„Wahnsinn, ich singe eine Hauptrolle“: Die Reihe „Opera piccola“ feiert im Februar ihren zehnten Geburtstag. Beim Jubiläumsstück „Die Schneekönigin“ stehen Schüler aus ganz Hamburg auf der Bühne.
(aus Hinz&Kunzt 216/Februar 2011)
Der Splitter trifft mitten ins Herz. Kay stöhnt vor Schmerz auf, dann sackt er zusammen. Seine Freundin Gerda kauert ängstlich neben ihm. Eben haben die Kinder noch ausgelassen gespielt und gesungen, nun dieser Schock. Kay rappelt sich zwar schnell wieder auf, scheint sogar unverletzt. Doch der Junge hat sich verwandelt, sein Herz ist durch den Splitter eiskalt geworden: „Schluss mit dem Gesang“, schimpft er, „was soll diese alberne Kinderei?“ Dann wendet er sich verächtlich von Gerda ab und verschwindet.
Doch damit beginnt das Abenteuer für die beiden erst. Genau wie für Sophie. Denn die 13-Jährige spielt in der Kinderoper „Die Schneekönigin“ die Rolle der Gerda. Das Stück nach dem Märchen von Hans Christian Andersen feiert im Februar auf Kampnagel Premiere, zugleich ist es das zehnte Jubiläum der Reihe „Opera piccola“ – ein Projekt der Hamburgischen Staatsoper, bei dem Schüler aus der ganzen Stadt für ein junges Publikum singen und im Orchester mitspielen.
Sophie tritt dabei das erste Mal vor großem Publikum auf. „Und gleich in einer Hauptrolle,“ freut sie sich, „Wahnsinn!“ Dabei geriet sie eher zufällig in die Besetzung: Eine Freundin, die im Vorjahr bei der „Opera piccola“ mitgemacht hatte, erzählte ihr vom Casting-Aufruf in einer Zeitung für „Die Schneekönigin“. „Sie selbst konnte nicht hingehen“, erklärt Sophie, „da habe ich es halt probiert.“ Sophie lacht. Um sie herum wuseln rund 20 weitere Kinder und Jugendliche und machen sich bereit für ihren Auftritt, hier fehlt noch eine Blumengirlande als Kopfschmuck, da gibt es – passend zum Wetter – leichtes Winterchaos: „Ich glaube, wir haben einen kleinen Schneeflockenüberschuss“, ruft Regisseurin Nicola Panzer, „ein paar von euch Flocken müssen runter von der Bühne. Und bitte Ruhe im Blumenbeet.“
Sophie bleibt währenddessen gelassen, konzentriert sich voll auf ihre Rolle. Sie fing schon als Sechsjährige bei den „Alsterspatzen“ an zu singen, seit zwei Jahren besucht sie nachmittags außerdem eine Musicalschule. „In meiner Familie ist sonst niemand musikalisch“, erzählt sie. „Aber ich liebe es, mich übers Singen mitzuteilen. Als Gerda kann ich mit meinen Liedern ganz unterschiedliche Gefühle ausdrücken – und zum Schluss sogar Kays Herz wieder auftauen.“
Auf der Suche nach ihrem Freund begegnet Gerda aber erst einmal allerlei skurrilen Weggefährten, darunter einer geheimnisvollen Blumenfrau, sprechenden Raben, einer Prinzenfamilie und einer Räubertochter. Am Ende reist sie bis nach Lappland, um Kay dort aus dem Bann der bösen Schneekönigin zu befreien. Treuer Begleiter ist ihr dabei ein Rentier, gespielt vom 15-jährigen Fabian. „Die Rolle passt zu mir“, findet er. „Erst ist das Rentier ängstlich, will nur seine Ruhe haben und fressen.“ Fabian grinst. „Aber letztlich springt es doch über seinen Schatten und handelt wie ein Held.“
Für Nicola Panzer sind Sophie, Fabian und Co sowieso längst Helden. „Es ist toll, was die Kinder hier leisten“, sagt sie. „Das Niveau, auf dem sie arbeiten, ist extrem hoch.“ Die Regisseurin der Schneekönigin studiert das Stück seit dem Ende der Sommerferien mit 55 Kindern und Jugendlichen zwischen acht und 16 Jahren in zwei Besetzungen ein, finanziell unterstützt wird das aufwendige Projekt von der Haspa sowie der Stiftung zur Förderung der Hamburgischen Staatsoper. Fast täglich stehen mehrstündige Proben an: „Seit es die Ganztagsschulen gibt, haben wir deshalb auch viel weniger Bewerber als in den ersten Jahren“, erzählt Nicola Panzer. „Viele Kinder, die gerne bei uns mitmachen würden, schaffen es zeitlich nicht. Das ist vor allem deshalb schade, da es an Schulen kein vergleichbares Angebot gibt. Da gibt es höchstens Theatergruppen.“
Die, die trotzdem zur „Opera piccola“ kommen, sind dafür mit Herzblut dabei. Selbst dann, wenn sie eigentlich schon „zu alt“ sind: Auftritt Sara-Maria als Schneekönigin. Die 20-Jährige singt die einzige Erwachsenenpartie des Stückes und zieht mit ihrer melodischen, kraftvollen Stimme und ihrer starken Ausstrahlung nicht nur Kay in ihren Bann. Auch die Kinder, die gerade Pause haben und bis eben noch leise tuschelten, halten jetzt inne, kein Mucks ist mehr zu hören. Schließlich steht mit Sara-Maria schon ein richtiger Profi auf der Bühne: Sie fing mit sechs Jahren in verschiedenen Kinderchören an zu singen, 2002 machte sie bei der ersten Produktion der „Opera piccola“ mit und sang sogar schon kleine Kinderpartien bei Erwachsenenopern wie „Hänsel und Gretel“ oder „Carmen“. „Die Proben waren der beste Gesangsunterricht, den man sich vorstellen kann“, sagt sie, „außerdem habe ich dort meine Leidenschaft für die Bühne entdeckt.“ Heute studiert Sara-Maria Gesang an der Hochschule für Musik in Hamburg, die Oper als Kombination aus Gesang und Schauspiel ist ihr Traumarbeitsplatz: „Ich möchte Opernsängerin werden“, sagt sie. „Unbedingt.“
Fabian sieht sich zukünftig ebenfalls auf großen Opernbühnen. Dass Gleichaltrige Oper eher „uncool“ oder peinlich finden, stört ihn nicht. „Diejenigen, die über Oper lästern, waren doch meist noch gar nicht dort“, sagt er. Die Mitschüler, die anfangs über Fabians Leidenschaft fürs Singen lächelten, haben ihre Meinung jedenfalls schnell geändert: „Zu meinem ersten Auftritt ist die ganze Klasse gekommen“, sagt Fabian zufrieden, „und am Ende habe ich von ihnen am meisten Applaus bekommen.“
Lob gibt es heute auch von Benjamin Gordon, dem musikalischen Leiter der Kinderoper. Er ist seit Beginn der Reihe dabei und freut sich jedes Jahr auf die Arbeit mit den Sängern und den Schülern, die im Orchester mitspielen – auch wenn es manchmal anstrengend ist. „Ich war als Kind sehr musikalisch und sehr frech, habe dabei so manche Erwachsene genervt“, erinnert er sich und fügt fröhlich hinzu: „Jetzt ist es mein Schicksal, selbst die andere Seite kennenzulernen.“
Ein klassisches Musikstudium helfe ihm bei seiner Arbeit mit den Kindern jedenfalls wenig: „Was wir hier machen, ist immer auch ein Stück weit Sozialpädagogik und Geduldsprobe“, sagt er. „Und zwar gerade, weil wir ans fertige Stück die gleichen Ansprüche haben, wie an eine Erwachsenenoper.“
Das spüren auch die Kinder: Irgendwie durchmogeln ist nicht, jeder Ton muss sitzen, jede Geste und Bewegung zur Rolle passen. Für Sophie kein Problem, die Figur der Gerda liegt ihr im Blut: „Sie ist entschlossen, sie ist ehrgeizig und sie gibt niemals auf“, zählt Sophie auf. „Genau wie ich.“ Dann springt sie auf die Bühne und ergänzt: „Ich bin allerdings noch einen Tick extrovertierter.“
Text: Maren Albertsen
Foto: Mauricio Bustamante