Die Jobcenter werden immer digitaler. Das bedeutet: Wer den Computer nicht beherrscht, ist schnell raus. Kann das „Café Digital“ helfen? Ein Besuch vor Ort.
Ich muss es schaffen.“ Hinz&Kunzt- Verkäufer Ferenc* wischt sich den Schweiß von der Stirn. „Sonst kommt vielleicht wieder Straße.“ Konzentriert versucht der 45-jährige Ex-Obdachlose seinen Laptop zu entsperren. „Wie geht dieses Ausrufezeichen noch mal?“ Angespannt tippt er auf die Tastatur. Der gebürtige Ungar sitzt im Café Digital am Glockengießerwall. Hier will das Jobcenter Hilfesuchenden beibringen, ihre Anliegen nicht mehr am Telefon, persönlich oder per Post vorzutragen, sondern digital. So würden die Menschen Zeit, Wege und Porto sparen, sagt eine Sprecherin.
Ferenc muss bald sein Bürgergeld neu beantragen. Einen Computer hat er nie bedient oder gar besessen – wie viele obdach- oder wohnungslose Menschen. Im Hinz&Kunzt-Haus linste er manchmal anderen Verkäufer:innen über die Schulter, wenn die am Bildschirm saßen. So habe er das Internet kennengelernt. „Die haben mir dieses Google erklärt, das kann ich jetzt ein bisschen“, sagt er stolz. Aber: „Es ist sehr schwer, dieses ‚Online‘.“
Anfang November 2024 stand Ferenc zum ersten Mal im Café Digital. Bekannte hatten ihm von dem Angebot erzählt. „Als er hier ankam, konnte er nicht auf einer Tastatur schreiben“, erinnert sich Sozialpädagogin Beatrice Börner, die im Café arbeitet. „Ich komme jetzt immer, wenn es geht, und lerne, lerne, lerne“, sagt Ferenc entschlossen. Stolz verkündet er seinen ersten Fortschritt: „Ich habe jetzt eine E-Mail.“
Seit ein paar Wochen hat Ferenc auch in seiner Wohnung Internet. Und er hat sich einen gebrauchten Laptop gekauft. „Das ist teuer“, sagt er. „Aber muss.“
An diesem Vormittag Mitte November ist viel los im Café Digital. Auf den Sofas und an den Tischen sitzen rund 20 Menschen, die Köpfe tief über Laptops und Notizen gebeugt. Über der Kaffeemaschine, an der Lernende sich austauschen, hängt ein Bildschirm, der den Kursplan zeigt: PC-Grundlagen, Online-Bewerbung, Suchmaschinen und – Jobcenter.digital. An Letzterem möchte Ferenc heute teilnehmen. „Ich brauche Kontakt zum Jobcenter“, erklärt er.
In einem Raum im hinteren Bereich des Cafés sitzen zwölf Kursteilnehmer:innen vor ihren Laptops und Handys. „Unser Thema heute: Wie kommuniziere ich mit dem Jobcenter?“, erklärt Sozialpädagogin Börner. „Die sind schwer erreichbar“, sagt eine Teilnehmerin. Viele der Anwesenden nicken. Auch Hinz&Kunzt-Verkäufer:innen berichten von diesem Problem. Deshalb sind sie immer häufiger auf die Hilfe von Sozialarbeitenden angewiesen. Börner ist aber zuversichtlich. „Wir hier sind Lotsen in die digitale Welt“, sagt sie. „Wir helfen Ihnen.“
Fast die ganze Stunde lang versuchen die Kursleiterin und ihr Kollege den Teilnehmer:innen zu zeigen, wie sie über die Internetseite des Jobcenters einen Termin bei der Sozialberatung buchen können, um ihre Anliegen persönlich vorzutragen. Das Aufatmen im Raum ist deutlich hörbar, als es die ersten geschafft haben. „Es beruhigt mich sehr, dass das geht“, sagt eine Teilnehmerin.
Ferenc hat noch ein anderes Problem: Er muss sich ein Benutzerkonto auf der Internetseite Jobcenter.digital anlegen. Denn dort muss er seine Dokumente hochladen. Der technische Betreuer kommt zu ihm und hilft. „Als Erstes brauchst du deine Mail-Adresse“, sagt er. „Die habe ich!“ Aufgeregt kramt Ferenc in seinen Notizen.
Café Digital
Schon früher war der Zugang zum Jobcenter für Ferenc voller Hürden: „Für Menschen mit Sprachbarrieren ist es unglaublich schwer, Anträge auszufüllen und die richtigen Dokumente einzureichen“, sagt Hinz&Kunzt-Sozialarbeiterin Isabel Kohler. Bis vor Kurzem hat deshalb sie Ferenc’ Dokumente von ihrer Mail-Adresse ans Jobcenter geschickt. Doch im November hat das Amt diese Art der Kommunikation abgeschafft – wegen „datenschutzrechtlicher Bestimmungen“.
Ferenc könnte seine Unterlagen auch in den Briefkasten des Jobcenters werfen. Doch eine Eingangsbestätigung würde er dann nicht bekommen. Die aber sei wichtig, sagt Kohler. Immer wieder würden im Amt Briefe verloren gehen – ein Vorwurf, den das Jobcenter zurückweist und von „Einzelfällen“ spricht.
„Ganz ehrlich“, sagt Ferenc später, als er aus dem Kursraum stapft, „ich glaube, ich schaffe das nie.“ Und trotzdem: Morgen möchte er wiederkommen und „lernen, lernen, lernen“.