Ulla Müllers Vater träumte von einer Seemannskneipe. Als er stirbt, geht sein Schellfischposten fast zugrunde. Ulla Müller rettet die Kneipe ihres Vaters – auch dank Ina Müllers Kultsendung „Inas Nacht“.
(aus Hinz&Kunzt 253/März 2014)
Schwungvoll betritt sie ihre Hafenkneipeam Fischmarkt in Altona. Es ist zwölf Uhr mittags. „Hallo, Ulla!“, ruft Mitarbeiterin Heidi und winkt. Eine Umarmung, ein herzliches „Na, wie läuft’s?“, ein kurzer Schnack. So viel Zeit muss sein. Ursula Müller setzt sich an den runden Tisch in der Mitte der Kneipe.
Und gleich fängt die 62-Jährige an zu erzählen, wie sie vor gut 20 Jahren Wirtin des Schellfischpostens wird. Dabei kommt Familie Müller eigentlich aus Düsseldorf. 1962 macht sie sich auf nach Hamburg, weil Ursula Müllers Vater, der während des Krieges bei der Marine ist, einen Kindheitstraum hat: eine Seemannskneipe in Hamburg.
Sie ist elf Jahre alt, als die Familie eine Wohnung direkt über dem Schellfischposten bezieht. Ihr Vater hält die Kneipe gut in Schuss – bis zu seinem plötzlichen Tod 1987. Danach geht es mit der Seemannskneipe erst einmal bergab.
Frau Müller und ihr Mann Uwe ackern jahrelang, bis der Schellfischposten wieder auf die Beine kommt.
Weil die Mutter nicht im Schellfischposten arbeiten will, übernimmt eine Angestellte den Betrieb. „Die war selbst ihr bester Gast“, erinnert sich Ulla Müller und winkt ab. Das Publikum veränderte sich damals entsprechend, der gediegene Ruf der alten Kneipe ist bald dahin. „Sie hat einen Trümmerhaufen hinterlassen.“ Frau Müller lächelt nicht mehr. Noch heute scheint ihr wehzutun, was damals passierte.
Am Ende ist es ihr Mann Uwe, selbst Seemann, der sich in der Pflicht sieht, den Treffpunkt für Seefahrer und Hafenarbeiter aufrechtzuerhalten. Viele Jahre ackern sie, bis der Schellfischposten wieder auf die Beine kommt. Zwischendurch habe sie gedacht: „Eigentlich möchte ich gar nicht mehr.“ Doch Frau Müller hält durch.
Die Kneipentür ist kaum aufgeschlossen, da laufen schon die ersten Gäste ein. „Hier ist das Klavier!“, bemerkt ein Jugendlicher, der mit seiner Familie an Tisch eins sitzt – das ist der Tisch am Eingang.
Wer so gezielt in Hamburgs älteste Seemannskneipe kommt, weiß, warum. Hier ist NDR-Moderatorin und Sängerin Ina Müller regelmäßig zu Besuch, nicht als Gast, sondern als Gastgeberin auf Zeit. Eine Kneipe als Bühne. Mittendrin: Ursula – eigentlich Ulla – Müller, die während der Aufzeichnung alle Gäste mit Getränken versorgt – und gelegentlich Teil der Sendung wird. „Frau Müller, machst mir noch ’n Bier?“, brüllt Ina Müller dann über die Theke. Ulla Müller kichert: „Ja, sie sagt ‚Frau Müller‘ und ‚du‘ zu mir.“ Frau Müller mag Frau Müller.
Die erste Folge von „Inas Nacht“ wurde im Juni 2007 ausgestrahlt.
Ulla Müller erinnert sich noch gut daran, wie Ina Müller das erste Mal im Schellfischposten saß. „Das war an einem Samstagnachmittag. Da war es gut voll hier. Es lief Bundesliga. Das weiß ich noch. Meine Schicht war zu Ende und ich wollte gerade gehen.“
Ina Müller saß an dem Tisch, an dem sie selbst jetzt gerade sitzt, sprach sie an, erzählte von ihrer Idee, hier eine Sendung zu machen. Ulla hat keine Ahnung, mit wem sie es zu tun hat, sagt aber zu. Die erste Folge von „Inas Nacht“ wurde im Juni 2007 ausgestrahlt. Mittlerweile sind es 71, weitere folgen. Dabei hatte die Produktionsfirma zunächst abgelehnt. „Zu klein“, hieß es. Ina Müller aber setzte sich durch.
Das Durchhalten verbindet die beiden Frauen, aber nicht nur das: „Bei der Arbeit ist sie sehr diszipliniert wie ich selber auch. Da wird bei mir nicht getrunken, das erwarte ich von meinem Team.“ Beide Frauen haben Fans, weil sie sind, wie sie sind. „Ina ist sehr, sehr lieb und pflegt ihre Fans“, schwärmt sie. Ulla Müller pflegt ihre auch. Ihre Fans sind ihre Stammgäste. „Einige kommen und müssen sich was von der Leber reden.“ Haben Ärger bei der Arbeit, brauchen Hilfe, und manche – auch solche Gäste gibt es – wollen einfach nur Kochtöpfe, Messer oder Parfüm verkaufen, sehr günstig und selbstverständlich alles nur Originale. Frau Müller lacht, schüttelt den Kopf.
Die anderen Gäste sind Inas Fans – die Mehrzahl. „Vollkommen klar, dass das so ist“, sagt Ulla Müller ohne eine Spur von Eifersucht. Aber sie ist auch genervt davon. Viele kommen, um zu gucken. Stehen mitten in der Kneipe herum, ohne etwas zu bestellen. „Klick, klick, klick.“ Dabei steht schon im Eingang ein Schild: „Bitte keine Fotos. Gucken nur draußen.“ Vergeblich.
„Ob jung oder alt, ob arm oder reich, im Schellfischposten sind alle gleich“ steht über der Theke geschrieben. Diese Besucher aber sind für die Alteingesessenen hier weniger gleich. „Bei euch ist das so ungemütlich. Diese ganzen Affen, die nur blöd gucken“, zitiert Ulla Müller, was sie mal in ihrer Ein-Raum-Bar aufschnappte.
Sie weiß darum. Das hat etwas von Zoo. Mitten im Gespräch kommt wieder eine Besucherin herein, fragt nach Karten für die Sendung. Zwei Hinweise gibt es deutlich sichtbar auf der Kneipen-Internetseite. Keine Karten für „Inas Nacht“, keine Kartenwünsche per E-Mail. Trotzdem gibt es immer wieder Anfragen. „Die Leute wollen es einfach nicht einsehen.“ Die Mails beantwortet Ulla Müller schon lange nicht mehr. „Das sind schon Sachen, die manchmal nervig sind.“
Dennoch: Frau Müller bleibt immer nett, immer freundlich. Wer Wirtin ist, muss geduldig sein. Das ist sie. Schließlich geht es auch ums Geschäft. Sie weiß um die positive Wirkung der Sendung: „Das ist kostenlose, schöne Werbung. Die Leute kommen von was weiß ich woher. Island, Österreich …“ Das findet sie toll. Es gibt halt solche und solche. Ulla Müller sagt: „Wir lieben die Touristen, haben immer schon von ihnen gelebt.“ Auch vor den Aufzeichnungen von „Inas Nacht“.
Dass die Kneipe heute so ist, wie sie ist, hat die zierliche Frau zum großen Teil sich selbst zu verdanken. Mit „Durchgemachten“, die am frühen Sonntagmorgen bei ihr landen, muss sie sich nicht mehr herumschlagen, samstagnachts wird zwischendurch geschlossen. Dafür kommen mehr von den anderen Gästen. Das sind die, die sonntags morgens auf dem Fischmarkt einkaufen gehen und die danach zum Frühschoppen kommen. Kneipe als Treffpunkt, nicht als Tankstelle. Statt ausschließlich Bier und Korn gibt’s deswegen hier zusätzlich Caipirinha, Erdbeer-Lime oder Latte macchiato.
Ein weiterer Segen: das Nichtraucherschutzgesetz vom 1. Januar 2008. Gequalmt wird hier seitdem nicht mehr. Auch das hielt die „Durchmacher“ fern, erzählt Frau Müller mit erleichtertem Gesichtsausdruck. Sie sagt: „Das unterscheidet uns von einer Kaschemme.“ Der Laden ist so, wie sie ihn haben will; er ist genau wie jemand, der kaum Alkohol trinkt, nicht raucht und auch keine Lust auf Quälgeister hat. Wie Ulla Müller eben.
Der Schellfischposten, so sagt ihr Mann Uwe immer, „ist doch unser Baby“. Er ist frisch in Rente und Ulla sagt: „Ich mache das hier noch so lange, wie es geht.“
Trotzdem: Alle Hoffnung liegt auf Tochter Claudia, die gerade die Kneipe betritt. Sie wohnt über der Wirtschaft – so wie Ulla selbst als Kind mit ihrer Familie – und guckt auf einen Schnack bei ihrer Mutter vorbei. Der Müller-Nachwuchs ist mit der Materie bereits vertraut. Seit sie 18 war, half sie regelmäßig aus. Mittlerweile aber ist sie Lehrerin, bekommt demnächst selbst ein Kind. Abgeneigt ist Claudia nicht. „Wenn meine Mutter nicht in den nächsten zwei oder drei Jahren aufhört, vielleicht“, sagt sie. Frau Müller grinst verschmitzt und verrät unter vier Augen: „Das würden wir uns sehr wünschen.“ Ihr Vater übrigens, „der guckt von oben zu und freut sich“. Das zumindest sagen Stammgäste, die ihn noch von früher kennen. Und die müssen es ja wissen.
Text: Maike Plaggenborg
Foto: Dmitrij Leltschuk
„Inas Nacht“: Sendungen aus der Reihe werden regelmäßig auf NDR 3 wiederholt. Als nächstes: „Best of Singen“, Sa, 1.3., 0.30 Uhr; „Best of Sabbeln“, Sa. 8.3., 0.00 Uhr. Weitere Infos: www.schellfischposten.de