„Passagiere dritter Klasse“

Der tansanische Bischof Israel-Peter Mwakyolile über Armut, ethisches Handeln und Aids

(aus Hinz&Kunzt 149/Juli 2005)

Hinz&Kunzt: Die G-8-Staaten haben im Juni einen Schuldenerlass für die 18 ärmsten Länder be-schlossen. Tansania sollen 7,2 Milliarden US-Dollar erlassen werden. Hilft das dem Land?

Israel-Peter Mwakyolile: Bestimmt. Schon 1999 hat Tansania von einem Schuldenerlass profitiert. Mit dem Geld wurden Straßen und Schulen instand gesetzt, Trinkwasserversorgung und Gesundheits-system ausgebaut. Weil Schulgebühren abgeschafft wurden, besuchen inzwischen mehr Kinder die Schule.

H&K: Bleibt die Abhängigkeit vom Export nicht dieselbe, auch wenn Schulden gestrichen werden?

Mwakyolile: Natürlich sind afrikanische Länder weiter abhängig. In Tansania geben derzeit viele Bauern den Kaffeeanbau auf, weil die Ernte nichts mehr einbringt. Was wir für unsere Exportprodukte bekommen, legen ja andere fest. Sehr positiv dagegen ist der faire Handel mit Partnern im Norden. Das Volu-men ist zwar nicht groß, aber die Produzenten in Tansania erhalten gerechtere Preise.

H&K: Was unternimmt die evangelische Kirche in Tansania gegen Armut?

Mwakyolile: Wir investieren in Bildung und Erziehung und unterhalten zum Beispiel eigene Schulen. Wer arm ist, muss lernen, Chancen zu erkennen – anstatt zu resignieren. Das versuchen wir mit besserer Bildung zu erreichen. Außerdem will meine Diözese als Starthilfe Kre-dite an Kleinbauern vergeben.

H&K: Sie selbst resignieren angesichts der Armut jedenfalls nicht?

Mwakyolile: Nein! Wir können etwas tun, wenn sich Regierung, Kirche und Nichtregierungsorganisationen gemeinsam bemühen. Und wenn wir international zusammenarbeiten. Auch die Deutschen müssen dafür kämpfen, dass die Lebensbedingungen der Menschen in Afrika besser werden. Wir sitzen im selben Boot – nur sitzen Sie in der ersten und ich in der dritten Klasse.

H&K: Das scheint vielen Passagieren in der ersten Klasse ziemlich egal zu sein…

Mwakyolile: Gemeinschaftlich zu denken und zu handeln ist ein Gebot der Menschlichkeit. Jeder hat das gleiche Recht, auf dieser Welt zu le-ben. Wenn ich sehe, dass ein anderer nicht einmal existenzielle Be-dürfnisse befriedigen kann, muss ich doch nachdenklich werden und mein Verhalten ändern.

H&K: In Tansania ist schätzungsweise jeder Zwanzigste HIV-infiziert oder bereits an Aids erkrankt. Was tut die Kirche?

Mwakyolile: Wir haben 2004 ein Programm zur Aids-Aufklärung ge-startet. Es richtet sich vor allem an junge Menschen in den Dörfern. Außerdem haben wir am Sitz unserer Diözese ein Beratungszentrum eingerichtet, in dem wir HIV-Tests anbieten.

H&K: Die lutherischen Bischöfe in Tansania sehen in ihrer „Bukoba-Erklärung“ Aids auch als Folge der Globalisierung. Sie trage zum Ver-fall der Sitten bei und fördere die „unmoralische“ Homosexualität. Davon, dass Kondome gegen eine Infektion schützen, ist in dem ganzen Papier nichts zu lesen.

Mwakyolile: Das ist die offizielle Position meiner Kirche. Um die Aus-breitung von Aids zu verhindern, predigen wir eheliche Treue und für Unverheiratete sexuelle Enthaltsamkeit. Paare ermutigen wir, sich testen zu lassen. Wenn dann einer positiv ist, sage ich: Ihr müsst ein Kondom benutzen – um des Menschen selbst willen und aus Liebe zum Nächsten.



Das Gespräch führte Detlev Brockes

Israel-Peter Mwakyolile (48) ist seit 2002 Bischof der evangelisch-lutherischen Kirche in Tansania. Seine Diözese hat rund 93.000 Mitglieder. Der Theologe hat an der kirchlichen Hochschule im fränkischen Neuendettelsau promoviert. Mitte Juni war er auf Einladung der Nordelbischen Kirche in Hamburg und besuchte unter anderem Hinz&Kunzt

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