Street-Art-Urgestein Werner Nöfer

Beachtliche Blickwinkel

Werner Nöfer vor einem Wandobjekt, das noch bis 1992 am Wallringtunnel hing. Foto: Mauricio Bustamante
Werner Nöfer vor einem Wandobjekt, das noch bis 1992 am Wallringtunnel hing. Foto: Mauricio Bustamante
Werner Nöfer vor einem Wandobjekt, das noch bis 1992 am Wallringtunnel hing. Foto: Mauricio Bustamante

Der Künstler Werner Nöfer erlebt derzeit ein Revival. Die Arbeiten des 87-Jährigen im öffentlichen Raum sind wieder hochaktuell. Er hat womöglich schon vor langer Zeit unsere heutige Handysucht vorhergesehen.

Hinz&Kunzt Randnotizen

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Die Sache mit Werner Nöfer ist die: Von den 1,8 Millionen Hamburger:innen hat vermutlich fast jede:r schon ein Werk des 1937 in Essen geborenen Grafikers und Malers gesehen – in den meisten Fällen aber wohl, ohne es zu wissen. Das ist das Schicksal von Kunst im öffentlichen Raum. Sie wird oft eher im Vorübergehen wahrgenommen, wenn überhaupt.

Ein Test: Die abstrakten Bilder, die den Eingang und den Flur des Abaton Kinos säumen? Stammen von Nöfer. Die Bilder, die die Eisbahn in Planten un Blomen einrahmen? Auch von Nöfer. Ob in den Gängen des Zoologischen Instituts an der Uni, an einem Hausdach in der Milchstraße, in einer Fußgängerzone in Bergedorf oder im Ergo-Versicherungs-Gebäude in der City Nord: Überall hat der heute 87-jährige Künstler in Hamburg seine Spuren hinterlassen: in knalligen Farben und mit grafischen Formen. Pop-Art für die Großstadt, die nur oberflächlich betrachtet bunt und fröhlich ist. „Alles so schön bunt hier“, war etwa ein Abendblatt-Artikel überschrieben.

„1968 gab es noch keine Graffiti.“

Werner Nöfer

„Bunt und fröhlich – das habe ich mir damals nicht ausgedacht, so würde ich das nicht bezeichnen“, sagt Werner Nöfer, als Hinz&Kunzt ihn im Oberhafen-Quartier trifft. Hier hat nicht nur der kleine Schaff-Verlag seinen Sitz, der 2023 ein großformatiges Buch über den Grafiker und Maler veröffentlicht hat. In den alten Gleishallen hängen derzeit auch drei große Emaille-Kunstwerke, die jahrelang „vergilbt und vergessen“ (Nöfer) in einem Schiffsschuppen an der Peute gelagert wurden und für die nach einer Für-immer-Heimat gesucht wird.

Was hat er sich denn gedacht, als er Ende der 1960er-Jahre angefangen hat, Siebdrucke und später Kunst auf Emaille zu machen? „Interpretation ist ja Sache des Rezipienten“, sagt Werner Nöfer, lächelt vielsagend und macht eine lange Pause. Er ist kein Fan davon, seine Arbeit zu erklären. Jörg Schilling und Jutta Drewes helfen da gern aus. Für den Verleger und die Art-Direktorin des Schaff-Verlages sind Nöfers Siebdrucke und Arbeiten hochpolitisch. Nöfer zeige eine Welt, die immer mehr verplant und eingeschränkt werde. Da können dann schon ein Verkehrsschild oder eine Parkuhr zum Symbol für gesellschaftliche Zwänge werden und im Umkehrschluss zum Kunstobjekt.

Das Wandbild „Periskopisch“ von Werner Nöfer und Dieter Glasmacher hat seit der Entstehung im Jahr 1971 seinen alten Glanz verloren. Bald wird es neu gemalt. Foto: Dorfmüller Klier/dorfmuellerklier.de

Wer genau hinschaue, dem eröffneten sich hinter den bunten Farben und grafischen Formen Landschaften, eine Umgebung, in der der Mensch die Natur immer weiter zurückdrängt. Darauf angesprochen, dass man in seinen Arbeiten ja nie Menschen sehe und ob diese ihm nicht so wichtig seien, reagiert Nöfer leicht gereizt auf die Hinz&Kunzt-Autorin: „Menschen sind nicht so wichtig? Das ist auch wieder so eine Bewertung, die ich nicht akzeptieren kann. Wo sollen die denn auch auftauchen?“, fragt er. Andersherum wird ein Schuh daraus: Nöfer lässt die Beobachter:innen durch Ferngläser, Okulare und allerhand technische Geräte auf die Landschaft blicken. Wir sehen, was sie sehen. Geradezu visionär hat er damit schon vor Jahrzehnten vorweggenommen, wie wir unsere Welt nicht mehr 1:1 wahrnehmen, sondern gefiltert durch technische Geräte. Stichwort Handysucht: „Das visuelle Originalerlebnis verliert an Wichtigkeit“, sagt er und man möchte diesen Satz allen Menschen, die einem auf Konzerten ihr Handy minutenlang vor die Nase halten, fett aufs T-Shirt drucken.

Zuletzt wurde ein Werk von ihm und seinem Freund Dieter Glasmacher, ebenfalls über 80 Jahre alt, zum Politikum: das Wandbild namens „Periskopisch“, das sich über 40 Meter an der Fassade des Clubs Grünspan erstreckt. „1968 gab es ja noch kein Graffiti“, erinnert sich Nöfer, „auch der Begriff Street-Art entstand erst später. Wir haben so eine Art Vorlauf gemacht“, sagt er bescheiden. Seit Jahren ist das Bild allerdings nur noch ein Schatten seines farbenprächtigen Originals: verblasst, verwittert und verziert mit allerlei Tags. Weil es mittlerweile unter Denkmalschutz steht – es gilt als erstes Wandbild in Europa! – sollte es nur ganz behutsam mit Farben aufgefrischt werden. So wollten es die Sprinkenhof AG als Eigentümerin, die Kulturbehörde und das Denkmalschutzamt. „Die wollten das restaurieren wie ein Kirchenbild“, sagt Werner Nöfer und schüttelt den Kopf. „Ich war echt sauer.“ Vor allem darüber, dass die städtischen Vertreter:innen die Urheberrechte so missachteten. In Interviews geißelten die Künstler die vorgeschlagene „Vintage-Version“ als „Real-Satire“. Nöfer und Glasmacher wollten das Wandbild schlicht neu malen. Nachdem lokale Medien groß über „den bizarren Streit um das Kult-Gemälde“ berichtet hatten, schaltete Nöfer einen befreundeten Anwalt ein. Die Denkmalschützer lenkten schließlich ein. Der Kompromiss: Das Bild wird noch mal neu gemalt auf eine Wand, die vor dem Original hochgezogen wird. Das soll aber erst im Frühjahr 2025 geschehen, wenn der ganze Häuserkomplex an der Kleinen Freiheit saniert wird.

Bis dahin kann man Werner Nöfer auf Instagram folgen. Der 87-Jährige hat nicht nur zwei geschäftliche Accounts, er nutzt das soziale Medium auch privat. „Da werden permanent tolle Sachen gezeigt, wenn man über diese Reels geht“, sagt er. Eine seiner aktuellen Arbeiten ist dann auch ganz im Hier und Jetzt verortet. Darauf zu sehen: ein iPhone.

Artikel aus der Ausgabe:

Das Spiel mit dem Geld

Unser Blick auf die EM: Was Sportwetten für Spielsüchtige bedeuten, ein Ausblick auf die Homeless Europameisterschaft und ein Portrait von Europas bester Blindenfußballerin, Thoya Küster vom FC St. Pauli.

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Autor:in
Simone Deckner
Simone Deckner
Simone Deckner ist freie Journalistin mit den Schwerpunkten Kultur, Gesellschaft und Soziales. Seit 2011 arbeitet sie bei Hinz&Kunzt: sowohl online als auch fürs Heft.

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