Hinz&Künztler Uldis

Nicht aufgehört zu träumen

Hat nie aufgegeben: Hinz&Künztler Uldis. Foto: Dmitrij Leltschuk

Uldis, 62, verkauft Hinz&Kunzt vor Rewe am Schiffbeker Weg.

Hinz&Kunzt Randnotizen

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Uldis stellt sich auf ein Bein, streckt das andere zur Seite weg und schneidet eine Grimasse. So habe er ausgesehen, der Troll auf dem Skateboard – die Holzfigur, mit der er 1995 einen Kunstpreis gewann. Wenn er daran zurückdenkt, grinst er stolz. Seinen Traum, selbstständiger Künstler zu werden, hat er nie aufgegeben. Doch das Leben machte ihm immer wieder einen Strich durch die Rechnung.

Aufgewachsen ist Uldis in Riga bei seinen Großeltern. Seine Mutter ging fort, als er neun Monate alt war. Als er zehn Jahre alt war, wollte sie ihn gegen seinen Willen zu sich holen. Doch ihre Verhaftung durchkreuzte den Plan, erzählt er.

Schon früh verfolgte Uldis das Ziel, Künstler zu werden: Er besuchte die Kunstschule, wurde Holzbildhauer und fand eine Anstellung. Dort verliebte er sich in eine Kollegin. Sie heirateten und beamen 1982 einen Sohn. Doch dann verlor er wegen eines Konflikts mit der Firma seinen Job. Neue Arbeit als Bildhauer konnte er nicht finden. So begann er, auf dem Bau zu jobben. Dort verdiente er allerdings viel weniger, und dem finanziellen Druck hielt seine Ehe nicht stand. Seinen Sohn sah er nur noch selten. Heute hat er keinen Kontakt mehr zu ihm. „Ich habe sogar einen Enkel!“, sagt Uldis stolz. Doch dann wird er traurig: „Ich habe ihn nie kennengelernt.“

Trotz aller Rückschläge gab Uldis nicht auf: Er sparte und konnte sich endlich als Künstler selbstständig machen. Doch seine Werkstatt brannte ab, mit ihr das Werkzeug und die fertigen Skulpturen. Seine einzige Option war, wieder auf dem Bau zu arbeiten. Doch sein Lohn war durch die lettische Wirtschaftskrise immer weniger wert, und sein Traum, wieder als Holzbildhauer zu arbeiten, schien in weiter Ferne. Uldis hielt es in Lettland nicht mehr aus. 2010 entschied er sich, sein Glück in Deutschland zu suchen.

In Berlin kam Uldis bei Bekannten unter, er arbeitete wieder auf dem Bau. Fünf Jahre ging das so. Erschöpft und unglücklich begann er zu trinken. In seiner Verzweiflung nahm er die Hilfe einer christlichen Sekte an und zog zu deren Anhänger:innen in ein Haus. Als Uldis es sechs Monate später schaffte trocken zu werden, bemerkte er seine Abhängigkeit von der Sekte. Er begriff, dass er fortmusste und ging nach Hamburg. Dort angekommen war er voller Hoffnung: Er wusste, dass seine Mutter, die deutsche Wurzeln hat, hier in einem Heim lebt. In all den Jahren hatten sie immer wieder Kontakt gehabt. „Ich dachte, sie würde sich freuen mich zu sehen. Ich dachte, wir hätten eine Chance“, sagt Uldis. Doch seine Mutter öffnete ihm nicht mal die Tür. Also schlief er in einer Notunterkunft – bis heute hat sich seine Wohnsituation nicht verbessert. Er versuchte zu arbeiten, doch sein Glaukom, durch das er auf einem Auge bereits blind ist, macht es ihm auf dem Arbeitsmarkt schwer.

Seit März 2022 verkauft Uldis Hinz&Kunzt und kommt oft auf einen Kaffee ins Hinz&Kunzt-Haus. Dort erzählt er: „Ich habe einen Traum: Ich möchte noch eine Figur schnitzen. Wenn mir jemand erlauben würde, aus einem trockenen Baum eine Figur zu machen – dann könnte ich wieder ein Kunstwerk schaffen.“

Artikel aus der Ausgabe:

„Wir wollen arbeiten“

Alle reden vom Fachkräftemangel, dabei sind viele potenzielle Fachkräfte schon in Deutschland, scheitern aber an den Hürden der Bürokratie. Wir haben mit einigen von ihnen gesprochen. Außerdem: Hamburg feiert den CSD. Im Interview spricht Michael Rädel, Herausgeber der queeren Zeitschrift „hinnerk“ über das Thema Sichtbarkeit. Und: Ein Wilhelmsburger Lehrer verhandelt mit seinen Schüler:innen Themen wie interkulturelle Verständigung oder die Shoa auf der Theaterbühne.

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Autor:in
Luca Wiggers
Luca Wiggers
1999 in Hannover geboren, hat dort Germanistik und Anglistik studiert und ist Anfang 2022 nach Hamburg gezogen. Seit Juni 2023 Volontärin bei Hinz&Kunzt.