlt. Fragen von Hinz&Kunzt ließ er unbeantwortet.
Gute Geschäfte haben auch R. und K. Dallmer-Zerbe jahrelang gemacht. Behörden zahlten ihnen beziehungsweise mit ihnen verbundenen Firmen zum Beispiel bis zu 400 Euro monatlich für teils heruntergekommene möblierte 14-Quadratmeter-Zimmer in einem Haus an der Ifflandstraße.
Doch als die Debatte über mutmaßlichen Mietwucher bei Hilfeempfängern entbrannte, entschloss sich zumindest die Arge zum Handeln: Sie senkte die Mietzahlungen im Juni auf 190 Euro ab. Eine Schadenersatzklage der Behörde über 200.000 Euro liegt bei Gericht, die Staatsanwaltschaft will den Verdacht auf Mietwucher vor Ort überprüfen.
Den Ärger haben die Mieter: Mehr als die Hälfte der rund 40 Bewohner des Hauses an der Ifflandstraße haben bis Redaktionsschluss eine Räumungsklage erhalten, wegen „Zahlungsverzuges“ und „Hinderung der angemessenen wirtschaft-lichen Verwertung des Grundstücks“. Wie aus einem Bauantrag hervorgeht, haben die Dallmer-Zerbes eine neue Geschäfsidee: Sie planen in der Ifflandstraße die „Erstellung von seniorengerechten Wohnungen“.
Immerhin: Der Mieterverein vertritt alle 27 Hartz-IV-Empfänger im Haus, die Mitgliedsbeiträge zahlt die Arge. Inwieweit sich das Bezirksamt um die Sozialhilfeempfänger kümmert, die in der Ifflandstraße leben, ist ungewiss. Die Dallmer-Zerbes möchten sich zu Fragen von Hinz&Kunzt „nicht äußern“, so ihr Rechtsanwalt.
Zurück zu Kuhlmann. Wir zeigen beim Bezirksamt Mitte die Keller an. Doch die Mitarbeiter können von ihren Schreibtischen aus nichts erkennen: Wohnungen seien laut Akten im Keller nicht vorgesehen, für die Untergeschosse sei niemand gemeldet. Tatsächlich fehlt in Karl-Heinz Fisters Mietvertrag eine Geschossangabe, in Dzialoszynskis steht frech „EG“ (Erdgeschoss). Auf Nachfragen erklärt das Bezirksamt, es habe Thorsten Kuhlmann persönlich mit den Vorwürfen konfrontiert. Der soll, so der Sprecher des Amts, gesagt haben: „Dort wohnt keiner mehr.“
Nun will wenigstens die Arge sich die Wilhelmsburger Keller ansehen. Fortsetzung folgt.
Text: Beatrice Blank, Ulrich Jonas
Foto: Mauricio Bustamante