Wie Wohnungslose leben
(aus Hinz&Kunzt 117/November2002)
Welche Angebote gibt es in Hamburg für Menschen, die nicht mehr auf der Straße leben wollen? Im ersten Teil unseres Überblicks stellen wir die Notunterkunft Achterdwars, das Container-Projekt der Neuen Wohnung und das betreute Wohnen im Jakob Junker Haus vor.
Kleine Ewigkeiten
In den Notunterkünften von pflegen & wohnen (p & w) leben Menschen, die keiner haben will: Alkohol- und Drogenkranke, Verwirrte und Alte, Einsame und Uneinsichtige. Hans-Jürgen zum Beispiel hat zuletzt in einer sozialtherapeutischen Einrichtung gewohnt. Gärtnern sollte er dort, um sich das Trinken abzugewöhnen. Das gefiel ihm nicht, und deshalb ist er gegangen. „Wer arbeitet denn für 150 Mark im Monat?“, fragt der 53-Jährige noch heute empört.
17 Jahre ist das nun her. In der Bergedorfer Unterkunft Achterdwars ist der mittlerweile Pflegebedürftige dann gestrandet. 172 „alleinstehende obdachlose Männer“ leben hier in dreistöckigen, unauffälligen Klinkerbauten, „öffentlich untergebracht“ laut Behördendeutsch. Die meisten teilen sich zu viert die schlichten Zwei-Zimmer-Appartements mit Küche und Bad, jeweils zwei Betten pro Raum. Für schwierige Kunden stehen 24 Einzelzimmer bereit. „Wir nehmen jeden so, wie er hier ankommt, und versuchen ihm ein Gefühl von Zuhause zu vermitteln“, sagt Werner Glissmann, Leiter der Wohnunterkunft. Da haben seine beiden Sozialarbeiter eine Menge zu tun.
Eigentlich sollen ihre Klienten hier nur vorübergehend leben. Doch wie Hans-Jürgen gibt es manchen, der den Weg aus dem Provisorium niemals mehr findet. Laut einer Studie, die p & w-Sozialarbeiter vor zwei Jahren anfertigten, ist jeder fünfte Bewohner der Notunterkünfte „nicht bzw. nur äußerst schwer integrierbar“. Viele der Dauerbewohner hätten nicht nur schwere Suchtprobleme, sondern seien auch psychisch krank und verwahrlost.
40 Menschen haben dieses Jahr den Sprung in die eigene Wohnung oder „andere dauerhafte Wohnformen“ (z.B. WG) geschafft, so die Statistik. Wie viele davon in eine Notunterkunft zurückkehren („Drehtüreffekt“), weil sie ihre Probleme nicht in den Griff bekommen, erfasst p & w nicht. Und auch nicht, wie lange die Menschen in den Unterkünften verweilen.
„Es geht nicht nur darum, Wohnungen zu vermitteln“, meint Sozialarbeiter Mike Schulze. Ein soziales Umfeld sei ebenso wichtig. Manch ehemaliger Bewohner komme trotz eigener vier Wände regelmäßig in der Unterkunft vorbei, weil er anderswo keine Freunde findet. „Einige haben sogar schon gefragt, ob sie nicht wieder einziehen dürfen – weil die Kommunikation hier so gut ist.“ Der Weg ins bürgerliche Leben ist eben lang. Und bei manchem psychisch kranken Schützling, den der Spardruck aus der Psychatrie vertrieben hat, denkt der Sozialarbeiter auch: „Ich wüsste nicht, wo der besser untergebracht sein sollte.“
Ulrich Jonas
Notunterkunft Achterdwars
Größe: 172 Plätze
Unterkunftsart: Doppel- und Einzelzimmer in Zwei-Zimmer-Appartements (40 Quadratmeter), möbliert
Betreuungsschlüssel (Sozialarbeiter pro Bewohner): 1:100
Bewohner: Obdach- und Wohnungslose
durchschnittliche Verweildauer der Bewohner: keine Angaben
Auszüge in eigene Wohnung: 21 von 113 (1998) = 19 Prozent
Kosten/Bewohner/Tag: 10,89 (Doppel-) bzw. 13,79 Euro (Einzelzimmer), finanziert von der Sozialbehörde
Träger: pflegen & wohnen
Kontakt: Wohnunterkunft W 611, Achterdwars 7–13, 21035 Hamburg, Tel. 040 / 721 15 19
Sprungbrett Container
„Bis Januar will ich eine Wohnung finden“, sagt Sascha. Seit anderthalb Jahren lebt der Ex-Obdachlose im Containerdorf an der Langenfelder Straße. „Von der Atmosphäre her ist das hier ein bisschen wie in der Jugendherberge: Man hat immer jemanden zum Reden“, sagt der 25-Jährige. „Aber ich will mich jetzt um meine Zukunft kümmern. Um Arbeit zum Beispiel.“
Projektleiter Michael Struck hört solche Sätze gern. Schließlich ist es das Ziel der gemeinnützigen Neue Wohnung GmbH, aus verzweifelten Existenzen normale Mieter zu machen. Oft gelingt das: Rund 150 Obdach- und Wohnungslose haben Struck und sein Kollege Karsten Lüdersen seit 1994 in Wohnraum vermittelt. Dieser Erfolg fußt auf drei Säulen: Nicht mehr als 20 Bewohner leben in einem Container-Projekt, wer Hilfe vom Fachmann braucht, der bekommt sie schnell, und jeder kann seine Tür hinter sich schließen. Das kostet, doch es macht Sinn: „So können sich die Menschen in Ruhe Gedanken machen, was sie wann in Angriff nehmen wollen“, sagt Lüdersen.
Monate lang mussten die Helfer mit der Stadt verhandeln, bis die sich bereit erklärte, die laufenden Kosten eines neuen Container-Projekts zum größten Teil zu übernehmen. Und obwohl die Neue Wohnung das Ziel der Sozialsenatorin – kleine, dezentrale Unterkünfte für Obdachlose – vorbildlich umsetzt, musste schließlich eine Stiftung die 180.000 Euro Investitionskosten für die neue Unterkunft in Barmbek berappen.
Sorge bereitet den Sozialarbeitern vor allem, dass sich die Suche nach Wohnungen zunehmend schwierig gestaltet. „Man möchte sich nicht mehr mit dem Lumpenproletariat abgeben“, sagt Struck ketzerisch. Nur neun Wohnungslose konnten dieses Jahr in Wohnungen umziehen, in früheren Jahren waren es deutlich mehr. „Zusätzlich 2000 Wohnungen für Sozialschwache – sofort!“ fordern die Sozialarbeiter von den städtischen Wohnungsgesellschaften SAGA und GWG. Diese sollten auch Menschen mit Altschulden als Mieter akzeptieren: „Die Schranken zum Wohnen sind einfach zu hoch.“
Ulrich Jonas
Containerprojekt Neue Wohnung
Größe: 19 Plätze
Unterkunftsart: 1-Mann-Container (13 Quadratmeter), möbliert
Betreuungsschlüssel (Sozialarbeiter pro Bewohner): 1:20
Bewohner: Wohnungslose mit Kostenübernahme vom Sozialamt
durchschnittliche Verweildauer der Bewohner: sechs Monate
Auszüge in eigene Wohnung: 88 von 170 (1994 bis 2001) = 51 Prozent
Kosten/Bewohner/Tag: 23 Euro, davon Behörden-Zuschuss 17,90 Euro, ab Januar 20, 20 Euro;
Rest über eine Stiftung
Träger: Neue Wohnen gGmbH
Kontakt: Neue Wohnung gGmbH, Langenfelderstr. 132, 22769 Hamburg, Tel. 040 / 851 23 78
Blut und Feuer
Das Haus gehört zur Division Nord, die Leitung haben zwei Kapitäne, und am Eingang hängt das Wappen mit der Inschrift „Blut und Feuer“. Auf militärische Dramatik muss man sich einstellen bei einem Träger, der Heilsarmee heißt. Doch die Streiter für den christlichen Glauben sind eifrige Verfechter tätiger Nächstenliebe: In Hamburger Stadtteil Groß Borstel unterhalten sie seit 25 Jahren das Jakob Junker Haus, eine betreute Unterkunft für Obdachlose.
Besonderheit: Die Bewohner bereiten ihre Mahlzeiten nicht selber zu, sondern essen in der hauseigenen Kantine (die von der Rathauspassage beliefert wird). „Das wird rege angenommen“, sagt Betreuungsleiter Christoph Güra. „Die Vollverpflegung ist unser Part in der Hamburger Hilfelandschaft.“
Die 60 Einzelzimmer werden derzeit renoviert. Sie sollen auch künftig unter einem Dach bleiben: Eine Dezentralisierung des Angebots ist nicht geplant. Zusätzlich gibt es elf Zimmer, in denen Bewohner sich selbst versorgen – um mehr Selbstständigkeit zu üben. Wer ausgezogen ist, kann trotzdem noch Unterstützung bekommen: Ein Mitarbeiter im Jakob Junker Haus ist ausschließlich für Nachbetreuung zuständig.
Die Heilsarmee unterhält außerdem einen Tagestreff für Alkoholgefährdete in Billstedt (Park-In) und ist an der Beratung für Wohnungslose in Harburg beteiligt. Mit sechs Container-Plätzen beteiligt sich das Jakob Junker Haus am Winternotprogramm für Obdachlose. Die Polsterei, ein Beschäftigungsprojekt mit 14 Plätzen, muss allerdings zum Jahresende geschlossen werden. Grund: die Kürzungen bei den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen.
Detlev Brockes
Jakob Junker Haus
Größe: 71 Plätze
Unterkunftsart: 60 möblierte Einzelzimmer (ca. 12 Quadratmeter) mit Verpflegung,
11 möblierte Zimmer mit Selbstversorgung
Betreuungsschlüssel (Sozialarbeiter pro Bewohner): 1:8
Bewohner: wohnungslose Männer mit besonderen sozialen Schwierigkeiten
Durchschnittliche Verweildauer: sieben Monate
Auszüge in eigene Wohnung: 41 von 110 (2001) = 37 Prozent
Kosten/Bewohner/Tag: 60,15 Euro, finanziert von der Sozialbehörde
Träger: Heilsarmee
Kontakt: Jakob Junker Haus, Borsteler Chaussee 23, 22453 Hamburg, Tel. 040 / 51 43 14 0