Gesucht wird: Hamburgs Banksy. Was wir wissen: Der oder die Street-Art-Künstler*in hat Hinz&Kunzt wertvolle Drucke gespendet. Anonym …
Vielleicht ist er groß und schlank. Oder eher klein und etwas füllig um Bauch und Hüfte. Vielleicht trägt er einen Hipsterbart zum Karohemd. Aber ist er überhaupt ein Mann? Neal, das könnte auch der Name einer Frau sein. Ein Spitzname.
Mit „Neal“ signiert war das Bild, das im vergangenen Dezember plötzlich an der Außenfassade der Hamburger Kunsthalle prangte. Eine Gestalt klettert mit einer Sturmmaske über dem Gesicht aus einem Rahmen. Ein so genanntes „Stencil“: In eine Schablone aus Pappe oder Kunststoff wird ein Motiv geschnitten, dann sprüht oder malt man die freien Flächen aus. Feinste Street-Art.
„Man hat sofort gesehen, da hat jemand Ahnung und weiß, was er macht.“– Jan Metzler, Marketingleiter der Kunsthalle
Normalerweise werden solche Werke schnell entfernt. In diesem Fall lief es anders. Jan Metzler, Marketingleiter der Kunsthalle, entdeckte zufällig das Bild, an einem Samstag. „Man hat sofort gesehen, da hat jemand Ahnung und weiß, was er macht“, erzählt er. „Der Ort war unglaublich gut gewählt, kein Gedanke an ‚Vandalismus‘ oder ‚Schmiererei‘.“ Denn der unbekannte Künstler zitiert ein bekanntes Gemälde: „Flucht vor der Kritik“ des spanischen Malers Pere Borrell del Caso (1835–1910). Metzler schrieb eine E-Mail an seine Kolleg*innen, sinngemäß: „Bitte nicht entfernen, sondern in Ruhe überlegen.“ Das Bild blieb. Mehr noch: Die Kunsthalle nahm über Instagram Kontakt zu Neal auf, und der schenkte ihr fünf Drucke des Motivs.
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Ein Druck ist seitdem in der Grafischen Sammlung, gehört nun zum Museumsbestand. Die anderen vier sollen versteigert werden, und zwar zugunsten von Hinz&Kunzt. So der Vorschlag der Kunsthalle – und Neal stimmte sofort zu. „Street“-Art kommt eben von „Straße“. Ich begebe mich auf die Suche nach Neal. Eine Homepage hat er schon mal nicht. Aber wie die meisten Street-Art-Künstler*innen ist Neal auf Instagram, unter @neal-hamburg; dahin kann man eine Nachricht senden. Ich stelle mein Smartphone auf laut, damit das „Pling“ zu hören ist, wenn Neal antwortet. Er antwortet nicht.
Also auf zu seinem Galeristen in der „Urbanshit Gallery“ auf St. Pauli. „Jaaaa, schooon“, sagt Rudolf ‚Rudi‘ Klöckner gedehnt. Er betreibt mit seiner Frau Laura die Galerie. Er hat Neal getroffen. Also persönlich, in echt. Mann oder Frau? Verrät er nicht. Rudi lächelt. „Street-Art-Künstler wie Neal wollen nicht in der Öffentlichkeit stehen. Klar geht es ihnen um Aufmerksamkeit, aber für das Motiv und nicht für die Person. Das, was an die Wand gebracht ist, soll zählen.“
Außerdem: So ganz legal sei Neals Tun nicht, auch wenn es selten zu Anzeigen komme. „Die Street-Art-Künstler kennen ihre Arbeiten untereinander und halten extrem zusammen. So wie in der Graffiti-Kultur, wo es ja auch um Zusammenhalt geht. Darum, sich gegenseitig zu unterstützen und nichts auszuplaudern.“ Bei vielen könne man freilich die Identität herausfinden. Der Galerist: „Bei Neal würde ich sagen, ist es schwierig bis unmöglich.“ Wie bei Banksy, dem britischen Street-Art-Künstler, dessen Werke für sechsstellige Summen gehandelt werden und von dem man immer noch nicht weiß, wer es ist.
„Unerkannt zu sein ist wichtig, da ich meine Bilder illegal male“– NEAL
Und dann meldet sich Neal über eine temporäre E-Mail-Adresse. Mein Vorschlag: Wir mailen uns zu einer festen Uhrzeit, ich stelle eine Frage, Neal antwortet, dann frage ich wieder. Wie in einem Gespräch, nur schriftlich. Vorgeschlagen, verabredet. Aber irgendwie klappt es nicht: Es braucht gut 20 Minuten, bis eine Antwort in meinem E-Mail-Fach landet. Da sitzen wir ja noch heute Abend hier! Also umdisponieren: Ich schicke doch alle Fragen auf einmal, und Neal antwortet in aller Ruhe. Okay – bis morgen.
Ich rede mit Alexander Klar, dem Direktor der Hamburger Kunsthalle. „Die Arbeit hängt an einem Museum, es ist ein zweidimensionales Bilderwerk, da liegt es doch sehr nahe, dass es Kunst ist“, sagt Klar. Ich habe mich bei ihm eingeladen, wir sitzen maskiert im leer geräumten ‚Café Liebermann‘. „Als Jünger von Marcel Duchamp sage ich: Wenn ein Künstler etwas zu einem Kunstwerk deklariert, ist es ein Kunstwerk. Und wenn ein Museum etwas zum Kunstwerk deklariert, auch.“ Dass Neal als Person nicht auftauchen will? Die Öffentlichkeit aber wissen will, wer es ist? Für beides hat Klar Verständnis: „In Kunst steckt viel Persönliches drin. Zugleich sollte man die Kunst vom Künstler trennen und Kunst aus sich selbst heraus erklären. Aber da wir gegenüber der Kunst oft sprachlos sind, nehmen wir die Biografie des Künstlers, damit wir sein oder ihr Werk erklären können.“
Natürlich hat der Museumsdirektor überlegt, welche Folgen das Werk da draußen an der Wand haben könnte: „Da gibt es so lebenspraktische Fragen wie: Wenn wir das Bild hängen lassen, öffnen wir damit dem Graffititum Tür und Tor?“ Er winkt ab. „Das kann passieren, aber die Lebenserfahrung lehrt, dass es nicht passiert.“ Für den Kenner zählt etwas anderes: „Kunst soll doch den Tempel verlassen: Da ist so eine Arbeit natürlich eine klare Ansage.“
Am nächsten Mittag sind Neals Antworten da. Und los geht’s:
Hinz&Kunzt: Warum ist dir das Unerkanntbleiben so wichtig?
NEAL: Für mich ist das natürlich wichtig, da ich meine Bilder illegal male. Darüber hinaus finde ich es viel entspannter, wenn keiner weiß, wer ich bin oder was ich tue. Nur meine engen Freunde wissen Bescheid; es gibt sehr viele Bekannte von mir, die nicht wissen, dass ich male. Je weniger das wissen, umso besser.
Anonym heißt: ohne Ruhm, ohne Anerkennung …
Ich brauche diesen Ruhm und diese Anerkennung nicht, es ist mir sogar eher unangenehm. Lob für meine Bilder zu bekommen, ist nur über den Instagram-Account möglich, und da bin ich nur eine virtuelle Person. Insofern bin ich überhaupt nicht wichtig. Natürlich reizt es einen zu wissen, wer die Person ist, die hinter dieser Kunst steckt. Aber glaube mir, du verpasst nichts, wenn du mich nicht kennenlernst.
Dein Bild an der Kunsthalle, da zitierst du ein klassisches Gemälde. Wie bist du auf die Idee gekommen?
Das Bild „Flucht vor der Kritik“ hat mich schon länger fasziniert, und ich wollte es gerne in einer abgewandelten Version darstellen. Es mit einer Sturmhaube zu ergänzen war für mich sehr passend, es rundete die Street-Art-Variante und das damit verbundene Illegale und Anonyme ab.
Hast du Ahnung von Kunst?
Ich beschäftige mich gerne mit der alten Kunst und lasse mich von ihr inspirieren. Eine Zeit lang hatte ich eine Mondrian-„Phase“ und habe nur mit den Grundfarben gemalt und die rechteckigen Flächen in meine Bilder eingebaut. Auch hat mich die „Pietà“ von Michelangelo sehr inspiriert, genauso der junge Picasso. Dies liegt aber nur daran, dass ich versuche, wenn mich ein Motiv interessiert, es in meiner Version darzustellen. Ein richtiges Kunstverständnis habe ich leider nicht.
Rudi, dein Galerist, sagte: „Ein guter Street-Art-Künstler weiß genau, wo seine Arbeit hingehört“ …
„Ich muss sagen, dass ich die Reaktion der Kunsthalle ziemlich cool finde“– NEAL
Das mag sein, ich für meinen Teil mache mir da nicht allzu oft Gedanken drüber. Wenn ich eine Wand sehe, die mir gefällt, bemale ich sie. Anders war es bei der Kunsthalle, da muss ich zugeben, dass mir keine andere Wand in den Sinn gekommen wäre, es musste einfach an die Kunsthalle, denn da stimmte alles zu 100 Prozent. Und ich muss sagen, dass ich die Reaktion der Kunsthalle ziemlich cool finde: Ich bin davon ausgegangen, dass das Bild innerhalb von zwei Tagen entfernt wird.
Bist du so klassisch nachts unterwegs? Ich blicke da jetzt durch meine Klischeebrille …
Das siehst du ganz richtig. Es gab sicher auch mal die eine oder andere Aktion, wo ich mitten am Tag gemalt habe, aber das war sehr leichtsinnig und wäre auch fast nach hinten losgegangen. Also bin ich in der Tat nur nachts unterwegs; ich male meine Bilder auch nachts.
Lass uns kurz über Geld reden: Mit Street-Art Geld zu verdienen, dürfte schwierig sein – oder ist das gar nicht das Ziel?
Ich finde es nicht verwerflich, wenn man mit Street-Art Geld verdient. Ich selbst habe auch schon Bilder verkauft, aber es ist nicht mein Ziel. Mit dem Geld kaufe ich Farben oder meine Pappen oder was immer ich brauche, um weiterzumalen. Über Umwege hat mir mal ein Galerist meiner Meinung nach recht viel Geld pro Bild angeboten und wollte diese dann mit Gewinn verkaufen. Das ganze Gespräch fand ich sehr unsympathisch, und ich habe gemerkt, dass ich mit der „wahren“ Kunstszene nichts zu tun haben möchte. Ich bleibe lieber ein Maler, der sich mehr über ein Bild freut, das er draußen gemalt hat, als über eines, das in einer teuren Galerie hängt. Ansonsten habe ich einen ganz normalen Job und verdiene mein Geld anders.
Vergleiche mit Banksy nerven, oder?
Ich würde mich nie mit Banksy vergleichen. Banksy ist für mich ein absoluter Künstler, er hat super Ideen, bringt es immer auf den Punkt und kann selbst auch sehr gut malen und zeichnen, auch ganz ohne Schablonen. Natürlich ist der Vergleich da, da auch ich mit Schablonen arbeite, aber da endet er auch schon.
Jetzt darf Hinz&Kunzt vier deiner Drucke versteigern. Warum?
Ich versuche, mit meinen Bildern Gutes zu tun oder ein positives Bild zu vermitteln. Wir sollten alle versuchen, denen zu helfen, denen es schlechter geht als einem selbst. Wir sollten alle versuchen, die Menschlichkeit mehr zu wahren, die geht in letzter Zeit ein wenig unter, habe ich das Gefühl.
Ganz zum Schluss schreibt Neal noch: „Ich muss ehrlich sagen, dass Interviews nichts für mich sind, und ich denke, ich werde keine weiteren geben, das ist
einfach nicht meine Welt. Aber deine Fragen waren sehr gut. Dir ein entspanntes Wochenende.“