Einsamkeit ist kein Phänomen des hohen Alters. Laut einer aktuellen Umfrage der Bertelsmann Stiftung fühlt sich knapp die Hälfte der 16- bis 30-Jährigen in Deutschland einsam. Warum ist das so? Was hilft dagegen?
„Die Einsamkeit ist anders, seit mein Mann tot ist“
Carolina, 35, ist Onlineredakteurin und Content-Creatorin. Auf ihrem Instagram-Account „liniundthilda“ spricht sie über die Einsamkeit, die sie begleitet, seitdem ihr Mann bei einem Verkehrsunfall starb.
Schon als Kind habe ich mich oft einsam gefühlt. Doch als ich 2011 meinen Mann kennengelernt habe, war dieses Gefühl völlig verschwunden. Er war mein bester Freund, wir haben alles zusammen gemacht. 2018 haben wir geheiratet, 2021 ist unsere Tochter geboren.
Im September 2023 veränderte sich alles: Mein Mann starb bei einem Verkehrsunfall. Danach habe ich viel Liebe erfahren, viel Anteilnahme, aber die ist auch schnell wieder abgeebbt und ich habe mich sehr einsam gefühlt. Die Therapie, die ich seit über einem Jahr mache, hilft mir. Mittlerweile hat der Druck in meiner Brust etwas nachgelassen.
Doch es gibt Tage, da ist die Einsamkeit kaum auszuhalten. Ich nehme dann meistens meine Tochter fest in den Arm und lasse das Gefühl zu, denn es bringt nichts, es zu ignorieren. Nach dem Tod meines Mannes bin ich raus aus der Stadt gezogen, wieder näher zu meiner Familie. Sie hilft mir, aber kann nicht immer da sein.
Durch meine Tochter bin ich nie allein. Aber mir fehlt eine erwachsene Bezugsperson, mit der ich über die kleinsten Dinge reden kann wie: Was essen wir heute Abend?
Ich hatte nie vor, mit Instagram anzufangen. Nach dem Tod meines Mannes habe ich ab und zu etwas gepostet und dann regelmäßiger. Ich bekomme auch Kritik dafür, dass ich vieles öffentlich teile, aber das ist mir egal. Für mich fühlt es sich richtig an. Trauer und Einsamkeit sollten in den sozialen Medien einen Platz haben. Durch Instagram habe ich sogar ein paar Witwen-Freundinnen kennengelernt. Dafür bin ich sehr dankbar. Die Community hilft mir. Trotzdem gibt es immer wieder einsame Abende auf dem Sofa. Die Einsamkeit ist anders, seit mein Mann tot ist. Dieses Gefühl wünsche ich niemandem. Ich bin mir sicher, dass es bleiben wird, aber es definiert mich nicht. Denn ich mache weiter.
„Vergleiche befeuern die Einsamkeit“
Fabian, 27, Projektmanager im Immobilienbereich

Vor vier Jahren bin ich aus Bayern nach Hamburg gezogen, weil ich etwas Neues wagen wollte. Es ließ sich gar nicht vermeiden, dass ich anfangs oft einsam war. Ich bin in eine WG gezogen, um Leute kennenzulernen. Ich habe überlegt, einen Mannschaftssport auszuprobieren, um Anschluss zu finden. Am Ende musste ich das gar nicht, weil ich durch einen Freund aus der Heimat tolle Menschen getroffen habe.
Ich weiß meine Allein-Zeit zu schätzen: Ich höre Musik oder gehe zum Sport. Gerade bin ich Single – das wird oft negativ wahrgenommen und bemitleidet, genauso wie allein zu reisen oder etwas zu unternehmen. Das finde ich falsch. Es ist wichtig, dass man allein zurechtkommt.
Trotzdem gibt es Situationen, in denen ich mich einsam fühle. Meistens am Wochenende, wenn niemand Zeit hat, ich aber gerne nicht alleine wäre. Durch Social Media bin ich nur einen Klick davon entfernt zu sehen, was bei anderen gerade geht. Im Internet zeigt man eher die lustigen Momente. Vergleiche mit anderen zu ziehen befeuert die Einsamkeit. Ich probiere, mir das in einsamen Momenten nicht anzugucken, sondern mich abzulenken, etwas zu machen, was mir Spaß macht.
„Durch Hinz&Kunzt fühle ich mich weniger einsam“
Benjamin, 35, verkauft Hinz&Kunzt vor dem Levantehaus in der Mönckebergstraße und arbeitet nachts als Wachmann.

Mit 18 bin ich zu Hause rausgeflogen, weil ich mich getraut habe, etwas gegen die Prügel zu sagen, die ich bekam. Dann war ich auf der Straße, hab alle Drogen genommen, die es gab. Mit meiner damaligen Freundin bin ich vor 13 Jahren nach Hamburg gekommen. Zwei Jahre später hat sie mich verlassen und seitdem boxe ich mich allein durch. Inzwischen habe ich eigentlich alles, was ich wollte: Ich habe einen Entzug gemacht, habe eine Wohnung und Arbeit – aber Freunde und Familie habe ich nicht. Deshalb fühle ich mich oft einsam. Ich habe niemanden, zu dem ich sagen kann: „Los, lass uns mal einen Kaffee trinken oder klettern gehen.“ Ich liebe es, Ausflüge mit meinem Schlauchboot zu machen, aber auch das wäre mit Freunden zusammen bestimmt cooler. Durch Hinz&Kunzt fühle ich mich weniger einsam: Beim Verkaufen bin ich unter Menschen und kann ab und zu mit Leuten quatschen.
„Manchmal fühle ich mich auch in Gesellschaft einsam“
Maya, 22, studiert Medizin.

Ich finde, es gibt einen wichtigen Unterschied zwischen „allein sein“ und „einsam sein“. Allein zu sein genieße ich oft – ich mache gerne Dinge für mich. Aber wenn ich das Bedürfnis habe, mich jemandem mitzuteilen oder mit anderen etwas zu unternehmen und niemand da ist, fühle ich mich einsam. Wenn ich merke, dass mich dieses Gefühl überkommt, versuche ich bewusst gegenzusteuern: Ich gehe zum Sport oder tanzen. Mein WG-Leben hilft mir, Einsamkeit vorzubeugen. Es tut gut zu wissen, dass ich an eine Tür klopfen kann. Es gibt aber auch Tage, an denen mich die Einsamkeit richtig ausbremst. Dann fühle ich mich isoliert und antriebslos.
Auch in Gruppen kommt es vor, dass ich mich einsam fühle. Wenn ich zum Beispiel mit Menschen zusammen bin, die ich nicht so gut kenne. Oder wenn um mich herum Freunde viel am Handy und dadurch unaufmerksam sind, dann fühle ich mich trotz Gesellschaft einsam.
Mir ist es nicht peinlich, darüber zu sprechen, dass ich mich zurzeit manchmal einsam fühle. Ich glaube, wenn wir offener darüber reden würden, würde sich jeder ein bisschen weniger allein fühlen. Denn letztlich sind doch alle irgendwann mal einsam.
„Ich habe kaum Zeit zum Einsamsein“
Abdel, 24, arbeitet als Amazon-Lieferant.

Ich komme aus Teneriffa. Um mehr von der Welt zu sehen und Englisch zu lernen, reise ich viel. Ich habe schon einige Zeit in Frankreich und in Marokko gelebt. Seit ein paar Monaten bin ich in Hamburg. Die Einsamkeit begleitet mich, denn meine Familie und meine engen Freunde sind nicht bei mir. Inzwischen habe ich mich daran gewöhnt, dass ich manchmal einsam bin. Viel Zeit dafür habe ich eh nicht. Ich arbeite sechs Tage die Woche von früh bis spät, abends gehe ich ins Fitnessstudio.
Mir helfen die sozialen Medien, um mich meiner Familie und meinen Freunden zu Hause nah zu fühlen und viel von ihnen mitzubekommen. Doch auch hier lerne ich Menschen kennen. Gerade wohne ich in einer WG mit fünf anderen Leuten, deren Muttersprache auch weder Deutsch noch Englisch ist. Das hilft mir, mich hier in Deutschland weniger einsam zu fühlen. Im Sommer will ich weiterziehen. Dann heißt es wieder: neues Land, neue Menschen, neuer Job. Da bleibt bestimmt auch kaum Zeit zum Einsamsein.