Omas gegen Rechts

„Alerta! Alerta! Wir Omas sind härter!“

Demo gegen die AfD vor dem Rathaus Altona am 27. März 2024. Laut und deutlich dabei: Die Omas gegen Rechts. Foto: Imke Lass
Demo gegen die AfD vor dem Rathaus Altona am 27. März 2024. Laut und deutlich dabei: Die Omas gegen Rechts. Foto: Imke Lass
Demo gegen die AfD vor dem Rathaus Altona am 27. März 2024. Laut und deutlich dabei: Die Omas gegen Rechts. Foto: Imke Lass

Die „Omas gegen Rechts“ kämpfen für Demokratie und Toleranz – auch nach den Wahlen. Sie sagen: Die Politik der AfD schadet den Ärmsten.

Hinz&Kunzt Randnotizen

Freitags informieren wir per Mail über die Nachrichten der Woche:

Annelie Weiler (67) dreht am Verstärker. „Ölt eure Stimmen!“, ruft sie ihren Mitstreiterinnen zu. Die Melodie von „Bella Ciao“ erklingt, der Lautsprecher ist auf das Altonaer Rathaus gerichtet. Dort versammeln sich hinter Absperrgittern AfD-Abgeordnete und Sympathisant:innen. „Höcke ciao, Weidel ciao, Chrupalla ciao ciao ciao, eines Morgens, in aller Frühe, wach ich auf und ihr seid weg!“, singen die Frauen. Dazu halten sie Schilder und Banner hoch: „Omas gegen Rechts – Für Toleranz, Vielfalt und Menschenrechte.“

Das war am 27. März 2024, zehneinhalb Wochen vor der Bezirks- und Europawahl, die Teile der Deutschlandkarte in AfD-Blau färbte. Die Partei, die der Verfassungsschutz als rechtsextremistischen Verdachtsfall einstuft, blieb zwar hinter den Umfragewerten zurück, wurde aber in vielen Wahlkreisen stärkste Kraft. Hinzugewonnen hatte sie auch in Hamburg, auch jüngere Wähler:innen stärkten sie. In der Rückschau stellt sich die Frage: Sangen die Omas in Altona bereits auf verlorenem Posten?

„Hass ist das, was wir hier nicht haben wollen.“

Omas gegen Rechts

Am selben Straßenrand, ein paar Meter weiter, stehen damals rund 300 Antifaschist:innen und skandieren: „Ganz! Hamburg! Hasst die AfD!“ Die Omas rufen mit: „Ganz! Hamburg! Stoppt die AfD!“ So passe es besser, finden sie. „Hass ist ja das, was wir hier nicht haben wollen.“ Die Omas verteilen Flyer, viele nehmen sie mit, ein Senior applaudiert. „Alle mal lächeln!“, ruft Annelie Weiler. „Wir werden gefilmt!“ Auf dem Rathausbalkon stehen grauhaarige Männer hinter ihren Handykameras. Die Omas winken mit den Schildern und rufen: „Alerta! Alerta! Wir Omas sind härter!“

Nach und nach verziehen sich die Handyfilmer vom Balkon, drinnen beginnt Bernd Baumann seine Rede. Der parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Bundestagsfraktion spricht von „Araberclans“, „Gewalt auf den Straßen“ und „Frauen in Angst wie nie zuvor“ – und suggeriert, Schuld seien Geflüchtete, Migrant:innen und eine „verrückt gewordene politische Klasse“. Applaus im Saal für Baumann, der damals eine rechtsextreme Mitarbeiterin beschäftigt, den CorrectivBericht über das Potsdamer Treffen von AfD- und CDU-Mitgliedern mit Neonazis als „infame Kampagne“ bezeichnet und in einem ZDF-Interview zwei Monate zuvor Björn Höcke in Schutz nimmt.

Ein verfassungstreuer Demokrat – so sieht sich Baumann, so ist auch das Selbstbild seines Publikums. „Antidemokratisch“ dagegen sei der Protest gegenüber, sagt einer der AfD-Anhänger vor dem Altonaer Rathaus. Warum? „Ich wurde als Arschloch bezeichnet.“

Annelie Weiler kommentiert das mit einem Schulterzucken. Sie trifft öfter auf Rechte, die sich als Opfer darstellen. Jedes Mal, wenn die AfD eine öffentliche Veranstaltung abhält, stellen sich die Omas gegen Rechts in der Nähe auf, informieren über das Grundsatzprogramm der Partei, verteilen Flyer oder singen ihre Lieder. Auf jeder großen Demo gegen Rechts sind ihre Schilder zu sehen, Ende Februar spricht eine der Omas zu mehr als 50.000 Demonstrierenden am Dammtor. Fünf Ortsgruppen gibt es in Hamburg, deutschlandweit zählt die Bewegung nach eigener Schätzung rund 30.000 Mitglieder. Auch Opas schließen sich vereinzelt an, bleiben aber im Hintergrund. „Die Omas gegen Rechts sind die größte Frauenbewegung, die wir gerade haben“, schreibt die taz.

Dabei ist die Präsenz auf der Straße nur ein Teil ihrer politischen Arbeit. Die Omas gegen Rechts treffen sich in Gesprächskreisen, schließen sich mit anderen Initiativen zusammen, laden zu Vorträgen ein oder sind selbst Referentinnen. Und sie bilden sich fort – wie in Bergstedt bei der „Stammtischkämpfer*innen-Ausbildung“ des Bündnisses „Aufstehen gegen Rassismus“, wenige Tage vor der Mahnwache in Altona.

„Na, wer macht den AfDler?“, fragt Regina Valk (76) in die Runde. Gruppenarbeit mit Rollenspiel steht auf dem Plan: Eine Oma soll populistische Thesen dreschen, eine andere schlüpft in die Rolle der Adressatin, zwei weitere beobachten die Szene. Die Übung dient dazu, im Gespräch mit Rechten Paroli bieten zu können. Aber niemand will hier hetzen. „Dann mach ich das eben“, sagt Valk und legt los: „Viel zu viele Flüchtlinge“ habe man hier, Deutschland sei das „Sozialamt der Welt“ … Sie gerät richtig in Fahrt, spricht von „Umvolkung“ und steigert sich in Verschwörungsfantasien. Dann fällt sie aus der Rolle: „Ihr müsst auch mal was sagen!“ Doch ihre Mitspielerinnen sind ratlos: Wo ist zwischen den immer kruderen Thesen noch Platz für ein Argument? Auch Annelie Weiler macht bei der Ausbildung zur „Stammtischkämpferin“ mit. Die Rolle der Rechten sei ein leichtes Spiel gewesen, sagt sie. „Ich musste nur im Brustton der Überzeugung immer wieder dasselbe vorbringen.“

Die Omas gegen Rechts in Bergstedt wollen solche Situationen nicht mehr ohnmächtig ertragen müssen. Sie wollen dagegenhalten können, trotz Meinungsverschiedenheiten im Gespräch bleiben und dort, wo es noch möglich ist, überzeugen. Für Demokratie und respektvolles Miteinander – darauf ziele die Bewegung, erklärt Ines Lessing (70). Im Alstertal ist sie eine der Omas der ersten Stunde.

„Die AfD ist der Motor, der den Rechtspopulismus vorantreibt“, sagt Lessing. Treibstoff aber sei die soziale Schieflage, die Kluft zwischen Arm und Reich, die viele Menschen mit Zukunftsangst und schwindendem Vertrauen in die Politik zurücklasse. Die AfD nutze die Versäumnisse anderer Parteien aus, indem sie sich als Kümmerer gebärde – wohl mit Erfolg: Bei der Wahl schnitt die Partei in einkommensschwachen Kreisen deutlich besser ab als in einkommensstarken. Dabei sei sie an einer Lösung der Probleme prekär lebender Menschen gar nicht interessiert, sagen die Omas. Im Gegenteil: Von einer Wirtschaftspolitik im Sinne der AfD würden Unternehmen und Besserverdienende profitieren, gekürzt würde bei der Versorgung der Ärmsten. „Die ersten Opfer der AfD sind die, die sie wählen“, sagt Regina Valk.

Doch darüber aufzuklären, ist Arbeit. Vorträge und Plena vorbereiten, Räume anfragen, Flashmobs organisieren, Flugblätter verteilen, E-Mails bearbeiten, Vorträge halten und sich nebenher immer weiter informieren über die rechte Szene und ihre Ausläufer – „streckenweise ist es fast ein Vollzeitjob“, sagt Valk. Sie und ihre „Mit-Omas“ machen ihn, weil sie schon bei den Querdenker-Demos in der Pandemie nicht einfach zugucken konnten, weil rechter Hass sie aufregt und sie gar keine Alternative sehen, als dagegen aufzustehen. Doch die Jüngeren zu erreichen, sei eine Herausforderung –, obwohl den Omas in sozialen Medien auch die Herzen jüngerer Nutzer:innen zufliegen. „Wir werden gemocht von den Jugendlichen“, sagt Valk. Aber für echte Bündnisse reiche das bisher nicht.

Nach dem Wahltag wirken die Omas ernüchtert. Sie haben ihr Ziel, den Erfolg der AfD zu verhindern, nicht erreicht. Die Brandmauer gegen Rechts scheint brüchig. „Das muss ich erst mal verdauen“, sagt Lessing. Ihr Fazit: „Es reicht nicht, gegen die AfD zu sein.“ Sie wolle jetzt mehr wissen über die Gründe der Demokratiekrise, alle Parteien „kritisch angucken, inwiefern sie sich den wirklichen sozialen Themen zuwenden“. Auch mit Blick auf ihre Bezirksversammlung wollen die Omas wachsam bleiben und, wie Lessing sagt, „klammheimliche Koalitionen beobachten“. Sie mache sich auf Überraschungen gefasst.

Aufgeben kommt für sie nicht infrage. Schon 2025 steht die nächste Wahl an, es gebe viel zu verlieren. „Ich bin so froh, bei den Omas gegen Rechts so viele mutige Haudeginnen an meiner Seite zu wissen, die klug, kreativ und unerschrocken weitermachen“, sagt Lessing. Ohne sie wäre alles noch schwerer zu ertragen.

Artikel aus der Ausgabe:

Ist das Heimat?

Was Heimat für unsere Verkäufer:innen bedeutet, wieso Heimatvereine als Gegengewicht zum Senat galten und was am Heimat-Begriff kritisch ist, erfahren Sie im Schwerpunkt. Außerdem: Spatzen von St. Pauli und ukrainische Kids auf dem Skateboard.

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Autor:in
Annabel Trautwein
Annabel Trautwein
Annabel Trautwein schreibt als freie Redakteurin für Politik, Gesellschaft und Kultur bei Hinz&Kunzt - am liebsten über Menschen, die für sich und andere neue Chancen schaffen.

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