Forscher über Einsamkeit

„Wer einsam ist, stirbt früher“

André Hajek ist Professor am Institut für Gesundheitsökonomie und Versorgungsforschung (IGV) am Universitätsklinikum Hamburg- Eppendorf. Foto: UKE
André Hajek ist Professor am Institut für Gesundheitsökonomie und Versorgungsforschung (IGV) am Universitätsklinikum Hamburg- Eppendorf. Foto: UKE
André Hajek ist Professor am Institut für Gesundheitsökonomie und Versorgungsforschung (IGV) am Universitätsklinikum Hamburg- Eppendorf. Foto: UKE

André Hajek gilt als einer der führenden Forscher zum Thema Einsamkeit. Im Interview erklärt der UKE-Professor, warum Einsamkeit krank macht, wann Social-Media-Nutzung problematisch ist und was gegen soziale Isolation hilft.

Hinz&Kunzt Randnotizen

Freitags informieren wir per Mail über die Nachrichten der Woche:

Hinz&Kunzt: Wie ungesund ist es, einsam zu sein?

André Hajek: Wir wissen aus sehr vielen Studien, dass Menschen, die einsam sind, ungesünder leben und früher sterben. Demnach ist Einsamkeit in etwa so ungesund, wie 15 Zigaretten am Tag zu rauchen. Einsamkeit ist also für die mentale und körperliche Gesundheit sehr schlecht.

Wo beginnt Einsamkeit? Ich bin Vater von zwei kleinen Kindern und freue mich immer mal über ein wenig Ruhe.

Diese Präferenz für das Alleinsein ist auch nicht schlimm. Einsamkeit hingegen ist eine klar negative Emotion. Es ist der wahrgenommene Unterschied zwischen tatsächlichen und den gewünschten sozialen Beziehungen. Ein Mangelzustand also. Einsamkeit kann mit der Zeit auch die Wahrnehmung verzerren. Man wird skeptischer gegenüber anderen Menschen und beispielsweise auch gegenüber Polizei und staatlichen Organisationen.

„Wer Angst hat, zieht sich stärker zurück.“

Wie wird man so einsam?

Menschen brauchen qualitativ hochwertige Kontakte. Es gibt aber Personen, die sich zurückziehen, sodass Kontakte fehlen. Oder aber man hat keine Zeit wegen der Arbeit oder bei Alleinerziehenden wegen der Kinder. Das hat nicht nur mentale Folgen, sondern es lässt sich beobachten, dass oft auch die körperliche Aktivität abnimmt. Wer einsam ist, macht nicht nur weniger Sport, sondern trinkt auch eher Alkohol. Das wiederum führt zu Stress im Körper und erhöht das Risiko für chronische Erkrankungen und sogar das Sterberisiko: Man stirbt einige Jahre früher als Menschen, die sich nicht einsam fühlen.

Aber was war zuerst da? Die psychische Erkrankung oder die Einsamkeit?

Das versucht die Wissenschaft noch herauszufinden. Einige Studien bisher sehen eine Kausalität von der Einsamkeit hin zur psychischen Erkrankung.

Ist Einsamkeit vor allem ein Problem der Großstadt?

Nein, die Studienlage zeigt keinen großen Unterschied zwischen Stadt und Land.

Und gibt es eine soziale Komponente? Sind ärmere Menschen eher einsam?

Diesbezüglich gibt es nicht so viele Studien. Aber die paar, die es gibt, zeigen schon auf, dass Leute, die weniger verdienen, mehr Probleme mit Einsamkeit haben.

Laut dem vom Bundesfamilienministerium veröffentlichten Einsamkeitsbarometer fühlten sich immer mehr junge Menschen während der Coronapandemie einsam. Nach Ende der Pandemie ging es nur leicht bergauf. Wie kommt das?

Das wird in der Forschung viel auf die Krisen der heutigen Zeit zurückgeführt – die Angst vor Krieg und vor dem Klimawandel. Wer Angst hat, zieht sich noch ein bisschen stärker zurück. Und wir haben eine Generation, die ganz anders mit Medien groß wird. Studien zeigen deutlich, dass der Konsum von Facebook bei Jüngeren negativ ist. Wobei diese Studien auch schon wieder ein paar Jahre älter sind … (lacht).

Heute tummeln sich junge Menschen vermutlich eher bei Instagram oder Tiktok.

Auch da hat man sehr viele Vergleichskomponenten. Man sieht, dass es anderen gut geht, dass Partys stattfinden, zu denen man selbst nicht eingeladen ist. Das alles kann zu negativen Emotionen beitragen. Bei Personen im höheren Alter wiederum zeigen Studien, das Social Media auch einen positiven Effekt haben kann. Weil man dort Kontakte von früher halten oder sie auch wieder aufnehmen kann.

In einer erst kürzlich veröffentlichten Studie kommen Sie zu dem Schluss, dass man einsamer ist, wenn man sich vor wichtigen Aufgaben drückt. Können Sie das erläutern?

Wenn man prokrastiniert und damit niemanden tangiert, mag das nicht unbedingt schlimm sein. Wenn aber von ständigen Absagen Freunde oder Verwandte betroffen sind, leidet die Qualität der Beziehung vermutlich darunter und man ist schneller isoliert, einsam und lebt zurückgezogener.

Welche Rezepte haben Sie gegen Einsamkeit?

Körperliche Aktivität und Teamsport sind hilfreich. Aber auch eine freiwillige Arbeit. Für ältere Menschen ist die Betreuung von Enkelkindern ein sehr positiver Punkt. Das erzähle ich sehr gerne meinen Eltern und Schwiegereltern (lacht).

Viel Zeit zu Hause zu verbringen ist also eher negativ?

Es ist immer gut, vor die Tür zu finden, beweglich zu bleiben und mit anderen in Kontakt zu kommen. Ein Hund kann beispielsweise sehr förderlich sein, natürlich nicht für Katzenfreunde.

„Man stirbt früher als Menschen, die sich nicht einsam fühlen.“

Hätten Sie auch eine Empfehlung an die Politik?

Die Politik kann uns keine Freunde besorgen, aber sie kann es uns erleichtern, in Kontakt zu kommen. Ich war vor ein paar Jahren in Elternzeit in Korea. Dort trifft man viele ältere Menschen in den Parks, die ihre Sportrunden drehen. Diese Parks sind einfach schön gestaltet und so angelegt, dass es auch für die älteren Menschen Sport- und Spielgeräte gibt. Es sind Orte, an denen die Menschen miteinander ins Gespräch kommen.

Sie verbringen sicherlich viel Zeit alleine im Kämmerlein mit Studien und Literatur. Wird man da nicht auch einsam?

Ich habe sehr viel Ausgleich. Zu Hause mache ich ein paar Schritte aus meinem Arbeitszimmer und dann springen gleich zwei Kinder auf mich rauf und wollen rumtollen. Und ich bin eher der Typ, der auf qualitativ hochwertige Kontakte achtet. Das habe ich auch vor meinen Studien so gemacht. Und Sport zu machen war mir persönlich einfach schon immer wichtig. Das alles vertreibt negative Emotionen.

Und wie wichtig ist es, dass man umarmt wird?

Das ist, glaube ich, noch kaum untersucht. Ich würde aber spontan sagen, dass Umarmungen auf jeden Fall helfen könnten.

Artikel aus der Ausgabe:
Ausgabe 386

gem/einsam

Wieso auch junge Menschen einsam sind, was das mit ihrer Gesundheit macht und was man dagegen tun kann, erfahren Sie im Schwerpunkt. Außerdem: Eine Fotoreportage aus Vietnam. Und: Wieso ein Bettler jetzt den HVV verklagt.

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Autor:in
Jonas Füllner
Jonas Füllner
Seit 2013 bei Hinz&Kunzt - erst als Volontär und inzwischen als angestellter Redakteur.

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