Am 1. November startet das Winternotprogramm der Stadt. Sozialsenator Detlef Scheele betonte, keiner müsse auf der Straße schlafen und stellte den Erfrierungsschutz vor – mit weniger Plätzen als im vergangenen Jahr benötigt wurden.
Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) hat am Dienstag das Winternotprogramm der Stadt vorgestellt. 92 Plätze stehen in diesem Winter in Wohncontainern zur Verfügung. Den Hauptteil der insgesamt 252 zusätzlichen Schlafplätze für Obdachlose wird es – wie im vergangenen Jahr – in einem umgestalteten Bürogebäude in der Spaldingstraße geben.
160 Betten in Zweier- bis Sechserzimmern stehen dort ab Donnerstag in drei Stockwerken zur Verfügung. „Das ist ein guter Standort“, sagte Scheele. „Er ist fußläufig zu erreichen für alle, die in der Innenstadt Platte machen.“ Mit 160 Betten war das Winternotprogramm in der Spaldingstraße auch im vergangenen Winter gestartet, rasch wurde jedoch auf 230 Schlafplätze aufgestockt. Das Angebot war ab Ende Januar 2012 mit bis zu 284 Personen fast täglich mehr als voll belegt. „Keiner kann davon ausgehen, dass sich die Situation in diesem Jahr verbessert“, sagt dazu Katharina Fegebank, sozialpolitische Sprecherin der Grünen. „Es ist nicht zu verantworten, dass der Senat nur 252 Plätze – also rund 110 weniger als im Vorjahr – bereitstellt.“
Welche weitergehenden Pläne die Behörde hat, sollte die Platzzahl im Winternotprogramm nicht ausreichen – was nach den Erfahrungen des vergangenen Jahres zu erwarten ist –, wollte Scheele am Dienstag nicht sagen. Aber: „Wir sind in der Lage zu handeln“, versprach der Senator. Senator Scheele hatte Hinz&Kunzt im Vorfeld mitgeteilt, er würde bei Engpässen die Platzzahl in der Spaldingstraße aufstocken und gegebenenfalls ein weiteres Gebäude für Obdachlose öffnen. Die Linke kritisiert, der Senat setze „einmal mehr auf das alljährliche Hin und Her beim Winternotprogramm“. Die sozialpolitische Sprecherin der Linken Cansu Özdemir sagte: „Wir fordern weiterhin den systematischen Ausbau von Übernachtungs- und Hilfsangeboten, die sich an den Bedürfnissen der Menschen orientieren und ihnen neben kurzfristiger Unterstützung auch langfristige Perspektiven eröffnen.“
„Das Winternotprogramm ist kein Zuwanderungsprogramm“
Senator Scheele betonte, dass sich das Winternotprogramm an „obdachlose Menschen gleich welcher Herkunft“ richtet, die „in Hamburg obdachlos sind“. Im Vorfeld gab es Gerüchte, laut denen Osteuropäer im Winternotprogramm unerwünscht seien. Das Winternotprogramm sei allerdings kein Zuwanderungsprogramm, sagte Scheele am Dienstag. Die Anlaufstelle für EU-Bürger hatte im vergangenen Jahr osteuropäische Obdachlose in der Spaldingstraße beraten. Im April war sie ins Gewerkschaftshaus Besenbinderhof umgezogen. Dort bleibt sie nun auch für die Dauer des Winternotprogramms.
Mit der räumlichen Trennung von Unterbringung und Beratung will Senator Scheele deutlich machen, dass es „kein All-inclusive-Angebot“ gäbe. Osteuropäischen Zuwanderern solle vorrangig die Beratungsstelle helfen. Es sei äußerst wichtig, so Scheele, „dass osteuropäische Obdachlose, die in der Regel über skrupellose Schlepper mit falschen Versprechungen nach Hamburg gelockt werden, umfassend darüber beraten werden, welche Lebensperspektiven sie im sozialen Hilfesystem ihrer jeweiligen Heimatländer haben“. Nichtsdestotrotz gilt, wie Scheele mehrfach sagte: „In diesem Winter wird keiner auf der Straße schlafen müssen.“
Die Sorge der Anwohner: Das Winternotprogramm läuft aus dem Ruder
Schon vor Beginn des Winternotprogramms sorgen sich die Anwohner der Spaldingstraße über den Verlauf. Die Stadtteilinitiative Münzviertel stellt klar, dass die Anwohner die Einrichtung in ihrem Quartier akzeptieren: „Jeder Mensch, der in Hamburg obdachlos wird, muss vor dem Erfrieren geschützt werden, egal woher er kommt und wie lange er in Hamburg bleibt.“
Die Anwohner befürchten allerdings, „dass die 160 Schlafplätze wiederum nicht für das Winternotprogramm ausreichen und die Sozialbehörde gezwungen sein wird, die 160 Plätze auf mindestens 230 aufzustocken“. Dabei seien schon 160 Plätze für das Viertel und seine Bewohner nicht zu verkraften, zumal auch die naheliegende Tagesaufenthaltsstätte Herz As bis zu 160 Besucher täglich habe. Die Mitarbeiter des Herz As klagen ebenso über Überlastung und mussten bereits im vergangenen Jahr Hilfesuchende abweisen. „Die Tages-Anlaufstellen brauchen mehr bessere Öffnungszeiten und Ausstattung“, fordert auch Katharina Fegebank (Grüne): „Senator Scheele vergisst, dass Menschen bei hartem Frost auch tagsüber erfrieren können.“
Die Stadtteilinitiative Münzviertel fordert, die Platzzahl in der Spaldingstraße auf 100 zu begrenzen und einen zweiten Standort an anderer Stelle zu eröffnen. Es fehle außerdem „eine minimale soziale Komponente“, um „negative Folgeerscheinungen wie Müll, Fäkalien, Lärm und körperliche Aggressivitäten untereinander und gegenüber den Quartiersbewohnern in Grenzen zu halten“. Die Anwohner fordern wegen des im Gebäude geltenden Alkoholverbots einen Regenunterstand und einen rund um die Uhr geöffneten Aufenthaltsraum für die Bewohner. Eine Sprecherin der Sozialbehörde sagt dazu: „Wir sind auf fachlicher Ebene mit dem Münzbeirat und den Anwohnern kontinuierlich im Gespräch. Uns liegt an einem ehrlichem Umgang miteinander. Wir nehmen entsprechende Anregungen ernst und besprechen diese gemeinsam.“ Auf die Forderungen sei die Behörde bereits schriftlich detailliert eingegangen. „Wir haben dem Quartiersbeirat mitgeteilt, dass wir die Platzzahl von 160 auf 100 Übernachtungsplätze in der Spaldingstraße nicht reduzieren können, weil wir diese Plätze für die Obdachlosen im Rahmen des Winternotprogramms in jedem Fall brauchen werden.“
Dossier: Wohnungsnotstadt Hamburg
Text: Beatrice Blank
Fotos: Beatrice Blank, Mauricio Bustamante