Die Krise ist auf St. Pauli angekommen: Am Wochenende gab es in Park Fiction ein Protestcamp, um auf die Folgen von „Sparprogrammen“ und Krisenpolitik aufmerksam zu machen. Zu Gast: Aktivisten aus Griechenland und Spanien.
„Stop savin us!“, sagt Aris Chatzistefanou, „Bitte hört auf, uns zu retten.“ Der griechische Filmemacher steht im Park Fiction auf St. Pauli und berichtet über die sozialen Probleme in Griechenland, die durch die Krisenbewältigungspolitik der Europäischen Union entstanden sind. Einige hundert Menschen sind an die Elbe gekommen, um ihm zuzuhören. Das Schwabinggrad Ballett, ein aktivistisches Künstlerkollektiv aus Hamburg, hat den Platz umbenannt in „Platz der unbilligen Lösungen“. Noch bis Samstag wollen sich die Aktivisten hier über die Folgen der Krise austauschen. „Öffentliche Plätze kann man gut zu Diskursorten machen“, sagt der Journalist Christoph Twickel vom Schwabinggrad Ballett. Im Rahmen des Kampnagel Sommerfestivals sind Aktivisten aus Griechenland, Deutschland und Spanien zu Gast und besetzen den Park Fiction mit einer Handvoll Zelten und Wohnwagen. Vorbild dafür sind Protestcamps, wie es sie im vergangenen Sommer zum Beispiel auf dem Syntagma-Platz in Athen gab.
Die Aktivisten wissen, wovon sie sprechen: Bereits zwei Mal war das Schwabinggrad Ballett sie in diesem Jahr in Athen und hat sich dort an den Protesten gegen die Kürzungspolitik beteiligt und darüber auf seinem Blog berichtet. „Wir erleben dort das Aushöhlen von wohlfahrtstaatlichen Errungenschaften, die totale Flexibilisierung des Arbeitsmarktes und die Entrechtung von Arbeitnehmern“, sagt Twickel. Frank John ist erst kürzlich aus dem Norden des Landes zurückgekommen: „Die Probleme fangen gerade erst an“, berichtet er. „Wenn die Leute plötzlich von 600 Euro im Monat leben sollen, ist ganz schnell Sense.“ In Teilen der Protestbewegung kippe derweil die Stimmung. „Die Politiker entdecken die Migranten als Verursacher der Krise“, sagt Christoph Twickel. Bei vielen kommen solche Feindbilder offensichtlich an, bei der Camp-Eröffnung am Donnerstagabend wurde von ersten rassistischen Pogromen in Athen berichtet.
Dem Schwabinggrad Ballett geht es um Solidarität, aber nicht nur. Es geht die Sorge um, dass sich auch die Situation in Deutschland verschlechtern könnte. „Die dritte Welt ist plötzlich in unserer Nachbarschaft und setzt Maßstäbe bei uns“, sagt Charalambos Ganoti. Auch Frank John macht sich Sorgen, dass die derzeitige Politik in Griechenland zwar nicht genauso, aber so ähnlich auch in Mitteleuropa durchgesetzt werden könnte. „Sie werden sagen: Hey, in Griechenland machen wir das so, warum also nicht auch in Deutschland?“
Ein öffentliches Bewusstsein für die Situation der krisengeschüttelten Länder in Südeuropa zu schaffen ist eines der Ziele der Aktivisten. Denn die Reaktionen aus Deutschland auf die Verarmung breiter Bevölkerungsschichten bleiben weitgehend aus. „Früher hätte es Solidaritätsbewegungen gegeben“, sagt Twickel. „Offensichtlich gibt es sowas aber heute nicht mehr.“ Also soll drei Tage lang im Park Fiction diskutiert werden, über die Situation der Betroffenen und wie man die vielleicht verbessern kann.
Auf der nahen Elbe finden am Wochenende die Cruise Days statt: Sieben Kreuzfahrtschiffe werden in den Hafen einlaufen, der in blaues Licht getaucht wird. Dem Schwabinggrad-Ballett war die Terminkollision zuerst gar nicht aufgefallen, doch spontan haben die Aktivisten am Donnerstag noch ein Begrüßungstransparent für die Fahrgäste der Ozeanriesen angefertigt. „Wir grüßen Europas Eliten“ prangt jetzt an der Außenmauer des Park Fiction, gut lesbar von den vorbeifahrenden Schiffen. Dahinter eine Checkliste: „Griechenland im Arsch ✓ Krisenverursacher-Banken gerettet ✓ Kreuzzugfahrt geht weiter ✓“
Text und Foto: Benjamin Laufer