Wer keine Wohnung hat, kann sich nur schlecht gegen Übergriffe schützen. Das gilt insbesondere auch für obdachlose Frauen, die besonders oft Opfer von sexualisierter Gewalt werden.
„Für viele Leute ist man auf der Straße nur Dreck“, sagt Maggy. „Wenn dir was passiert, kommt keiner und hilft.“ Frauen sind häufiger Gewalt ausgesetzt als Männer – vor allem sexualisierten Übergriffen. Maggy hat deswegen eigentlich nie alleine Platte gemacht. 2017 musste es allerdings doch ein Mal sein. Auf der Mönckebergstraße. Da passierte es: „Ich wurde auf der Straße vergewaltigt“, erzählt die 55-Jährige. „Zwei deutsche Typen. Mitten in der Nacht. Die haben mich gepackt, mir die Jogginghose runtergerissen und dann ist einer über mich her.“ Anzeige hat sie nicht erstattet. Das hätte ja nichts mehr verändert, meint Maggy. Stattdessen hat sie Hilfe gesucht und inzwischen eine Bleibe gefunden.
Obdachlose Frauen sind gewalttätigen Übergriffen oft schutzlos ausgeliefert: „Ein Großteil unserer Besucherinnen hat Gewalterfahrungen“, sagt Sozialarbeiterin Tanja Lazarevic vom Frauentagestreff Kemenate. Rund 35 Frauen kommen an jedem einzelnen der fünf Öffnungstage in der Woche. Die Kemenate sei für sie nicht nur ein Treffpunkt, an dem sie Kaffee trinken oder Wäsche waschen können, sondern auch ein Schutzraum, „ein Schutz vor sexuellen Übergriffen“, so Lazarevic.
Die Sozialarbeiterin sagt, dass viele Frauen bereits lange vor ihrer Obdachlosigkeit Gewalterfahrungen machen: „Sie kommen oft bei irgendwelchen Typen unter, die sie dann belästigen.“ Wie lange sie in solchen Abhängigkeitsbeziehungen stecken, weiß niemand. Ebenso wenig bekannt ist die Dunkelziffer von weiblichen Gewaltopfern – ob obdachlos oder nicht. Viele schämen sich und schweigen.
Viele schämen sich und schweigen
Um eine ungefähre Vorstellung vom Ausmaß zu bekommen, muss man sich die polizeiliche Kriminalstatistik des Bundeskriminalamts für ganz Deutschland genauer anschauen. Insgesamt wurden hier für 2017 1380 Gewalttaten gegen Obdachlose registriert. Zwar sind Männer insgesamt öfter Opfer (1109 versus 280 bei den Frauen), sie leben aber auch weitaus häufiger auf der Straße als Frauen, deren Anteil laut Schätzungen 27 Prozent beträgt. Tendenz: steigend.
Vor allem, wenn es um sexualisierte Gewalt geht, schnellen die Zahlen der Frauen in die Höhe: So wurden 36 obdachlose Frauen im Jahr 2017 vergewaltigt (Männer: 10), 51 wurden sexuell genötigt (Männer: 10). Im Vergleich zu 2011 hat sich die Zahl der Sexualstraftaten, denen obdachlose Frauen zum Opfer fielen, vervierfacht. Und das sind nur die Fälle, die auch registriert wurden.
90 Prozent haben Gewalterfahrungen
Andrea Hniopek, die bei der Hamburger Caritas das Container-Wohnprojekt für Frauen betreut, geht davon aus, dass 90 Prozent aller obdachlosen Frauen mindestens ein Mal in ihrem Leben Gewalt erfahren. „Gewaltgeprägte Lebensumstände“ seien für sie eher Regel als Ausnahme: sei es körperliche oder psychische Gewalt und Demütigungen, vor allem aber sexualisierte Gewalt. Helfen würde ihnen vor Allem: Eine Wohnung.