Am 4. September ist es wieder so weit: Kampf der Künste lädt zum Benefiz-Poetry-Slam für Hinz&Kunzt auf die Cap San Diego. Mit dabei: Slammerin Lucia, die zuletzt mit ihrem Text „Mathilda“ für Furore sorgte.
Wenn Poetry-Slammerin Lucia auf der Bühne steht, dann passiert etwas Magisches. Wörter, rundgeschliffen wie Kiesel in einem Bachbett, fügen sich in hohem Tempo zu einer ausgeklügelten Komposition zusammen. Mit schnellen Beats und hoher Konzentration treibt die zierliche junge Frau die Zuhörer durch ihre kleinen Geschichten, die vom Leben, Lieben und manchmal auch vom Sterben erzählen.
Klingt dramatisch, kann aber auch derb und saukomisch sein – Lucia hat viele Facetten. Eine davon hat ihr im vergangenen Jahr den Durchbruch als Poetry-Slammerin gebracht, wenn auch eher unfreiwillig.
Ihr Text „Mathilda“ erzählt von einer jungen Frau, die sich für ihren vermeintlich unperfekten Körper schämt und die bei ihrer Suche nach Bestätigung Opfer eines sexuellen Übergriffs wird.
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Gekürzte Fassung ging viral
Der NDR warb damit – in gekürzter Fassung – für die Ausstrahlung des Finales der deutschsprachigen Poetry-Slam-Meisterschaften und reduzierte den Text auf das Geschehen des sexuellen Missbrauchs. Darüber kann sich Lucia immer noch aufregen.
„Die haben mich nicht mal gefragt, ob sie damit werben – geschweige denn meinen Text beschneiden dürfen“, sagt sie und wurschtelt die lange dunkle Haarpracht zusammen. „Das, was letztlich als Facebook-Video viral gegangen ist, waren ja nur die letzten zweieinhalb Minuten eines fünfminütigen Textes.“
„Kunst muss nicht helfen“– Lucia
Der Hype reduzierte die Hamburgerin auf die Rolle einer Feministin in einem von Männern dominierten Genre, die vor allem düstere Texte schreibt. Immer wieder wurde sie mit der Frage konfrontiert, ob „Mathilda“ ihre eigene Geschichte erzählt. „Puh“, macht sie und schiebt die Brille ein Stückchen höher, holt tief Luft und klärt erst mal Grundsätzliches. „Poetry-Slam ist nicht authentisch“, sagt sie nachdrücklich. „Unterhaltung ist nicht echt!“
„Beim Poetry-Slam sind mir keine Grenzen gesetzt“
Ihre Ideen findet sie zum Beispiel bei Gesprächen mit Freunden, in Texten, Filmen und in ihrem weiteren Umfeld. Sie mischt sie mit eigenen Gedanken und Erfahrungen: „Ich bin der Filter.“ Natürlich sind Auftritte wie der beim Benefiz-Poetry-Slam zugunsten von Hinz&Kunzt geprobte Performances, „alles passiert doch auf einer Bühne“.
Bei Schauspielern sei die Unterscheidung zwischen Privatem und der jeweiligen Rolle leichter, findet sie. „Beim Poetry-Slam ist es nicht einschätzbar. Aber auch da wird eine Rolle verkauft.“ Für die Zuhörer ist das oft nicht erkennbar, sie sehen die Lucia auf der Bühne als die einzig wahre Lucia.
Kampf der Wortakrobaten
Diego, Luke 5, Überseebrücke. Einlass: 19.30 Uhr, Beginn: 20 Uhr. Moderation: Rasmus Blohm. Vorverkauf 12 Euro (zzgl. Gebühren), Abendkasse 14/12 Euro
Für die Künstlerin ist das manchmal eine Gratwanderung. Es macht sie schon ein bisschen beklommen, dass Erwachsene nicht trennen können zwischen Realität und Fiktion. „Ich kann Geschichten erfinden, muss nicht bei der Realität bleiben. Mir sind keine Grenzen gesetzt, ich darf jeder sein und bin niemandem verpflichtet“, sagt sie.
Damit das so bleibt, ist sie sparsam mit persönlichen Angaben. „Je weniger ich preisgebe, umso freier mache ich mich in dem, was ich sein möchte. Ich kann Persönliches zeigen, ohne dass es als solches erkannt wird.“
Die Reaktionen auf „Mathilda“ haben sie nachdenklich gemacht und ihr ihre Verantwortung als Künstlerin vor Augen geführt. „Der Text ist schwer zu ertragen für Opfer sexueller Gewalt“, hat sie gelernt und denkt über eine Warnung vor dem Vortrag nach, „denn mit so einem Thema kann man nicht unbedingt rechnen, wenn man zu einem Poetry-Slam geht.“
„Ich muss nicht bei der Realität bleiben
“– Lucia
Sie sei auch kritisiert worden, dass der Text keine Lösung anbiete. „Kunst muss nicht helfen,“ findet sie. Eigentlich, sagt sie, gibt es mindestens drei Lucias. Diejenige, die die Geschichten schreibt; diejenige, von denen die Texte handeln; und dann noch diejenige, die sie auf der Bühne vorträgt. „In einer Minute muss man das Publikum einwickeln, in fünf seine Geschichte erzählen“, sagt sie mit leuchtenden Augen.
Eigentlich ist sie eher faul, sagt Lucia
Das macht Spaß, kann aber auch Arbeit sein. Das Schreiben kann manchmal wochenlang dauern. „Ich bin eigentlich faul und undiszipliniert“, sagt sie grinsend. Dass sie im Moment davon leben kann, wundert sie selbst. „Vielleicht sollte ich mir einen ganz alltäglichen Job suchen, damit ich etwas erlebe, worüber ich schreiben kann und nicht irgendwann nur noch übers Schreiben schreibe – oder das, was die Leute hören wollen“, überlegt sie laut.
Für wen sie ihre Texte denn schreibt? „Ich mache das für mich“, sagt sie zufrieden. „Ich habe eine riesige Freiheit, in der ich mich suhle.“