Auch Mittelständler besorgen sich Bares gegen Pfand: Besuch in einem Leihhaus in der City
(aus Hinz&Kunzt 143/Januar 2005)
Satte Umsatzsteigerungen bei den Pfandhäusern: 31 Prozent seit 2000, 7 Prozent allein in diesem Jahr. Ein deutlicher Hinweis auf die steigende Armut in Deutschland. Knut Henkel besuchte Inge Grüner, die seit 40 Jahren in der Branche arbeitet.
Eine Schieferplatte, kleine Plastikflaschen mit Säuren und der elektronische Diamantenprüfer sind die wichtigsten Arbeitsgeräte von Inge Grüner. „Damit stellen wir fest, ob der Schmuck, den wir beleihen, auch echt ist“, erklärt die 59-jährige Leiterin von Grüne’s Leihhaus am Jungfernstieg. Zum Beweis zieht sie den eigenen Goldring vom langgliedrigen Mittelfinger, reibt ihn kurz über die Schieferplatte und träufelt auf den schimmernden Rückstand einen Tropfen Säure aus einer der Fläschchen. Keine Verfärbung – der Ring ist echt und könnte beliehen werden, erklärt die Frau mit den rot-braunen Haaren lachend.
Gut gelaunt steht Inge Grüner hinter dem mit Panzerglas gesicherten mächtigen Tresen im Geschäftsraum des Leihhauses. Mehrere Durchreichen sorgen für den sicheren Austausch der Pfänder, die Inge Grüner und ihre beide Kolleginnen ent-gegennehmen, schätzen und entweder beleihen oder zurückweisen. „Schnell und unkompliziert muss es gehen, denn niemand hält sich gern länger als nötig im Leihhaus auf“, sagt Inge Grüner. Sie muss es wissen, verfügt sie doch über 40 Jahre Berufserfahrung und ein brillantes Gedächtnis.
Durch Zufall landete sie als junges Mädchen hinter dem Tresen des Pfandhauses. „Die Mutter einer Freundin arbeitete dort. Sie machte mir den Vorschlag, mich beim Chef vorzustellen“, erinnert sich die schlanke Frau. Ihre Mutter hatte nichts dagegen, dass die älteste von drei Töchtern ihre Ausbildung in der Bank der armen Leute aufnahm. „Natürlich war das Image der Leihhäuser damals nicht so gut“, gibt Inge Grüner zu. Aber die Zeiten eines Heinz Rühmann, der in „Der Pfandleiher“ in einem unübersichtlichen Hinterzimmer herumwuselte, habe es so nie gegeben, sagt die groß gewachsene Frau über die Klischees, die der Branche bis heute anhängen.
Immer wieder klärt Inge Grüner Kunden auf, warum der Pfandkredit niedriger als erwartet ausfällt. „Vor allem Neukunden orientieren sich am Kaufpreis, wir hingegen am Zeit- oder Materialwert. Der liegt weit darunter“, erklärt sie die Geschäftsgrundsätze. Das ruft schon mal Enttäuschung oder Verzweiflung hervor, wenn sich Kunden in einer finanziellen Klemme befinden. Dann schlägt Inge Grüner vor, weitere Pfänder zu bringen, denn zur Geschäftsphilosophie von Grüne’s Leihhäuser gehört es, alles zu beleihen. „Der Firmengründer wollte auch für sozial Schwache da sein“, erklärt Inge Grüner.
Das Geld gibt‘s schnell und ohne Prüfung der Kredit-würdigkeit, aber das hat seinen Preis. Pro Monat ist ein Prozent Zins fällig. Dazu die gesetzliche Gebühr, um das Pfand zu lagern und zu versichern; sie beträgt etwa bei einem Schmuckstück im Wert von 300 Euro 6,50 Euro pro Monat. Will der Kunde sein Pfand nach drei Monaten, der normalen Beleihungsfrist, wieder auslösen, muss er 328,50 Euro zurückzahlen – ein Aufschlag von 9,5 Prozent.
Inge Grüner erinnert sich noch gut an die Zeit, als Sonntagsanzüge unter der Woche beliehen und am Freitag wieder ausgelöst wurden. Das ist genauso vorbei wie die große Zeit der Orientteppiche und Pelzmäntel, die noch in den 70er-Jahren als Wertanlage galten und oft beliehen wurden. „En Gros wurden die Pelzmäntel im Sommer beim Pfandleiher geparkt, um die Urlaubskasse aufzubessern“, so Inge Grüner.
Sie selbst musste das Pfandhaus noch nie aufsuchen, um finanzielle Löcher zu stopfen. „Wenn Not am Mann wäre, würde ich es aber tun“, so die aus bürgerlichen Verhältnissen stammende Frau. Üppig ging es zu Hause jedoch nicht zu, denn ihr Vater starb, als sie gerade neun Jahre alt war. „Für meine Mutter war es nicht leicht, uns drei Mädchen mit ihrer Witwenrente durch-zubringen“, erinnert sie sich. Mit den Wechselfällen des Lebens ist Inge Grüner, die vor 14 Jahren ihren Mann verlor, vertraut. Daher rührt wohl auch ihr Verständnis für die oft schwierige Situation der Kunden.
„Da kommt es schon mal vor, dass jemand sein Herz ausschüttet, denn es geht nicht nur um das Geld.“ Das steht natürlich im Vordergrund, und vor allem Neukun-den holen tief Luft, wenn sie die Banknoten einstecken und die Treppe von den Geschäftsräumen im ersten Stock wieder hinuntergehen. Stammkunden legen mehr Wert auf das persönliche Verhältnis, und da hat Inge Grüner ein offenes Ohr. Wenn sie allerdings merkt, dass jemand sie über den Tisch ziehen oder nur ein Schmuckstück geschätzt haben will, kann sie „knüppelhart“ sein, versichert sie. Mit dieser Mischung ist sie in 40 Jahren Leihhaus gut gefahren.
Vor allem aus dem Mittelstand kommen die Kunden, denn „die sozial Schwachen haben kaum etwas zu beleihen“, erklärt sie. Ärzte, Rechtsanwälte, Architekten gehören genauso wie einige Prominente zu ihrer Klientel. Ihnen und den Kunden mit wertvollen Pfändern ist der kleine separate VIP-Raum vorbehalten – Diskretion wird groß geschrieben. Namen sind genauso tabu wie exakte Angaben über die Höhe der laufenden Pfandkredite – nicht anders als in einer Bank. Dass schon mal mehr als 10.000 Euro über den Tresen gehen, daraus macht Inge Grüner genauso wenig ein Geheimnis wie aus ihrer Vorliebe für Gold und Geschmeide. Für den Job im Pfandhaus eine gute Voraussetzung.