Sie haben Startschwierigkeiten im Berufsleben, aber sie haben ein Ziel: Kfz-Azubis der Autonomen Jugendwerkstätten haben aus einem schrottreifen Opel Ascona einen fahrtüchtigen gebaut – ein Rallyeauto. Aktuell läuft eine TV-Doku über das Projekt.
Marc wollte eigentlich immer schon Kfz-Mechaniker werden, aber auch nach 50 Bewerbungen sah es für ihn dunkeldüster aus. Vanessa hat gesundheitliche Probleme und braucht viel Unterstützung. Und Maxim kommt aus Russland und konnte zunächst noch nicht so gut deutsch. Andere hatten einfach nicht die dollsten Schulkarrieren hinter sich – und von daher kaum Aussicht auf eine Lehrstelle. Sie alle haben ihre Chance trotzdem bekommen: bei den Autonomen Jugendwerkstätten (AJW). Das Projekt bietet Ausbildungsplätze für sozial benachteiligte Jugendliche in kaufmännischen und handwerklichen Berufen.
Seit einiger Zeit lernen die Jugendlichen in der Kfz-Werkstatt allerdings nicht nur Autos zu reparieren, sondern sogar neue zu bauen: aus Schrottteilen, denen man kaum noch ansieht, dass sie je ein Auto waren. Und sie machen nicht nur einen fahrbaren Untersatz fertig, sondern bauen Rallyeautos.
Die Idee dazu hatte der Meister: Alexander Gawronski ist selbst leidenschaftlicher Rallyefahrer. Zusammen mit Schülern der Julius-Leber-Schule, seinen Azubis und gesponsert von der Margot-und-Ernst-Noack-Stiftung schon einen alten 93er Golf GTI mit ursprünglich 150 PS in einen autogasbetriebenen Rallyewagen mit 220 PS verwandelt.
Dann startete Gawronksi mit seinen Azubis ein neues Projekt, ein Fernsehteam begleitete das Ganze. Diesmal wars ein Opel Ascona, der 30 Jahre alt war und völlig schrottreif auf einem Feld stand. „Kein Teil war mehr ganz“, sagt Gawronski. „Alles musste überarbeitet werden.“ Ziel des Meisters: den Opel Ascona 2000i nachzubauen, mit dem schon Jochi Kleint Europameister wurde und Walter Röhl sogar Weltmeister. Jochi Kleint, Walter Röhl? Ehrlich gesagt: Keiner der Azubis hatte jemals etwas von den beiden gehört. Das musste ihnen Rallyefan Gawronski erst erklären.
„Die Jugendlichen waren Feuer und Flamme“, sagt Gawronski. Obwohl: Sicher war er sich nicht, dass sie das Projekt durchhalten würden. „Manchen fällt es schwer, einen Arbeitstag durchzuhalten. Wie wird das dann erst mit einem Projekt, das immerhin ein Jahr in Anspruch nehmen sollte.“ Um seine sechs Azubis zu motivieren, fuhr der Meister Azubis und dem fast fertigen Ascona auf dem Hänger zur Essener Motorshow. Walter Röhl war auch da – und er gab ihnen sogar ein Autogramm auf den Ascona. Da war Maxim dann doch aufgeregt: „Walter Röhl ist mindestens so berühmt wie Michael Schumacher, hat unser Meister gesagt“, erzählt er begeistert. Und logisch: „Michael Schumacher, den kenn ich!“ Auch Jochi Kleint hat die Azubis schon in der Werkstatt besucht.
Die Begeisterung trug. Maxim ist stolz: „Vieles, was hier geschweißt ist, hab ich gemacht.“ Den Jugendlichen haben die beiden Projekte viel gebracht, davon ist der Meister überzeugt. „Die haben jetzt eine ganz andere persönliche Reife“, sagt er. Marc, der am Golf mitgebaut hat, wurde zum Beispiel wesentlich selbstbewusster und besser in der Berufsschule: „Mein Lehrer war völlig erstaunt, dass ich gleich eine Antwort parat hatte“, sagt Marc.
Richtige Werte haben die Jugendlichen geschaffen, so Gawronski. „Der GTI hat bei VW mal 220.000 Mark gekostet“, sagt er. „Der Opel Ascona 2000i vermutlich um die 60.000 Mark.“ Der Meister macht keinen Hehl draus, dass er auf seine Leute stolz ist.
Dass er sich allerdings einmal so für Jugendliche einsetzen würde, geschweige denn für Jugendliche, die sozial benachteiligt sind, hätte er in seinem früheren Leben nicht gedacht. Der 37-Jährige kommt aus der Welt, an deren harten Regeln seine Jugendlichen oft scheitern. Der Kfz-Betriebswirt war Serviceleiter einer Autohausgruppe. „Ich habe selbst früher Leute unter Druck gesetzt, mich selbst auch“, sagt er nachdenklich. „Man erwartete das von mir und ich habe gedacht, ich muss diese Erwartungen erfüllen.“ Aber irgendwann konnte er das nicht mehr. „Dass es mir gegen die Natur ging, merkte ich erst, als ich ein Burn-out und eine Herzmuskelentzündung bekam.“ Dann wurde er entlassen – und arbeitslos. „Blauäugig“, so sagt er, habe er sich auf den Job bei den AJW beworben. Und dann bei der Arbeit gemerkt: „Das ist eigentlich mein Traumjob.“
Eine tolle Arbeit, die AJW seit 29 Jahren macht, bis zu 150 Azubis werden in der Gärtnerei, der Holzwerkstatt, der Elektrowerkstatt oder als Maler ausgebildet. Aber eben nicht nur ausgebildet. Den Jugendlichen soll auch bei der Bewältigung ihrer Probleme geholfen werden. Viele haben keinen Schulabschluss, Probleme mit den Eltern, mit Drogen oder Schulden. Deswegen gibt es auch neben Meister und Geselle auch Sozialpädagogen in den Werkstätten. Doch von Jahr zu Jahr werden immer mehr Mittel gestrichen. „In Hamburg gibt es 7000 Jugendliche ohne Abschluss, und die Firmen sind nicht bereit, schwächere Schüler zu nehmen und auszubilden, und der Staat ist immer weniger bereit, Geld dafür zur Verfügung zu stellen“, sagt Gawronski und kann sich richtig darüber aufregen. „Morgen fehlen uns die Facharbeiter. Dabei haben wir sie da, wir müssen sie nur ausbilden.“
70 Bewerber hatte allein die Kfz-Werkstatt, aber aufnehmen können sie nur neun, „ein Tropfen auf den heißen Stein“, so der Kfz-Experte. Inzwischen lebe AJW „von der Hand in den Mund. Wir wissen nicht, welche Perspektive wir wie vielen Jugendlichen geben können“, sagt er bitter. Dass Ausbildungswerkstätten wie AJW gebraucht werden, zeigt der Erfolg: Im letzten Ausbildungsjahrgang haben sechs von sieben Lehrlingen die Prüfung zum Kfz-Mechatroniker schon bestanden und sind als Gesellen in ganz „normale“ Firmen übernommen worden.
Auch Marc ist jetzt in einem anderen Betrieb vermittelt und lernt dort aus. „Ich habe sogar Aussicht auf Übernahme als Geselle“, sagt er. Zu AJW kommt er immer noch gerne. Schließlich fahren Alexander Gawronksi und er jetzt gemeinsam Rallyes im GTI. Marc ist der Kopilot: „Das Gehirn quasi“, sagt der Meister. „Wenn der rechts statt links ansagt, sind wir weg. Ich gebe mein Leben in seine Hände.“
Übrigens: Der Opel Ascona ist inzwischen verkauft ¬ für 14.000 Euro. Der Großteil des Betrages wird unter den Jugendlichen verteilt. Was sie damit machen? „Viele müssen ihre Schulden bezahlen, einige fahren in Urlaub“, sagt Gawronski. „Und bestimmt werden sie auch was verjubeln.“ Er gönnt es ihnen. „Sie haben ja auch hart dafür gearbeitet.“
Text: Birgit Müller
Fotos: Mauricio Bustamante
Die fünfteilige Doku-Soap „Schrauben für die Zukunft“ immer Montags auf zdfinfo. Die bereits gesendeten Folgen können in der ZDF Mediathek angesehen werden. Mehr Infos über die Autonomen Jugendwerkstätten unter www.ajw-hamburg.de