Aldona Kucharczuk von der Hamburger Servicestelle Arbeitnehmerfreizügigkeit hat für manche ausgebeutete Erntehelfer:innen schon Tausende Euros erstritten.
Hinz&Kunzt: Frau Kucharczuk, Sie befassen sich seit Langem mit den Arbeitsbedingungen von Saisonbeschäftigten. Warum kommen die Menschen in Ihre Beratung?
Aldona Kucharczuk: Die Menschen finden uns oft erst dann, wenn sie ein Problem haben, etwa nach einem Unfall. Krankenhäuser, andere Beratungsstellen, Zoll, Polizei und auch Konsulate schicken sie zu uns – die meisten Saisonarbeitskräfte kommen ja aus Ländern wie Polen, Bulgarien oder Rumänien. Manchmal stellt sich heraus, dass die Betroffenen nicht krankenversichert waren oder nur ungenügend. Da geht es meist um die Frage, wer die Behandlungskosten bezahlt.
Und dann?
Hilft oft nur der Rechtsstreit. Einer jungen Mutter aus Polen haben wir so helfen können. Sie lag nach einem schweren Arbeitsunfall anderthalb Monate im künstlichen Koma und musste dann zwei Jahre in die Reha. Zwar hat die Berufsgenossenschaft alle Kosten übernommen. Aber die Frau wird bis zum Ende ihres Lebens mit gesundheitlichen Schäden leben müssen. Immerhin hat sie hier später eine Wohnung gefunden, Deutschkurse besucht und ihre Berufsausbildung anerkannt bekommen. Heute arbeitet sie Teilzeit, ihr Sohn geht zur Schule, und die beiden führen ein normales Leben.
Müssen landwirtschaftliche Betriebe ihre Saisonkräfte nicht krankenversichern wie andere Beschäftigte auch?
Doch. Sie haben allerdings die Möglichkeit, preiswerte Gruppenversicherungen für sie abzuschließen, die nicht alle Risiken und Kosten abdecken. Diese Sonderregel müsste abgeschafft werden.
Ihre Kolleginnen und Sie fahren auch auf Plantagen und Felder oder stellen sich vor Supermärkte, um die Menschen über ihre Rechte zu informieren.
Oft hören wir dann nur, dass alles in bester Ordnung sei. Viele kommen seit Jahren zur Ernte, haben teils freundschaftliche Verbindungen zu den Bauern. Schwieriger ist es für die, die neu hierherkommen. Die werden mitunter von Landsleuten über Anzeigen in sozialen Netzwerken angeworben, zahlen dafür „Vermittlungsgebühren“, bekommen in den schlimmsten Fällen keinen Lohn und wissen nichts oder nur wenig über ihre Rechte. Andere arbeiten seit Jahren mehr oder weniger ununterbrochen für einen Betrieb, bekommen aber nur kurzfristige Verträge als Saisonarbeitskräfte – ein eindeutiger Gesetzesverstoß.
Müssten die Menschen sich nicht im Vorfeld besser informieren?
Das auf jeden Fall. Oft werden jedoch gezielt gerade diejenigen angeworben, die wenig Wissen haben und sich schlecht wehren können – aber dringend Geld verdienen müssen. Sie sind dann der Ausbeutung ausgeliefert. Viele Saisonbeschäftigte sprechen nicht mal ein paar Brocken Deutsch, wenn sie das erste Mal zur Ernte kommen. Da braucht es mehr Aufklärung, unbedingt auch in den Herkunftsländern.
Stoßen Sie auf überbelegte Unterkünfte?
Solche Fälle hatten wir nicht. Meist handelt es sich bei den Arbeitgebern um kleine Betriebe, die ausreichend Platz haben. Probleme entstehen jedoch, wenn zwei Menschen, die sich nicht kennen, ein Zimmer teilen müssen. Eine Frau, die wir beraten haben, wurde so Opfer eines sexuellen Übergriffs. Das Unglaubliche war: Nicht der gewalttätige Arbeiter wurde daraufhin entlassen, sondern die Frau. Sie war allerdings mutig und hat Strafanzeige bei der Polizei gestellt. Und den Arbeitslohn, der ihr zustand, haben wir für sie erstritten.
Auch für Saisonarbeitskräfte gilt der allgemeine Mindestlohn in Höhe von 12,41 Euro die Stunde. Wird der immer bezahlt?
Nein. Manche arbeiten zehn Stunden am Tag, bekommen aber nur acht abgerechnet. Und die meisten wissen gar nicht, dass ihnen bezahlter Urlaub oder Lohnfortzahlung im Krankheitsfall zustehen. Schlimmstenfalls bekommen sie nur einen Bruchteil des Geldes, vor allem, wenn organisierte „Vermittler“ ihre Finger im Spiel haben.
Welche Erfolgsaussichten haben Klagen vor dem Arbeitsgericht?
Sehr gute. Die Ratsuchenden können auch ohne Lohnabrechnungen und Arbeitsvertrag vor Gericht ziehen, wenn Saisonarbeitskräfte sich ihre Arbeitszeiten notiert haben oder es Kollegen gibt, die diese bezeugen können. Am Ende bekommen die Menschen teils Tausende Euro vorenthaltenen Lohn nachbezahlt. Nicht dokumentierte Beschäftigung wird als sozialversicherungspflichtig anerkannt, und die Menschen erwerben Ansprüche auf Arbeitslosen- oder Rentenversicherung.
Wenn ich beim Biobauern einkaufe: Kann ich da sicher sein, dass alles in Ordnung ist?
Leider nein.
Was kann ich als Verbraucher:in tun, um für gute Arbeitsbedingungen zu sorgen?
Sie können regional einkaufen und den Bauern Ihres Vertrauens fragen, wie er es mit seinen Saisonarbeitskräften hält. Wenn er das Thema schnell wechselt oder die Leute versteckt, ist das kein gutes Zeichen.