Obdachlose hat es in Hamburg schon immer gegeben. Mittlerweile sind sie unübersehbar. Dass das so bleibt, wollen weder Anwohner noch Politiker – und auch die Obdachlosen selbst nicht. Hinz&Künztler Andreas hat jahrelang auf der Straße gelebt und weiß: Für eine passende Unterkunft gibt das jeder auf.
Dass hunderte Menschen in Hamburg auf der Straße leben ist nicht neu. Es sind sogar bis zu 1500, schätzen Mitarbeiter der Wohnungslosenhilfe. Neu ist: Immer mehr Obdachlose schlafen an Orten mitten in der Stadt, sind unter Brücken, an Plätzen und auf Wiesen so gut sichtbar wie nie.
Auch Hinz&Künztler Andreas hat lange auf der Straße gelebt: Acht Jahre machte er in der Hamburger Innenstadt Platte. Eine gute Platte zu finden, ist gar nicht so einfach, erzählt er: „Das Wichtigste ist, dass es windgeschützt ist. Und es soll ein Platz sein, wo man sein Umfeld hat. In der Nähe von seinem Verkaufsplatz oder wo die Leute sind, mit denen man zu tun hat.“ Von Freunden mag er da nicht sprechen. „Man rutscht ja schnell in so eine Randgruppenszene.“
Auf der Straße leben: Das geht. Irgendwie. Das kann man überleben. Aber kaum einer schläft gerne und aus freien Stücken draußen. „Der Winter ist hart, kalt und nass“, sagt Andreas. „Dann ist es am schlimmsten. Doch wenn die Temperaturen steigen, setzt bei vielen schnell das Vergessen ein und sie reden sich ein: Ist doch gar nicht so schlimm.“ Weil sie wüssten, dass es keine Alternativen gibt, markieren sie den starken Mann oder die harte Frau. Auch Andreas: „Ich habe leise gelitten“, sagt er. Heute kann Andreas zugeben: „Eine ordentliche Unterkunft ist besser als die Straße.“ Das wichtigste daran? „Privatsphäre“, antwortet Andreas prompt. „Und dann der Schutz vor dem Wetter. Und schließlich ist ein eigenes Bett und ein Zuhause die Grundlage für alles andere, für berufliches und sein Leben in den Griff zu kriegen.“
Ein Glück: Andreas hat wieder ein Dach über dem Kopf. Von einem Bauern hat er ein Stück Land gepachtet, die kleine Hütte, die dort stand, ausgebaut, mit Strom und Wasser versorgt. Dort fühlt er sich wohl. Er weiß, dass seine nicht die Lösung für alle Obdachlosen ist. Auch er appelliert an die Stadt, etwas gegen Obdachlosigkeit zu unternehmen. „Bisher hat die Stadt alles dafür getan, dass die Situation jetzt so ist wie sie ist. Die Mieten sind unbezahlbar, die Vermieter haben alle Rechte.“ Unterkünfte müssten her: Wohnungen, umgebaute Bürogebäude, egal. Hauptsache ein Dach über dem Kopf, ein Bett, in dem man zur Ruhe kommt und eine Tür, die man abschließen kann.
Ob für jeden gut sichtbar in der Innenstadt oder verborgen an entlegeneren Orten: Die Not der Menschen, die in unserer Stadt keine Wohnung haben, wird immer drängender, ihre Anzahl immer größer. Da werden auch Politiker aktiv. Nur leider ganz anders, als man sich eine konstruktive Lösung vorstellt. Im Juni ließ das Bezirksamt Altona eine Platte am Nobistor räumen. Eine angemessene Unterkunft bot den Obdachlosen niemand an. Wo sie sich aufhalten, wissen wir nicht.
Nicht nur ehemalige Obdachlose wie Andreas finden, dass Wohnungen und Unterkünfte das einzige Mittel gegen Obdachlosigkeit ist. Auch Hinz&Kunzt und andere Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe fordern das seit Langem. Hinz&Kunzt-Sozialarbeiter Stephan Karrenbauer ist besorgt darüber, dass sich jetzt stattdessen erste Stimmen – Anwohner und Politiker – zu Wort melden, die die sichtbaren Schlafplätze der Obdachlosen als Problem für sich betrachten. Er fürchtet, dass Obdachlose wie am Nobistor ihrer Plätze verwiesen werden. „Eins ist klar: Vertreibung ist keine Lösung.“
Text: Beatrice Blank