Die Bahn will verstärkt gegen Bettler und Musiker vorgehen: Dafür hat sie einen „neuen Service“ vorgestellt. S-Bahn-Fahrgäste können sich bei der Kunden-Hotline melden, wenn sie sich belästigt fühlen. Sozialarbeiter kritisieren das als Vertreibungsmaßnahme.
Die Worte, mit denen das Abendblatt den Sicherheitschef der S-Bahn Hamburg zitiert, sind markig: „Wir haben eine Nulltoleranzpolitik“. Diese bezieht sich vor allem auf Bettler und Musiker. Ihnen will man es in Zukunft „besonders schwer machen und gezielt gegen sie vorgehen“, sagte Stephan Schmidt gegenüber der Zeitung.
Am Mittwoch stellte der Betreiber Deutsche Bahn seinen „neuen Service“ vor. Fahrgäste der S-Bahn, die sich belästigt fühlen, können sich telefonisch bei der Kundendialog-Hotline beschweren. Sicherheitsmitarbeiter der Bahn rücken dann kurzfristig aus und greifen ein. Nach Erledigung erhalte der Anrufer auf Wunsch eine Rückmeldung.
Die Nulltoleranzpolitik sei nötig, weil sich viele Fahrgäste beschwert hätten, sagte Bahn-Sprecher Egbert Meyer-Lovis auf Hinz&Kunzt-Nachfrage. Zahlen hierzu kann der Sprecher allerdings nicht nennen. Die Fahrgäste könnten sich unter der Bahn-Nummer 39 18 43 85 melden.
Sozialarbeiter kritisieren Vertreibung
Straßensozialarbeiter Johan Graßhoff fürchtet, dass die Maßnahme der Bahn dazu führt, dass Bettler und Obdachlose verstärkt vertrieben werden. „Eine Denunzierung von bestimmten Gruppen ist absolut nicht tragbar“, so Graßhoff. Für obdachlose Menschen und Bettler werde es „immer schwieriger“ sich im öffentlichen Raum aufzuhalten, „dabei sind sie auf diesen angewiesen.“ Der Sozialarbeiter kritisiert, dass die Menschen allein aufgrund ihres Verhaltens stigmatisiert werden. „Die Ursachen, warum es Obdachlosigkeit oder bettelnde Menschen gibt, werden dabei verschwiegen“, so Graßhoff.
Denunzierung einzelner Gruppen absolut nicht tragbar– Straßensozialarbeiter Johan Graßhoff
Auch Hinz&Kunzt-Sozialarbeiter Stephan Karrenbauer ist entsetzt. Durch so eine Maßnahme würden einzelne Bettler herausgegriffen und an den Pranger gestellt. „Stattdessen müsste man über geeignete Maßnahmen für die Betroffenen sprechen“, so Karrenbauer.
Berliner S-Bahn zeigt, wie es besser gehen kann
Beispiel Berlin: Dort macht die S-Bahn gerade ganz andere Schlagzeilen. Zwar gehen die Sicherheitsleute der Bahn dort auch gegen Bettler und Musiker vor, die gegen die Beförderungsbedingungen verstoßen. Aber um Obdachlose in den Zügen kümmern sich seit Anfang des Jahres zwei Sozialarbeiter der Stadtmission – finanziert mit 65.000 Euro von der S-Bahn.
In ihrem Fokus stehen ein gutes Dutzend Menschen, „die sich aufgegeben haben“, sagt der Berliner Bahn-Sprecher Ingo Priegnitz. „Natürlich könnten wir mit Sicherheitskräften die Obdachlosen aus den Zügen holen“, sagt Priegnitz. „Aber das wäre für alle Beteiligten unbefriedigend.“ Stattdessen wolle die S-Bahn „dazu beitragen, dass die Obdachlosen eine neue Lebensperspektive bekommen.“ Schließlich seien sie auch ein Teil der Gesellschaft.
In Hamburg scheint man dies anders zu beurteilen. „Die S-Bahn Hamburg ist in erster Linie für ihre Fahrgäste da“, sagt Bahn-Sprecher Meyer-Lovis. „Sie ist kein geeigneter Ort für Obdachlose, für sie gibt es zahlreiche Angebote und Hilfseinrichtungen in Hamburg.“