Etwa jede:r dritte Radfahrende fühlt sich unsicher auf Hamburgs Straßen. Wenn sich durch einen Unfall noch Angst dazu gesellt, kann man sogar komplett blockieren, wie Eva Romislava erfahren musste.
Schon der Gedanke ans Radfahren bereitete Eva Romislava zwei Jahre lang Bauchschmerzen – vor Angst: „Wenn ich mich aufs Fahrrad gesetzt habe, haben meine Beine blockiert“, sagt die 30-Jährige. Trotzdem habe sie es wieder versucht. Schon aus praktischen Gründen: Ohne Rad war der Weg zur Arbeit lang. Aber der Schock nach einem Verkehrsunfall 2022 saß tief.
Damals war sie mit dem Fahrrad auf einer belebten Straße in einer ihr fremden Stadt unterwegs. Als sie die Kontrolle verlor und stürzte, hatte sie zwar Glück: Sie überstand den Unfall körperlich unbeschadet. Aber ihre Sicherheit am Lenker war mit einem Mal verloren. „Wir tun immer so, als sei Radfahren das Einfachste auf der Welt“, sagt Christian Burmeister. „Aber mit Sätzen wie ‚Das kann doch jeder!‘ verstärken wir nur ein mögliches Trauma.“ Der 62-jährige Hamburger ist Radfahrlehrer – und derjenige, der es geschafft hat, dass Eva Romislava seit einigen Wochen wieder radelt.
Nicht punktgenau bremsen und Situationen nicht richtig einschätzen zu können, bereite vielen Menschen Angst, meint der Radfahrlehrer. Seine Erklärung dafür: Zu oft werde Radfahren noch durch Zeigen oder Beibringen gelehrt. Sein Ansatz hingegen setzt auf spielerisches Erproben. Deshalb fing Eva Romislava in einem einwöchigen Intensivkurs noch mal komplett bei null an. „Zwei Tage sind wir nur Roller gefahren“, erinnert sich die junge Frau. Lehrer Burmeister startet alle seine Kurse auf Tretrollern mit Handbremse.
So bringt er geflüchteten Frauen oder anderen Menschen, die noch nie auf einem Rad saßen, das Radfahren nahe. Bestätigt sieht sich der Radfahrlehrer durch eine Studie des Marktforschungsinstituts Ipsos. Demnach können gerade mal 61 Prozent der Deutschen radfahren. Und in Hamburg steigt trotz aller Bemühungen des Senats die Zahl der Grundschulkinder, die durch die Fahrradprüfung fallen. 2023 lag der Anteil bei knapp 30 Prozent.
Hinzu kommt die Angst vor den Gefahren des Straßenverkehrs: Laut einer aktuellen ADFC-Befragung hat etwa jede:r dritte Fahrradfahrende Angst vor Unfällen und bemängelt den Zustand der Radwege in Hamburg. Gut möglich, dass Eltern ihre Kinder deshalb nur zögerlich ans Rad heranführen. Lässt sich Sicherheit messen? Die grün geführte Verkehrsbehörde beispielsweise definiert 67 Prozent des etwa 1500 Kilometer umfassenden Radnetzes in Hamburg als „geschützt“ – addiert allerdings in die Berechnung auch Wege ein, die keine klare Trennung zwischen Fuß- und Radwegen vorsehen. Außerdem gibt es in Hamburg immer noch mehr Straßen mit
als ohne Radweg – dies betrifft 2000 von 3500 Kilometern Straße.
Umso wichtiger sei es, das Radfahren gut zu erlernen, sagt Christian Burmeister. Dabei hilft neben vielen gewerblichen Angeboten auch die Polizei. Mit der Aktion „Fahrradfuchs“ bietet sie in den Ferien kostenlose Kurse für Grundschulkinder an.
Fakt ist: Die Zahl der Verkehrsunfälle mit Radfahrenden ist in den vergangenen fünf Jahren in Hamburg um knapp 14 Prozent gestiegen. Der Senat verweist darauf, dass der Anstieg mit dem zunehmenden Radverkehr korrespondiert. Beunruhigend ist allerdings, dass allein vergangenes Jahr neun Radfahrende auf Hamburgs Straßen starben.
Ein besseres Radwegnetz allein schütze nicht vor Unfällen, meint Radlehrer Burmeister. Auch die Fahrenden selbst müssten sicher im Umgang mit dem Rad sein. An diesem Punkt steht Eva Romislava. Nach fünf Tagen Intensivkurs in Hamburg hat sie ihre Panik überwunden und fährt immerhin schon wieder kurze Wege – wenn auch noch nicht auf der Straße. Sie sagt: „Mein Ziel ist, dass ich im Sommer wieder an Radtouren teilnehmen kann.“