50 Verkäufer von Straßenmagazinen beim 5. bundesweiten Treffen in Hamburg
(aus Hinz&Kunzt 150/August 2005)
Viele Hinz&Kunzt-Verkäufer gelten künftig als Ein-Euro-Jobber. Nur bekommen sie den zusätzlichen Euro nicht vom Staat, sondern verdienen ihn sich auf der Straße. Das wurde beim 5. bundesweiten Verkäufertreffen in Hamburg erstmals öffentlich bekannt gegeben. Auch sonst war’s aufregend: Schließlich war Hinz&Kunzt Ende Juni Gastgeber für 50 Verkäufer von Straßenmagazinen aus ganz Deutschland.
Spinne und Thomas stehen unter Hochspannung. Die beiden Vertriebsmitarbeiter sind zusammen mit einer Gruppe von sechs Verkäufern und zwei weiteren Vertriebsmitarbeitern zuständig für das Treffen.
Thomas ist für die Transporte zuständig, Spinne hat die Küche unter sich. Es müssen Lebensmittel bei der Hamburger Tafel oder bei Firmen abgeholt werden. Spinne wälzt Listen und Pläne, spricht sich immer wieder mit Thomas ab. Wo können die Waren gelagert werden, was wird zu welcher Mahlzeit benötigt, was fehlt noch? Ist genügend Geschirr vorhanden, reichen die Getränke, bloß nichts vergessen. Tische und Bänke müssen noch gefahren werden. Der Transporter wird am Ende 550 Kilometer mehr auf dem Tacho haben.
Am Freitagmorgen beginnt die Tagung. Knapp 50 Verkäufer sind angereist – aus Rostock, Nürnberg, Stuttgart, Hannover, Regensburg, Freiburg, Dortmund, Osnabrück, Münster, Kassel, Jena und Schwerin. Zur Einstimmung drei Vorträge: Gabi Brasch, Mitglied des Vorstands des Diakonischen Werks Hamburg, ein Gesellschafter von Hinz&Kunzt, lobt die erfolgreiche Arbeit der Straßenzeitungen, geht aber auch auf die Verschlechterung der Bedingungen für Wohnungslose ein. Sie unterstützt unsere Forderungen nach bezahlbarem Wohnraum, Schutz vor Wohnungsverlust und nach sozialer Sicherung und Arbeit.
Martin Leo von pflegen & wohnen berichtet über das Winternotprogramm, das es in vielen anderen Städten nicht gibt. Immerhin stellen die Stadt, pflegen & wohnen und Kirchengemeinden insgesamt 1200 Notbetten bereit – als Erfrierungsschutz. Auch das Haus, in dem das unser Treffen stattfindet, gehört pflegen & wohnen. Normalerweise ist es eine Unterkunft für Zuwanderer. Im Winter wird ein Teil des Objektes als Unterkunft für Obdachlose genutzt.
Politisch besonders bedeutsam war das Referat von Bernhard Proksch, Amtsleiter in der Behörde für Wirtschaft und Arbeit. Er und seine Kollegen aus der Sozialbehörde fanden eine Pauschal-Regelung für Hinz&Kunzt. Das gemeinnützige Projekt gilt quasi als Beschäftigungsträger und Verkäufer als Ein-Euro-Kräfte. Allerdings bekommen sie den zusätzlichen Euro zum Arbeitslosengeld II nicht vom Staat, sondern verdienen ihn sich mit dem Zeitungsverkauf auf der Straße. „Wenn man die verkaufte Auflage durch die Zahl der Verkäufer teilt, wird deutlich, dass der durchschnittliche Verdienst unter der Zuverdienstgrenze von 133 Euro liegt“, so Proksch. Die meisten Verkäufer anderer Straßenmagazine wünschen sich für ihre Stadt eine Regelung wie die in Hamburg.
Ängste werden laut, als es um die Fußballweltmeisterschaft 2006 geht. Wird diese Großveranstaltung – wie in anderen Großstädten bei ähnlichen Veranstaltungen – zum Anlass genommen, Obdachlosen den Aufenthalt in den Innenstädten zu erschweren? Für diesen Fall wird einmütig von den Projekten entsprechender Protest angekündigt.
Kritische Äußerungen kommen, als es um die in vielen deutschen Städten beobachtete organisierte Bettelei durch osteuropäische Gruppen geht. Nicht (nur) die Konkurrenz ist es, die Sorgen macht. Von mehreren Verkäufern wurde beobachtet, dass behinderte ausländische Bettler ihr erbetteltes Geld an Hintermänner abgeben müssen (wir berichteten in der Juni-Ausgabe). Diese Form der Ausbeutung bereitet großes Unbehagen. Die Verkäufer fordern von den Behörden eine sozialarbeiterische Unterstützung für die Bettler, eine bilaterale, politische Intervention, um ihnen in ihrer Heimat zu helfen, sowie konsequentes polizeiliches Einschreiten, um mafiöse Strukturen aufzudecken und zu bestrafen.
Klar ausgesprochen wird sich gegen aufkommende rechtsradikale Tendenzen. Viele Verkäufer befürchten, dass sich radikal Rechte die soziale Unsicherheit zunutze machen könnten. Die Verkäufer sprachen sich gegen jeden Radikalismus aus, ob von rechts oder links.
Ein Hauptthema in eigener Sache: Gibt es Möglichkeiten, Straßenzeitungsverkäufer fest anzustellen? Marian, fest angestellter Verkäufer bei Trott-war in Stuttwart, stellt seinen Arbeitsvertrag vor: „Ich habe mich verpflichtet, im Monat mindestens 1000 Zeitungen zu verkaufen. Dafür bekomme ich ein Gehalt von 800 Euro netto. Ich bin damit sozial abgesichert, wie ein normaler Arbeitnehmer. Allerdings muss ich dafür auch zwischen 40 und 50 Stunden arbeiten.“ Das kostet Trott-war pro Jahr und Mann 5000 Euro. Dieses Geld versucht das Projekt durch Spenden zu akquirieren.
Die Meinung darüber ist geteilt. Einige erhoffen sich noch eine andere Perspektive auf dem Arbeitsmarkt, andere würden sich gar nicht in der Lage sehen, sich auf eine so hohe Verkaufszahl zu verpflichten. „Für mich ist das nicht vorstellbar, diese Anzahl in Hamburg überhaupt zu erreichen. Kaum einer unserer Verkaufsplätze würde das hergeben. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass viele unserer Verkäufer einem solchen Druck gewachsen wären“, sagt Peter aus Hamburg. Aber einig sind am Ende alle über eines: Die jährlichen Treffen sind ein wichtiger Bestandteil der Arbeit der deutschen Straßenzeitungen, und Spaß gemacht hat es auch allen.
Frank Belchhaus
Herzlichen Dank!
Ermöglicht haben dieses Treffen: Ami Dose und die Hamburger Tafel; pflegen & wohnen; Herr Schalt und Herr Zanger von der Firma EADS; die Vollkornbäckerei Effenberger; die Firma Feinkost Großmann und das Royal-Theater am Holstenwall. Herzlichen Dank an alle!