Praktika ebnen Hauptschülern den Weg in die Ausbildung – doch zu wenige Firmen machen mit
(aus Hinz&Kunzt 149/Juli 2005)
Die Schule am Falkenberg in Neuwiedenthal gilt als Vorbild, wenn es um den Übergang von Hauptschülern in die Ausbildung geht. Seit fünf Jahren schicken die Lehrer dort ihre Kids im letzten Schuljahr zu längeren Praktika in Betriebe, um sie auf die Berufswahl vorzubereiten und Vorurteile bei Arbeitgebern abzubauen – bislang mit großem Erfolg. Doch dieses Jahr haben erst fünf von 21 Schulabgängern eine Lehrstelle gefunden.
Mike Thormann gehört zu den Glücklichen: Zum 1. August beginnt er seine Ausbildung zum Berufskraftfahrer. Dabei hat der 17-Jährige mit dem zurückhaltenden Auftreten mitunter durchaus Anlass zu Besorgnis geboten, berichtet Lehrerin Frauke Schultze von der Schule am Falkenberg. „Zerknittert und gelocht“ sei das Zeugnis gewesen, mit dem der Hauptschüler im November zur Spedition gegangen sei, um dort ein Praktikum zu ab-solvieren, erinnert sich die 50-Jährige. Warum es mit der Lehre dennoch geklappt hat, fasst Mike in einen schlichten Satz: „Ich hab mich dort einfach sehr gut gemacht.“
Hauptschülern mit Hilfe von Betriebspraktika den Weg zum Ausbildungsplatz ebnen: Das ist das Ziel des so genannten Praxistags. Seit Sommer 2000 suchen sich die Schule am Falkenberg und eine Handvoll weiterer Modellschulen Kooperationsbetriebe, die ihren Schülern Einblick in die Berufswelt vermitteln und später vielleicht auch eine Lehrstelle anbieten. Drei Praktika müssen die Neuntklässler absolvieren. Je eine Woche bleiben sie anfangs zur Einarbeitung, die folgenden zehn Wochen gehen sie jeweils mittwochs in einen Betrieb ihrer Wahl. Am Ende steht die Lösung einer praktischen Aufgabe, in der Kfz-Werkstatt etwa das Lackieren eines Kotflügels.
Julia Jakobs wollte ursprünglich Hotelfachfrau lernen. Nach ihrem ersten Praktikum wusste die 15-Jährige: „Das ist voll anstrengend!“ Auch die Bäckerei war nichts für sie. Dann arbeitete sie in einem Blumengeschäft mit. Das machte ihr Spaß. Doch sie erfuhr, „dass es da nicht viele Ausbildungsplätze gibt“. Nun will sie Krankenpflegerin werden, geht ab August auf eine staatliche Schule und sagt: „Der Praxistag hat mir viel gebracht. Ich habe gesehen, was ich nicht machen will.“
Das ist durchaus Sinn der Veranstaltung, meint Projektleiterin Frauke Schultze: „Wenn’s länger dauert, kriegt man mehr mit.“ So würde der vermeintliche Dachdecker erfahren, „dass nicht nur die Sonne scheint, sondern dass es auch mal hagelt“. Zudem erinnere die Struktur des Praxistags Schüler und Eltern immer wieder daran: „Das ist das letzte Schuljahr, jetzt geht es ums Bewerben.“ Die Zahlen geben dem Modell-projekt Recht: Jeder zweite Abgänger begann in den vergangenen Jah-ren direkt nach seinem Hauptschulabschluss mit einer betrieblichen Aus-bildung – Hamburgweit pendelt die Quote zwischen 10 und 20 Prozent.
Doch auch am Falkenberg schlagen die Verantwortlichen nun Alarm: Nachdem die „Erfolgsquote“ vergangenes Jahr zum gleichen Zeitpunkt sogar bei 70 Prozent lag, haben dieses Jahr nur 5 von 21 Hauptschulabgängern einen Ausbildungsvertrag in der Tasche. „Die Betriebe sagen uns neuerdings: ,Ein Azubi lohnt sich nicht. Da nehmen wir lieber ein paar Schrauber aus Polen‘“, berichtet Frauke Schultze. Und ein Kollege bekam zu hören: „Wozu sollen wir Hauptschüler ausbil-den, wo es doch genügend Angelernte auf dem Arbeitsmarkt gibt?“ Mancher Schüler habe bereits 25 Bewerbungen geschrieben – „und zwar ganz gezielt an Betriebe, von denen wir wissen, dass sie Hauptschüler nehmen“. Ohne Erfolg.
Weiteres Problem: Immer weniger Ausbildungsberufe stehen Hauptschülern überhaupt noch offen. Ercan Ceyhan zum Beispiel wollte Kfz-Mechaniker werden. Doch gab’s auf einmal nur noch den Kfz-Mecha-troniker, eine Synthese der früheren Ausbildungsberufe Elektriker und Mechaniker – und für den ist der Realschulabschluss Mindestvoraus-setzung. „Ich hab mich gewundert, warum ich immer nur Absagen bekam. Bis mich ein Lehrer aufgeklärt hat“, berichtet der 16-Jährige, der nun auf die Handelsschule geht. „Vielleicht kann ich danach ja Automobilkaufmann oder Kfz-Mechatroniker lernen.“
35 Hauptschulen sollen ab August den Praxistag zum Bestandteil des letzten Schuljahres machen, so die Pläne der Schulbehörde. Zwar wären die „Schnuppertage“ theoretisch für alle 65 Hauptschulen in Hamburg wünschenswert. Doch stößt das Modell an seine Grenzen. „Viele Betriebe blocken noch“, sagt Frauke Schultze. „Oder sie nehmen lieber einmal einen Praktikanten für zwei bis drei Wochen.“ Für die engagierte Lehrerin liegt die Lösung des Problems auf der Hand: „Wir brauchen eine Abgabe für Betriebe, die nicht ausbilden.“ So würden sich alle Unternehmen an den Kosten für einen qualifizierten Nach-wuchs beteiligen. In Dänemark werde das so gemacht. Die Folge: „Viel mehr Betriebe bilden aus, viel weniger Jugendliche bleiben auf der Strecke.“
Von den zehn Prozent mehr Lehrstellen, die es dieses Jahr laut Bundesregierung geben soll, haben sie in der Schule am Falkenberg noch nichts mitbekommen. „Eher sind es zehn Prozent weniger“, sagt Frauke Schultze und erzählt mit Zorn in der Stimme, dass neuerdings sogar Maler oder Fleischer bei ihren Lehrlingen mindestens einen Realschulabschluss sehen wollen. Die Konkurrenz wird härter.
Andreea Monus lernt seit einem Jahr Arzthelferin. In ihrer Berufsschul-klasse gibt es eine weitere Hauptschulabgängerin, so die 17-Jährige. „Der Rest hat Realschulabschluss oder Abitur.“ Andreea hat den Sprung in ihren Traumberuf dank des Praxistags geschafft: Der Arzt, heute ihr Arbeitgeber, habe „wie viele anfangs gedacht, dass Hauptschüler keine Lust auf gar nichts haben“, erzählt sie. Die zielstrebige junge Frau hat ihn eines Besseren belehrt: Sogar in den Schulferien half sie in der Praxis aus und bekam schließlich die Lehrstelle.