Vom 17. bis 21. Juni findet auf dem Heiligengeistfeld die Homeless Europameisterschaft im Straßenfußball statt, mit acht Teams aus ganz Europa. Die Hamburgerin Bianca Koch spielt für das deutsche Team – als einzige Frau.
Bianca Koch erinnert sich gut daran, wie ihre Mutter ihr die Pistole auf die Brust setzte: „Als ich sechs Jahre alt war, musste ich mich entscheiden: Ballett oder Fußball. Für mich klar, ich hab es geliebt, mit Jungs zu kicken. In den Nullerjahren war das noch härter, heute sind da so viele …“, sie zögert, „… Flachpfeifen dabei, die ständig Schwalben machen. Frauenfußball ist besser. Männer jammern sofort, wenn sie einmal gefoult werden.“
Bianca tritt souverän auf: fester Händedruck, klare Meinungen.
Das Selbstbewusstsein der 28-jährigen Hamburgerin kommt nicht von ungefähr. Zeitweilig hat sie auf der Straße gelebt, heute hat sie wieder Job und Wohnung. Und im vergangenen Jahr hat sie im kalifornischen Sacramento für Deutschland gespielt. Beim internationalen Homeless World Cup belegte die Auswahl deutscher Spieler:innen mit Obdachlosigkeitserfahrung zwar nur einen der hinteren Ränge. Aber für Bianca war schon die Teilnahme ein Erfolg: „Da war das Gefühl: endlich auch mal Glück haben! Wenn man so viel Scheiße gefressen hat, und dann so einen Moment erlebt!“
Bianca, pinke Haare, Tattoos am ganzen Körper, spricht oft in der dritten Person von sich selbst, als wolle sie sich ein Stück weit von ihren Erfahrungen distanzieren. Vom Vater spricht sie nur als dem „Erzeuger“, die Mutter habe mit Depressionen gekämpft. Bianca erlebt als Teenager Mobbing, erleidet körperliche und sexuelle Gewalt. „Irgendwann habe ich selbst zurückgeschlagen. Mit 18 bin ich ausgezogen, habe Substanzen ausprobiert, mal hier, mal dort geschlafen. Das war eine harte Zeit, bestimmt fünf Jahre lang.“
Das Hamburger Projekt „Rue 66“, das Eingliederungshilfe für Wohnungslose leistet, bringt Bianca wieder in die Spur. Dort wird Johan Graßhoff auf sie aufmerksam. Der Sozialarbeiter trainiert als Bundestrainer die deutschen Straßenfußballer:innen. „Mir hat ihr Spiel gleich gefallen“, erinnert sich Graßhoff. „Sie ist selbstbewusst aufgetreten, hat einen guten Überblick. Sie ist für ihr Alter sehr reif, ist reflektiert und kennt ihre Grenzen.“
Graßhoff nimmt die inzwischen beim Eimsbütteler TV trainierende Bianca Koch mit zum World Cup – und hat sie nun auch für die Europameisterschaft nominiert. Vom 17. bis 21. Juni findet auf einem eigens errichteten Platz auf dem Heiligengeistfeld die Homeless Euro statt. Die Teams reisen mit Betreuer:innen aus Litauen, Italien, Rumänien, Belgien, Schweden, Polen und Ungarn an. Es gibt ein Rahmenprogramm mit Radtour und Hafenrundfahrt, abends einen Fußballfilmabend und am letzten Tag eine Abschiedsparty.
Die Regeln beim Spiel vier gegen vier sind anders als beim üblichen Fußball, auch Elemente aus Handball und Eishockey sind vorhanden. „Es werden viele Tore fallen“, verspricht Johan Graßhoff, „es geht nicht nur darum, Fußball spielen zu können. Wer nicht topfit ist, aber das Spiel verstanden hat, kann auch zum Erfolg beitragen.“
Die sieben Teams werden größtenteils von hauptamtlichen Trainer:innen betreut – anders als die deutsche Mannschaft, die Graßhoff ehrenamtlich neben seinem Beruf als Diakonie-Straßensozialarbeiter trainiert.
Ironie, dass ausgerechnet die Hamburger Innenbehörde, der von Hinz&Kunzt immer wieder vorgeworfen wird, obdachlose Menschen aus der Innenstadt zu vertreiben, das Team und das Turnier finanziell unterstützt? Johan Graßhoff spricht von „unvermeidbaren Abhängigkeiten“ – und setzt Hoffnungen auf den Deutschen Fußball Bund (DFB). Der Verband hat das deutsche Homeless-Team bislang nicht finanziell unterstützt, „aber wir hoffen, da jetzt einen Fuß in die Tür zu bekommen.“
Die Frau, die bei der WM 2023 beste Torschützin des deutschen Teams war, freut sich einfach auf das Turnier. „Ich kann mich nur auf den Fußball konzentrieren und vergesse meine Sorgen“, sagt Bianca Koch. „Ich bin frei. Das macht glücklich! Ich habe mein Leben 1000-fach umgedreht und es in den Griff bekommen. Darauf bin ich stolz. Und beim Fußball bleibe ich dran, ohne könnte ich gar nicht mehr. Wenn es geht, spiele ich noch mit 80.“