Sozialsenatorin Melanie Schlotzhauer im Porträt

Schafft sie das?

Seit einem knappen Jahr für Sozialpolitik in Hamburg zuständig: Melanie Schlotzhauer. Foto: Mauricio Bustamante.

Sozialsenatorin Melanie Schlotzhauer muss wachsendes Elend mit knapper werdenden Ressourcen bekämpfen. Neue Ideen hat sie bislang nicht vorgestellt.

Hinz&Kunzt Randnotizen

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Der kleine Hof vor dem Pik As ist schon gut gefüllt, alles ist bereit für den feierlichen ersten Spatenstich zum Umbau der Notschlafstelle. Sozialsenatorin Melanie Schlotzhauer (SPD) betritt die Einfahrt, bleibt stehen, das Notizbuch mit Stichwortzetteln für ihre ­Rede in beiden Händen, und schaut sich um. Sie sticht heraus mit ihrer orangefarbenen Hose, dem hellblauen Blazer und ihrem Behördensprecher neben sich, der sie um zwei Köpfe überragt. Die Sprecherin des städtischen Unterkunftsbetreibers Fördern und Wohnen (F&W) kommt auf sie zu, Schlotzhauer begrüßt sie herzlich, danach den Geschäftsführer von F&W und die sozialpolitische Sprecherin der Grünen, den Bezirksamtschef von Mitte umarmt sie.

Es ist ein Termin, bei dem die Senatorin keine Kritik erwarten muss. Das 110 Jahre alte Hauptgebäude des Pik As soll modernisiert werden, statt in Schlafräumen mit bis zu zwölf ­Betten sollen bis zu 330 obdachlose Hilfesuchende künftig in Zwei- bis Dreibettzimmern übernachten können. Zudem sollen 33 sogenannte
Lebensplätze für alte, schwer chronisch kranke Obdachlose entstehen. Kurzum: verbesserte Standards, ein neues Angebot in kleinem Maßstab, und das alles, ohne abreißen und neu bauen zu müssen.

Sie sei „stolz, dass wir diese Einrichtung hier in der Mitte der Stadt ­haben, wo Zuwendung passiert, wo überlebt wird, wo Halt gegeben wird“, sagt die Senatorin. Dann fährt der Wind in ihre Notizzettel. Schlotzhauer stockt, schmunzelt, legt ein paar Blätter beiseite und fährt fort mit Lob für das engagierte Personal der Notunterkunft. Sie dankt den ehrenamtlich Helfenden und dem Förderverein. Dann verlässt sie die Bühne und hört zu. Als das letzte Grußwort gesprochen ist und das symbolische Sandschaufeln ansteht, eilt Schlotzhauer zu ihrem Sprecher, drückt ihm ihr ­Notizbuch in die Hand. Er legt ihr kurz die Hand auf die Schulter, lächelt und sagt leise: „Du schaffst das.“

Natürlich schafft sie das. Melanie Schlotzhauer, 52 Jahre alt, hat schon Schwereres gestemmt. Die Tochter eines Klempners und einer „Schlecker“-Verkäuferin aus Neugraben-Fischbeck begann ihre Laufbahn als Diplom-­Verwaltungswirtin in der Agentur für Arbeit, nebenher studierte sie Volkswirtschaft an der Uni Hamburg. Nach fünf Jahren Familienzeit – Schlotzhauer ist verheiratet und zweifache Mutter – stieg sie 2002 mit einem Bachelor-Studium in Politikwissen­schaften wieder ein, dann machte sie Karriere im Berufsbildungswerk Hamburg und schaffte parallel ihren Master im Sozial- und Gesundheits­management. Sieben Jahre lang leitete sie das Perspektiv-Kontor Hamburg, das behinderten und gesundheitlich beeinträchtigten Menschen hilft, im Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Das erste große politische Amt folgte 2020: Schlotzhauer, die jahrelang für die SPD in Altona Bezirkspolitik gemacht hatte, wurde Staatsrätin für Gesundheit – mitten in der Pandemie. Als ­Bürgermeister Peter Tschentscher sie im November 2022 als neue Sozial­senatorin vorstellte, reagierten poli­tische Beobachter überrascht: Von Platz zwei einer Behörde in den Senat, das sei in der Hamburger SPD höchst ungewöhnlich. Schlotzhauer hat sich Vertrauen erarbeitet. In ihrer Antrittsrede versprach sie: Sie werde Kurs halten.

Auch jetzt hat die Senatorin schwere Aufgaben zu lösen. Die Schere zwischen Arm und Reich geht weiter auseinander, die Pandemie hat die ­Lage der Ärmeren verschärft und ­viele, denen es gut ging, in Existenznot getrieben. Psychische Erkrankungen nehmen zu, auch bei Kindern und ­Jugendlichen. Krieg und Krisen treiben Menschen in die Flucht, für die in Hamburg Ankommenden ist Schlotzhauer ebenfalls zuständig. Die Verelendung rund um den Hauptbahnhof sorgt seit Monaten für Diskussionen. Schlotzhauer muss Perspektiven schaffen, Wohnraum organisieren, Hilfe bereitstellen für eine wachsende Zahl von Menschen – und zugleich schrumpfen die Ressourcen. Der dringend benötigte soziale Wohnungsbau stockt, in Krankenhäusern, Pflegediensten, Kitas, Hilfsstellen und Verwaltung fehlen Fachkräfte. Zudem muss sie sich perspektivisch auf eine knappere Kasse einstellen: Tarifsteigerungen, Inflation und Energiekosten schmälern das Budget und lassen, wie die Behörde erklärt, wenig übrig für zusätzliche Investitionen in Sozial­arbeit oder Obdachlosenunterkünfte.

Mit welcher Haltung geht Schlotzhauer diesen Berg an Herausforderungen an? Die Senatorin lädt Hinz&Kunzt zum Gespräch ein, kurz vor ihrem Norwegen-Urlaub mit  VW-Bus „Heinz“ kann sie eine knappe Stunde freischaufeln. Am Konferenztisch im 10. Stock des Mundsburg ­Centers zählt sie auf, was ihr wichtig ist: „Wir schauen genau hin, was die Auswirkungen der Pandemie und die vielfältigen Krisen in der Welt für die Menschen in unserer Stadt bedeuten. Um dann zu überprüfen, ob die vielfältigen sozialpolitischen Maßnahmen, die wir haben, noch tragen oder ob wir sie gemeinsam mit dem Hilfesystem anpassen müssen.“ Die Sozialpolitik der Zukunft sei Gesundheitspolitik, sagt sie. Viele Menschen in Hamburg würden nicht hinreichend versorgt: „Der Zugang zum Gesundheitssystem muss besser werden.“ Das zweite Pro­blem sieht sie bei den psychisch Kranken: „Wie erhalten Menschen, auch die schwer kranken, die Hilfe, die ihnen zusteht?“ Als drittes spricht Schlotzhauer Zugänge zum Arbeitsmarkt an: „Wie kriegen wir es hin, dass Menschen ihre Potenziale entfalten können?“ Es sind große Fragen, die Schlotzhauer stellt – Fragen, die sie ihr ganzes Berufsleben lang schon be­gleiten. Doch wie sie sie beantworten will, sagt sie nicht.

Hat sie keine Ideen, oder will sie nicht vorpreschen? „Man ist nicht ­alleine stark“, sagt Schlotzhauer. Gute Sozialpolitik entstehe immer durch gemeinsames Commitment. Sie habe ein tolles Team. Auch im Senat habe die Sozialbehörde starke Verbündete, etwa Stadtentwicklungssenatorin Karen Pein (SPD). „Im Senat sorgen wir gemeinsam dafür, dass Wohnungs- und Obdachlosigkeit gemildert werden“, sagt sie. Rund 45.000 Menschen warten in öffentlicher Unterbringung auf eine eigene Wohnung. Sozial-arbeiter:innen verzweifeln an der Aufgabe, Bedürftige in eigene vier Wände zu vermitteln. Doch Schlotzhauer schlägt weder Alarm, noch stellt sie laut Forderungen.

„Wir haben so ein ausdifferen­ziertes, hochprofessionelles System, dass ich mir wünschen würde, dass Menschen besser darüber sprechen“, sagt sie. Hamburg sei die einzige Stadt mit einem Winternotprogramm, das auch „Perspektivberatung“ anbiete – entweder zur Vermittlung in Wohnraum oder zur Rückkehr ins Herkunftsland. „Die anderen Städte gucken mit großem Neid auf unser Hilfesystem und auf die Gelder, die wir hier ausgeben.“

Mindestens 23 obdachlose Menschen sind vergangenes Jahr in Hamburg auf der Straße gestorben. Kritiker:innen fordern einen Paradigmenwechsel in der Hamburger Obdachlosenpolitik. Die Standards in den Unterkünften seien zwar spürbar gestiegen. Doch noch immer werde das Winternotprogramm für die meisten tagsüber geschlossen. Noch immer ­gebe es für zu wenige Menschen Einzelzimmer, in denen sie zur Ruhe kommen könnten. Und noch immer setze die Stadt zu hohe Hürden, statt „Housing First“ in großem Maßstab einzuführen. Obdachlosigkeit abschaffen bis 2030? Davon sei Hamburg weit entfernt.

„Das ist ein herausforderndes Ziel, das sich EU, Bund und die Stadt Hamburg gegeben haben. Wir arbeiten mit voller Kraft darauf hin“, sagt Schlotzhauer dazu. Hamburg habe jedoch als Stadtstaat begrenzte Möglichkeiten, sie wäre mit dieser Zielmarke lieber vorsichtig. Sie wolle gerne dazu bei­tragen, betont sie. Aber, so viel macht sie deutlich: mit Augenmaß, nicht mit der Brechstange.

Artikel aus der Ausgabe:

Nächster Halt: Gefängnis

Wegen Schwarzfahren in Haft? Tausende landen in Deutschland jedes Jahr im Gefängnis, weil sie sich kein Ticket für den öffentlichen Nahverkehr leisten konnten. Wir haben mit einem ehemaligen Häftling und einem ehemaligen Gefängnisleiter über die sogenannten Ersatzfreiheitsstrafen gesprochen.

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Autor:in
Annabel Trautwein
Annabel Trautwein
Annabel Trautwein schreibt als freie Redakteurin für Politik, Gesellschaft und Kultur bei Hinz&Kunzt - am liebsten über Menschen, die für sich und andere neue Chancen schaffen.

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