Wie man auf einen Schlag Geld sparen und Straftäter resozialisieren kann
(aus Hinz&Kunzt 124/Juni 2003)
In der Tagespflege Poppenbüttel ist alles tipptopp in Schuss. Dafür sorgt Hausmeister Aarao Teixeira. „Der Mann sieht die Arbeit, dem muss man sie nicht hinterhertragen“, sagt sein Chef, Ekkehard Janas, über den Portugiesen. Als Janas merkte, dass der 45-Jährige „goldene Hände hat“, stellte er ihn vom Fleck weg ein. Ein Glücksfall für beide, aber vor allem für Teixeira. Der hatte bis dahin in der Poppenbütteler Einrichtung für Demente gemeinnützige Arbeit geleistet, weil er eine Geldstrafe nicht bezahlen konnte.
„Ich war gerade am Tiefpunkt meines Lebens angekommen und wusste nicht mehr, wie es weitergehen sollte“, sagt er über die Zeit, „die glücklicherweise hinter mir liegt“. Teixeira gehört zu den Menschen, die im vergangenen Jahr kleinere Delikte begingen wie Ladendiebstahl oder Schwarzfahren. Solche Straftäter werden meist nicht zu einer Haftstrafe verdonnert, sondern sollen bezahlen. Und das ist im Prinzip auch gut so. Aber viele Täter haben das Geld nicht – und landen dann doch im Knast. Das bringt kein Geld ins Stadtsäckel, sondern kostet obendrein: mindestens 90 Euro pro Tag. Ganz zu schweigen davon, dass die Gefängnisse sowieso überfüllt sind.
Wesentlich sinnvoller ist es deshalb, dass die Täter schwitzen statt sitzen. Und das tun sie seit Jahren und immer häufiger. Im Jahr 2001 arbeiteten Straftäter 20.540 Hafttage ab, im Jahr 2002 sogar 22.340. So wanderten 820 Menschen, die ihre Geldstrafe nicht bezahlen konnten, nicht in den (teuren) Knast, sondern leisteten gemeinnützige Arbeit. „Dadurch hat Hamburg zwei Millionen Euro eingespart“, sagt Justizsenator Roger Kusch (CDU). Gleichzeitig biete diese Sanktion die Möglichkeit, „sich wieder in die Gesellschaft zu integrieren.“
Genau das hat Aarao Teixeira geschafft. Der 45 Jahre alte gelernte Präparator hatte vergangenes Jahr eine regelrechte Pechsträhne. Alles fing damit an, dass er seinen alten Betrieb verkaufen und zusammen mit seiner Familie ein Café eröffnen wollte. Doch der Käufer zahlte nicht, und Teixeira hatte nicht das Geld, um das Café zu bezahlen oder gar zu eröffnen. Der Traum vom Familienbetrieb platzte wenige Wochen später sowieso: Seine Frau trennte sich von ihm.
„Mir wuchs alles über den Kopf“, sagt Aarao Teixeira. „Fast hätte ich alles hingeschmissen.“ Seine Briefe aufzumachen, das traute sichTeixera schon lange nicht mehr. „Ich hatte immer Angst, das da nur neue Rechnungen drin sind, die ich nicht bezahlen kann.“ Aber es kam noch dicker: Aarao Teixeira fuhr bei Rot über eine Ampel – und da er seine Post nicht mehr öffnete, bemerkte er erst spät, zu spät, dass er eine Geldstrafe bezahlen sollte. Weil er wochenlang nicht reagierte, wurde er per Haftbefehl gesucht. Sein Schwager überzeugte ihn davon, dass er nicht weiter vor der Situation davonlaufen dürfe. „Also ging ich mit einem Köfferchen zur Polizei und stellte mich.“
Und dann fuhr er noch bei Rot über eine Ampel
Teixeira hatte Glück im Unglück. Er bekam noch eine Chance: Statt ihn in den Knast zu schicken, erzählte der Staatsanwalt ihm von der Möglichkeit, gemeinnützige Arbeit zu leisten. Richtig glücklich war der gebürtige Portugiese, dass er sogar unter mehreren Einrichtungen wählen konnte. Er entschied sich für die Tagespflege Poppenbüttel. „Ich hatte das Gefühl, dass die mich brauchen können“, sagte Teixeira. Inzwischen fühlt er sich dort so wohl, „dass ich am liebsten von hier aus in Rente gehen würde“.
Übrigens ist das in der Tagespflege Poppenbüttel schon der zweite Fall, in dem gemeinnützige Arbeit statt Knast in eine Festanstellung mündete. Und das, obwohl Tagespflege-Leiter Janas keinen Schmusekurs fährt: „Wer nicht mitarbeitet oder nicht reinpasst, ist auch schnell wieder draußen.“
So ein Happy End wie bei Teixeira ist natürlich selten. Aber auch die kleinen Erfolge sind es wert, lieber zu schwitzen als zu sitzen. „Viele Langzeitarbeitslose kommen völlig geduckt hier an“, sagt Halka Voss, in der Justizbehörde mit zuständig für die Vermittlung von gemeinnütziger Arbeit, „und wenn sie wieder gehen, sind sie zehn Zentimeter größer, weil sie etwas erreicht haben.“ Die gemeinnützige Arbeit habe für einige „regelrecht eine therapeutische Wirkung“.
Keine Frage: Die Hamburger Zahlen sind gut, aber es könnte noch besser sein. Denn bisher werden die zahlungsunwilligen oder -unfähigen Täter erst angeschrieben, wenn ihre Zahlung nicht erfolgt ist. Angeschrieben, wohlgemerkt. Hätte der Staatsanwalt Aarao Teixeira nicht von der gemeinnützigen Arbeit erzählt, wäre er nie in der Tagespflege, sondern doch hinter Gittern gelandet. Und so ergeht es einer ganzen Reihe von Menschen. Denn die meisten Nicht-Zahler haben oft massive Probleme, ihr Leben auf die Reihe zu bekommen – und dazu gehört oft, dass sie aus Angst ihre Post gar nicht lesen.
Gesetz zur gemeinnützigen Arbeit lässt auf sich warten.
Die ehemalige Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin SPD) brachte unter anderem deshalb einen Gesetzesentwurf auf den Weg, um gemeinnützige Arbeit alternativ zur Geldstrafe als eigenständige Sanktion zu verhängen. Ob rechts oder links – die meisten Justizminister unterstützten sie darin. Dass man von dem Entwurf momentan wenig hört, liegt daran, dass er in der vergangenen Legislaturperiode nicht über die erste Lesung im Bundesrat hinauskam. Aus formalen Gründen muss das Gesetz jetzt neu eingebracht werden.
So bleibt es bislang dabei, dass der Richter bei der Verurteilung den Delinquenten auf die Möglichkeit zur gemeinnützigen Arbeit nur hinweist. Nur wirklich fitte Leute schaffen es, sich in der Justizbehörde direkt bei der Abteilung Soziale Dienste zu melden, die die gemeinnützige Arbeit vermittelt.
Vielleicht wissen noch zu wenige, dass sie dort nicht nur Strafe, sondern auch Hilfe erwartet. Denn die Sozialarbeiterinnen versuchen zumindest, in Notfällen an soziale Einrichtungen und Beratungsstellen weiterzuvermitteln. Und was die gemeinnützige Arbeit anbelangt, haben die Mitarbeiterinnen einen großen Ehrgeiz: „Wir achten darauf, dass jeder dahin kommt, wo er seinen Fähigkeiten und Interessen gemäß am meisten gebraucht wird“, sagt Sozialarbeiterin Halka Voss.
Das müsste eigentlich auch klappen. Immerhin kann man in Hamburg in 400 sozialen, kirchlichen oder staatlichen Einrichtungen mitarbeiten. Und vielleicht geht es dem einen oder anderen ja so wie Aarao Teixeira: „Meine Probleme sind natürlich noch nicht alle gelöst“, sagt der Hausmeister. „Aber ich habe wieder Halt und Zuversicht gewonnen. Ich werde es jetzt schon schaffen.“