Warum die Behörden nur ungern über die neue Sozialkarte sprechen
(aus Hinz&Kunzt 173/Juli 2007)
Ab diesem Monat können Bedürftige fünf Euro sparen bei der Monatskarte für Bahn und Bus. Werbung machen möchten Stadt und HVV für den Preisnachlass, der einer Mogelpackung gleicht, aber nicht. Und die ARGE, zuständig für die Abwicklung, wollte die Sozialkarte gleich ganz unter den Teppich kehren.
Ein Entwurf, der so das Haus niemals hätte verlassen dürfen“ – mit diesen Worten bemüht sich René Tollkühn, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft (ARGE), um Schadensbegrenzung. Es geht um eine Dienstanweisung, die ein Behördenmitarbeiter Anfang Juni der Presse zuspielte. Darin stand: „Um den Personenkreis der Berechtigten und den Arbeitsaufwand so gering wie möglich zu halten, wurde mit dem HVV abgestimmt, dass es keine Werbung für die Sozialkarte geben wird.“ Die Karten seien „nicht offen auszulegen“, sondern nur „auf Nachfrage“ auszustellen.
Als das Abendblatt unter der Überschrift „Sondertarife für Arbeitslose verheimlicht“ berichtet, reagiert der HVV mit einer Pressemitteilung. Darin meldet sich auch der für den Nahverkehr zuständige Senator Axel Gedaschko (CDU) zu Wort: „Uns ist es wichtig, dass Familien und Menschen mit geringem Einkommen durch die HVV-Tarifreform entlastet werden. Deshalb haben wir ein großes Interesse daran, dass möglichst viele Berechtigte den Familienpass und die Sozialkarte beantragen.“
Die Wirklichkeit sieht anders aus. Anders als der Familienpass findet die Sozialkarte auf den Internet-Seiten der Hamburger Behörden bis Mitte Juni nicht statt; Broschüren oder andere Werbemittel gibt es nicht. Frage: Wer fühlt sich zuständig dafür, die Betroffenen zu informieren? „Wir nicht. Das sind ja Kunden der Sozialbehörde“, sagt Gedaschko-Sprecherin Kerstin Feddersen von der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt. Dennoch stellt die Behörde am 22. Juni immerhin Erläuterungen auf ihre Homepage. Die Sozialbehörde lässt über ihre Pressesprecherin Jasmin Eisenhut wissen: „Den Familienpass haben wir mitentwickelt. Mit der Sozialkarte haben wir nichts zu tun.“ Der HVV verweist auf seine Pressearbeit. Plakate gibt es nicht, wohl aber einen kleinen Info-Flyer. Sprecherin Gisela Becker: „Wir haben ein begrenztes Werbebudget, und das ist ja ein Angebot der Stadt.“
Die ARGE gibt sich nach der öffentlichen Aufregung geläutert: „Jeder Kunde wird von uns gefragt werden, ob er die Karte haben will“, so die Ankündigung von Behördensprecher Tollkühn. Hinz&Kunzt-Verkäufer Erich Heeder erlebt es anders. Er hat Mitte Juni einen Termin in seinem Jobcenter – von der Sozialkarte erzählt man ihm nichts. Als er ein paar Tage später nachfragt, bekommt er ein Antragsformular ausgehändigt. Direkt vom Jobcenter geht er ins HVV-Kundenbüro. Die schlechte Nachricht dort: „Sie hätten Anfang Juni kommen müssen! Die Bearbeitung dauert vier bis sechs Wochen.“ Deshalb werde seine Monatskarte erst ab August fünf Euro billiger. Auf Nachfrage versichert HVV-Sprecherin Becker, dass Erich Heeder wie jeder, der bis einschließlich 1. Juli (Sonntag) mit einer Sozialkarte zum Verkehrsverbund kommt, schon diesen Monat von der Ermäßigung profitieren wird. Monatskarten-Abonnenten könnten diese sogar rückwirkend bekommen. Für alle anderen jedoch könne der Preisnachlass erst ab August berechnet werden.
Ohnehin ist die Sozialkarte eine Mogelpackung (siehe H&K Nr. 170): Rund die Hälfte der Ersparnis geht durch die HVV-Preiserhöhungen verloren. Und der Vergleich mit dem 2003 abgeschafften Sozialticket fällt schlecht aus: Das war mit 15,50 Euro pro Monat erschwinglich für Bedürftige und galt für den Großbereich. Doch die Kosten – 3,3 Millionen Euro pro Jahr – erschienen dem Senat zu hoch.
Rund 700.000 Euro jährlich sind für die Sozialkarte veranschlagt. Die Behörden schätzen, dass jeder neunte der 215.000 Arbeitslosengeld-II – bzw. Sozialgeld-Empfänger das Angebot nutzen wird. Das ist realistisch: Interessant ist die Ermäßigung nur für Bedürftige, die mit drei Tarifzonen auskommen und bereit sind, eine Monatskarte zu abonnieren. Für alle anderen bleiben Bahn und Bus unerschwinglich. Die Diakonie fordert deshalb ein echtes Sozialticket: für 20 Euro monatlich, gültig für den Großbereich und übertragbar innerhalb von Familien.