Schock und Neugier

Das Museum für Kunst und Gewerbe widmet sich der engagierten Reportagefotografie ab den 50er-Jahren. Damals waren die Menschen hungrig nach Bildern – und lernten viel Düsteres kennen.

(aus Hinz&Kunzt 258/August 2014)

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Brot wird an Bedürftige verteilt – Aufnahme aus dem Jahre 1962 aus Salvador da Bahia, Brasilien.

75.000 Exponate umfasst die fotografische Sammlung des Museums für Kunst und Gewerbe. Lange lag dieser Schatz brach. Doch seit zwei Jahren zeigt das Haus in kleinen, feinen Ausstellungen, was es seit den Anfängen der Fotografie gesammelt hat. Dieser Tage macht man beherzt einen Sprung in die jüngere Vergangenheit und präsentiert mit der Ausstellung „Das engagierte Bild“ Reportagefotografie ab den 50er-Jahren.

Es ist die Zeit des beginnenden Wirtschaftswunders und die Deutschen schauen wieder über den Tellerrand in die Welt hinaus: „Unheimliches China“ etwa hieß eine typische Fotostrecke des späteren Geo-Gründers Rolf Gillhausen. Er zeigte eigentlich nur Alltagsmomente – aber das ferne, riesige Land weckte damals tiefe Ängste. Schnell rückten die Krisenherde der Welt in den Sucher der Kameras: Von Hungersnöten in Indien wurde berichtet; von den Befreiungskriegen im noch kolonialen Afrika, der Vietnamkrieg ist immer wieder Thema. Illustrierte wie der Stern zeigten auf fünf bis sechs Doppelseiten lange Fotostrecken, bevor der Artikel auch nur begann – heute ist das undenkbar.

„Es gibt damals in der Reportagefotografie zwei Richtungen: Die einen halten die Kamera nicht direkt auf das Elend drauf, auch damit sich der Betrachter nicht geschockt abwendet; die anderen sind überzeugt, dass man direkt zeigen muss, worum es geht“, sagt Kurator Sven Schumacher. Beide Schulen sind in der Ausstellung vertreten: Thomas Höpker etwa fotografiert in den 60ern Leprakranke in Äthiopien und lässt sie ihre Verletzungen durch Tücher verhüllen, oder er verschattet ihre Gesichter, statt zum Blitzlicht zu greifen. Ganz anders die Fotos von Ryuichi Hirokawa. Der Japaner kommt in den 60ern als Austauschstudent nach Israel und berichtet immer wieder über die Konflikte zwischen den Israelis und den Palästinensern. So fährt er im Herbst 1982 in die palästinensischen Flüchtlingslager Sabra und Schatila, in denen zuvor christliche Milizen ein Massaker angerichtet hatten: „Es sind mit die härtesten Bilder, die ich in unserer Sammlung gefunden habe, und wir müssen genau überlegen, welche Bilder wir zeigen – aber wir zeigen Bilder aus dieser Serie“, sagt Schumacher.

Er verweist noch auf einen Fotografen, der sich auf ganz eigene Weise engagiert hat und der hierzulande noch recht unbekannt ist: Peter Magubane aus Südafrika. „Er ist fast der einzige, der damals von innen heraus dokumentiert hat, was in seinem Land passiert, in dem damals die Apartheid herrscht. Er saß oft im Gefängnis, weil er die Unruhen fotografisch begleitet hat. Und er ist mal nicht der europäische Fotograf, der in die Welt reist, um seinen Landsleuten daheim diese Welt zu zeigen. Er ist einer, der als Fotograf direkt dabei ist, um etwas zu bewegen.“

„Das engagierte Bild”, Museum für Kunst und Gewerbe, Steintorplatz, Di–So, 10–18 Uhr, Do 10–21 Uhr.