Flaschensammlern helfen ist eine gute Sache. Wir dürfen aber nicht vergessen, was das eigentliche Problem ist: die immer größer werdende Armut.
(aus Hinz&Kunzt 271/September 2015)
Wir haben in den vergangenen Monaten viel für Flaschensammler bewegt. Nachdem wir beklagten, dass sie nicht in die neuen Big-Belly-Mülleimer in der Innenstadt hineingreifen können, hat der Senat 100.000 Euro für Pfandregale bereitgestellt, die nach und nach installiert werden. Nach unseren Berichten über Strafanzeigen gegen Flaschensammler am Flughafen und der anschließenden Onlinepetition wurden die Anzeigen zurückgenommen. Pfandsammeln ist dort in der Folge jetzt erlaubt, auch am Flughafen gibt es Pfandringe.
Unterm Strich haben wir das Leben für die Flaschensammler in Hamburg etwas leichter machen können. Darüber freuen wir uns, und auch von unseren Lesern bekommen wir dafür viel Zuspruch. Und trotzdem dürfen wir damit nicht zufrieden sein.
Dass es immer mehr Flaschensammler gibt, daran haben wir uns gewöhnt. Viele von ihnen haben wir in den vergangenen Monaten kennengelernt. Da war der Rentner, der am Flughafen schon als Arbeiter die Rolltreppen mit gebaut hat und jetzt jeden Tag aus Wedel mit der S-Bahn kommt, um am Airport im Müll zu wühlen. Da war der Softwareentwickler, der seit zehn Jahren keine Gehaltserhöhung mehr bekommen hat und deshalb nach Feierabend regelmäßig einmal die Mülleimer in der Mönckebergstraße abklappert. Da war der Koch, der in der Nebensaison keine Anstellung fand und täglich sechs Stunden die Innenstadt nach Pfandgut durch- kämmte. Die Obdachlosen oder psychisch Kranken, die kaum eine andere Möglichkeit haben, Geld zu verdienen.
Warum sind Menschen überhaupt gezwungen, im Müll zu wühlen?
Das eigentliche Problem ist, dass all diese fleißigen Menschen gezwungen sind, für ihr Auskommen im Müll zu wühlen. Dass regelmäßig Studien mit dem Ergebnis veröffentlicht werden, die Kluft zwischen Arm und Reich in diesem Land werde immer größer. Dass wir uns daran gewöhnt haben, dass es so ist. Dass wir daran nichts ändern konnten, obwohl wir es seit Jahren anprangern.
Klar ist es ein Skandal, dass den Pfandsammlern das Leben mit Strafanzeigen und Hausverboten auch noch schwerer gemacht wird. Und wir müssen weiter dafür streiten, dass sie nicht kriminalisiert und vertrieben werden – zum Beispiel an den Bahnhöfen der Deutschen Bahn. Unser Ziel muss aber eine Gesellschaft sein, in der niemand darauf angewiesen ist, im Müll zu wühlen.
Die verantwortlichen Politiker dürfen wir nicht damit davonkommen lassen, ein paar Pfandregale aufzuhängen und so die Symptome ihrer eigenen Politik abzumildern. Nachhaltige Maßnahmen gegen Armut müssen her. Packen wir’s an!
Text: Benjamin Laufer
Foto: Mauricio Bustamante