Trotz Coronalockdown will die Stadt Hamburg in den kommenden Wochen Obdachlose von den Notschlafstätten abweisen. Sie müssen in der „Wärmestube“ auf dem Boden schlafen – angeblich mit 1,50 Meter Abstand.
Bereits vor dem Start des Winternotprogramms am 1. November steht fest, dass nicht alle Obdachlosen ein Bett in den Notunterkünften der Stadt erhalten sollen. Osteuropäische Obdachlose, die in der Heimat eine Bleibe haben, werden wie in den Vorjahren auf eine Wärmestube verwiesen, wo ihnen auf engem Raum nur ein Stuhl oder Fußboden für die Nacht angeboten wird. „Das ist auch in einem normalen Winter ein unzumutbares Angebot“, sagt Hinz&Kunzt-Sozialarbeiter Stephan Karrenbauer. „Aber in Zeiten der Pandemie geht das erst recht nicht.“
Obdachlose zählen in der Regel wegen diverser Vorerkrankungen zur Corona-Risikogruppe. Sie benötigen einen besonderen Schutz. Hinz&Kunzt, Diakonie und Caritas fordern seit Monaten eine Einzelunterbringung, um Corona-Ausbrüche in Großunterkünften zu verhindern. Wenn jetzt mit dem Start des Coronalockdowns einigen Obdachlosen nicht einmal ein Bett mehr angeboten wird, setzt die Sozialbehörde die Gesundheit der Menschen „wissentlich aufs Spiel“, sagt Karrenbauer.
Die abgewiesenen Obdachlosen leben in Hamburg auf der Straße, weil sie in Rumänien oder auch Bulgarien keine Arbeit finden und keine Unterstützung erhalten. Sie hoffen auf Arbeit hier und halten sich oftmals mit Betteln oder Flaschensammeln über Wasser. Wenn sie im Herkunftsland noch eine Wohnung besitzen sollen, geht die Sozialbehörde davon aus, dass sich die Menschen selber helfen können und weißt sie daher von den Schlafplätzen ab.
Sozialbehörde hatte Zweiklassengesellschaft aufgehoben – wegen Corona
Auf dem Höhepunkt der ersten Coronawelle hatte die Sozialbehörde diese Zweiklassengesellschaft aufgehoben. Damals wurde die Wärmestube geschlossen und die dort untergebrachten Obdachlosen erhielten ab dem 24. März „dieselben Hilfsangebote wie die anderen Nutzerinnen und Nutzer“ der Notunterkünfte, wie der Senat in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage von Anfang Mai klarstellte.
Diese Entscheidung habe man damals nicht aus epidemiologischen Gründen, sondern aus Personalmangel gefällt, teilt jetzt der Unterkunftsbetreiber fördern und wohnen gegenüber Hinz&Kunzt mit. Ab dem 1. November öffne die Wärmestube in der Hinrichsenstraße jetzt auch wieder nachts.
Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) hielt auf Hinz&Kunzt-Nachfrage an den Plänen fest – trotz Pandemie. In den vergangenen Wintern hätten wiederholt Arbeitgeber ihre obdachlosen Mitarbeiter auf das Winternotprogramm verwiesen. „Diese Praxis können wir nicht durch unsere städtische Wohnungslosenhilfe unterstützen“, sagte Leonhard am Freitag im Rathaus. „Ich gehe nicht davon aus, dass das in diesem Jahr flächendeckend der Fall sein wird, weil wir eine ganz andere Zuwanderungslage in den Arbeitsmarkt haben.“ Für „sehr spezielle Einzelfälle“ behalte sich die Stadt zudem vor, Obdachlosen mit Hausverbot in den Unterkünften auf die Wärmestube zu verweisen. „Wir tun das, damit sie nicht auf der Straße leben müssen, obwohl sie zum Teil zeitlich befristet in der Unterbringung nicht sein können, weil sich andere Obdachlose vor ihnen fürchten.“
CDU fordert Einzelunterbringung von Hochrisikogruppen
Wie in den engen Räumen der Infektionsschutz gewährleistet werden soll, ist unklar. „Grundsätzlich werden Übernachtende die Möglichkeit haben, zu Menschen, mit denen sie nicht zusammenleben, 1,5 Meter Abstand zu wahren“, heißt es aus der Pressestelle von fördern und wohnen. Allerdings verbrachten in den Wochen vor Heiligabend vergangenes Jahr rund 40 Obdachlose die Nächte in der für etwa 100 Besucher ausgelegten Wärmestube.
Auch die CDU ist der Ansicht, dass diese Art die Unterbringung nicht zumutbar ist: „In Coronazeiten darf es bestenfalls eine Wärmestube geben, die für den seltenen Einzelfall gilt“, sagt Andreas Grutzeck, sozialpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion. „Zudem halten wir es für dringend geboten, Hochrisikogruppen unter den Obdachlosen im Coronawinter durch Einzelunterbringung besser vor Infektionen zu schützen.“ Ein entsprechender Antrag der CDU wird am 5. November im Sozialausschuss der Bürgerschaft behandelt.