Popstars, Politiker, ja sogar Rugby-Spieler outeten sich in den vergangenen Jahren. Einen aktiven, schwulen Profifußballer aber gibt es bisher nicht. Mit einem Video setzt Kettcar-Sänger Marcus Wiebusch jetzt ein klares Zeichen gegen Homophobie.
(aus Hinz&Kunzt 260/Oktober 2014)
„Angefangen hat es, als ich nach einem Spiel mit einem befreundeten Sportjournalisten ins Gespräch kam“, erinnert sich Kettcar-Sänger Marcus Wiebusch. „Der erzählte mir von mehreren homosexuellen Profis und welch ein Höllenleben die führen.“ Das ließ den 46-Jährigen nicht mehr los. Auch weil sein Bruder, der mit in seiner Band spielt, homosexuell ist. Gemeinsam pilgern sie seit einem Vierteljahrhundert ans Millerntor zum FC St. Pauli – dorthin, wo eine antifaschistische Grundhaltung zum guten Ton gehört, wo homophobe Sprüche verpönt sind und wo seit dem Sommer 2013 die Regenbogenfahne das Stadiondach schmückt.
Überhaupt habe sich die Gesellschaft doch sehr gewandelt: „Hättest du dir vor zehn Jahren vorstellen können, dass wir mal einen schwulen Außenminister haben?“, fragt Wiebusch. Nur im Fußball sei das immer noch nicht möglich. „Das will mir irgendwie nicht in den Kopf.“
Und so geht er mit seinem neuen Musikvideo „Der Tag wird kommen“ in die Offensive. Den Song gab es schon: „Aber Bilder haben mehr Kraft“, weiß Wiebusch, der einräumt, von der Video-Umsetzung besessen gewesen zu sein. „Wir sind nach Augsburg ins Stadion gefahren, nur für eine Vier-Sekunden-Szene mit Fans. Ich bin da finanzielle Risiken eingegangen.“ Erst eine Crowdfunding-Kampagne deckte die Kosten. Inzwischen kann Wiebusch über solche Momente wieder lachen.
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Der Erfolg gibt ihm recht. Innerhalb einer Woche knackte „Der Tag wird kommen“ im September bei Youtube die Halbe-Millionen-Marke. Und das, obwohl der Song mit seinen sieben Minuten für Radiosender eigentlich viel zu lang ist. „Ich wollte die Geschichte in all ihren Facetten erzählen“, erklärt Wiebusch. Und dazu gehört, dass Veränderungen möglich sind. „1905 haben noch ernsthaft Menschen gesagt, Frauen dürfen niemals wählen. 1957 haben ernsthaft Leute im Süden der USA gesagt, Schwarze und Weiße dürfen nicht zusammen zur Schule gehen.“ Immer wieder sei es gelungen, Fortschritte zu erkämpfen.
Ein Baustein für solch einen Wandel war im Frühjahr das Outing des ehemaligen Nationalspielers Thomas Hitzlsperger. Für aktive Fußballer habe sich leider wenig verändert, meint Wiebusch. Wobei er klarstellt: „Mein Song ist keine Aufforderung an Profis zum Outing“, so Wiebusch. „Ich will das Klima verändern, damit überhaupt mal die Möglichkeit zum Outing besteht.“
Gerade in den Fankurven gäbe es positive Entwicklungen. In den vergangenen Monaten protestierten zahlreiche Fangruppen mit Choreografien in den Stadien gegen Homophobie. „Das war früher unvorstellbar“, so Wiebusch. „Es passiert was. Und irgendwann werden wir über diese Zeit lachen und sagen: ‚Weißt du noch 2014, da hatten wir einfach keinen schwulen Profi. Kannste dir das vorstellen?‘“
Dem Fußball komme eine ungeheure sportpolitische Bedeutung zu. „Stell dir vor, am Tag nach dem Gewinn der Weltmeisterschaft stellen sich drei Spieler hin und sagen: ‚Hey, wir sind Weltmeister und schwul sind wir auch‘. Was dann auf den Schulhöfen dieses Landes los wäre, wo ‚schwul‘ immer noch das Schimpfwort ist“, träumt Wiebusch.
Text: Jonas Füllner
Foto: Andreas Hornoff