Lesung in Hamburg :
Richard Brox will Obdachlosen eine Stimme geben

Der ehemalige Obdachlose Richard Brox. Foto: Simon Veith

Richard Brox hat mehr als 30 Jahre auf der Straße gelebt; in Telefonzellen, in Abrisshäusern und in Notunterkünften geschlafen. Seine Biografie wurde zum Bestseller. Am 14. März liest der Mannheimer im Jakob-Junker-Haus aus seinem neuen Buch.

Hinz&Kunzt Randnotizen

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„Ich kenne bestimmt 5000 Obdachlosen-Einrichtungen in ganz Deutschland“, sagt Richard Brox, „in vielen werden Obdachlose behandelt wie der letzte Dreck.“ Auf seinem Blog berichtete er ab Ende der 1990-er Jahre von verschmutzten Betten, kaputten Möbeln und verschimmeltem Essen, lobte aber auch Positivbeispiele. Bis heute sind auf seiner Seite mehr als 900 Adressen von Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe abrufbar.

Nachdem Brox’ Biografie „Kein Dach über dem Leben“ 2017 zum Bestseller wurde, hat der Mannheimer nun ein Buch herausgegeben, das die aktuelle Lage obdachloser Menschen in Deutschland beleuchtet. 18 (ehemals) Obdachlose erzählen darin ihre Lebensgeschichte und belegen: Das Leben auf der Straße ist diverser geworden. Immer mehr Frauen, queere und jüngere Menschen sowie Arbeitsmigrant:innen sind heute obdachlos. So unterschiedlich ihre Geschichten sind, so übereinstimmend erzählen sie von Angst vor Gewalt, Ausgrenzung und Vertreibung.

Hinz&Kunzt: Herr Brox, warum dieses Buch jetzt?

Richard Brox: Wir sprechen von 50.000 obdachlosen Menschen in Deutschland (siehe Hochrechnung der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe), so hoch waren die Zahlen seit den 1950-er Jahren nicht mehr. Wenn Sie in Hamburg durch die Fußgängerzone laufen bis hin zu den Landungsbrücken: Da liegen an jeder Ecke Menschen auf der Straße – auch tagsüber. Das gab es vor fünf Jahren in der Form noch nicht.

Der Investigativjournalist Günter Wallraff hat das Vorwort zum Buch geschrieben, doch getragen wird das Buch von 18 (ehemals) Obdachlosen, die ihre Lebensgeschichte erzählen.

Es ist mein Herzensanliegen: Menschen zu Wort kommen lassen, die obdachlos sind oder waren. Wir haben mittlerweile so eine Vielfalt von Menschen, die auf der Straße sind, aus den unterschiedlichsten Gründen. Für die Autoren und mich war es wichtig, diesen Menschen einmal eine Stimme zu geben und zu zeigen: Jeder von ihnen hat ein anderes Schicksal. Viele Menschen trauen sich ja gar nicht, Obdachlose zu fragen, wie sie überhaupt auf die Straße gekommen sind. Was man spürt ist aber, dass die Gesellschaft diese Menschen alleine lässt. Nehmen Sie die Arbeitsmigranten: Wir holen Menschen ins Land und lassen sie hängen. Sie verelenden und sterben auf der Straße.



Richard Brox (Hg.): Deutschland ohne Dach – Die neue Obdachlosigkeit, Rowohlt, 288 Seiten, 13 Euro

Was müsste sich ändern?

Die Ämter sagen immer wieder: Gehen Sie doch dahin, wo Sie herkamen! Aber ich bin der Überzeugung, jeder Mensch hat das Recht hat, überall da zu sein und zu leben, wo er möchte.   Aber das kann er nicht einfordern. Es ist nur umsetzbar, wenn in jede Landesverfassung ein Recht auf Wohnen hineinkommt.

Stattdessen werden Obdachlose vertrieben und kriminalisiert. Bettelnde Menschen etwa.

Was sollen die Menschen denn tun, wenn sie sonst keine Möglichkeit haben? Menschen haben das Recht zu betteln. Oder nehmen Sie an, Sie haben als Obdachloser Zahnschmerzen, sind aber nicht krankenversichert. Weil jeder Arzt sie ablehnt, bleibt nur die Notfallbehandlung im Krankenhaus. Dort bekommen sie entweder Schmerzmittel oder ihr Zahn wird direkt gezogen. Sie werden viele Menschen auf der Straße sehen, die keine Zähne haben. Ich habe das selbst erlebt. Es gibt für Obdachlose keine Chance, einen Heilungsprozess durchzumachen. Sie werden immer kränker. Auf der Straße zu sein hat mit Leben nichts zu tun, da vegetiert man vor sich hin.

Sie sagen, Housing First sei ein gutes Modell gegen Obdachlosigkeit. Nach diesem Ansatz bekommen Obdachlose zuerst eine Wohnung. Alle weiteren Hilfen, eine Begleitung durch Sozialarbeiter:innen etwa, folgen im Anschluss und in Absprache mit den Menschen.

Ja, das ist die Ideallösung. Was nutzt mir ein guter Tagesaufenthalt, eine gute Wärmestube oder eine Notunterkunft? Eine eigene Wohnung ist noch immer die beste Lösung gegen Obdachlosigkeit.

Sie leben heute in einer Kölner WG, engagieren sich aber weiterhin für Obdachlose. Warum?

Ich besuche seit zehn Jahren ehrenamtlich schwerstkranke Obdachlose in Krankenhäusern. Gerade erst habe ich dazu beitragen können, dass zwei Obdachlose nach dem Krankenhaus in eine feste Unterkunft ziehen konnten. So etwa motiviert mich.

Lesung und Gespräch: Donnerstag, 14.03.24, 14 Uhr, Jakob-Junker-Haus der Heilsarmee, Borsteler Chaussee 23, Eintritt frei

Autor:in
Simone Deckner
Simone Deckner
Simone Deckner ist freie Journalistin mit den Schwerpunkten Kultur, Gesellschaft und Soziales. Seit 2011 arbeitet sie bei Hinz&Kunzt: sowohl online als auch fürs Heft.

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