Vasile, 56, verkauft Hinz&Kunzt vor dem Herold-Center in Norderstedt.
„Die Gespräche am Verkaufsplatz helfen“, sagt Vasile. „Ich fühle mich nicht mehr so einsam.“ Nur selten spricht der Rumäne aber über sich selbst. Aus Scham, aus Stolz. Doch das will der 56-Jährige ändern, denn er weiß: „Eigentlich habe ich ja schon viel geschafft.“
Nach der Rumänischen Revolution 1989 fand er keine feste Arbeit mehr in seinem Beruf als Tischler und hangelte sich von einem Fabrikjob zum nächsten. Kraft gab ihm Maricela, eine Frau aus dem Nachbardorf, in die er sich verliebte. Wenn er von der Hochzeit und den gemeinsamen acht Kindern spricht, lächelt er. Das tut er sonst nur selten.
Mit 42 Jahren wurde er krank. Weil sein Diabetes zu spät erkannt worden war, fiel er ins Koma. Nach vielen Wochen im Krankenhaus fand er keinen festen Job mehr. Mit Gelegenheitsjobs hielt er seine Familie über Wasser.
In der Hoffnung auf einen großen Gewinn ging er heimlich in Wettbüros. „Ich wollte meiner Familie etwas bieten“, sagt er. Doch aus dem Versuch, schnelles Geld zu machen, wurde eine Sucht: Schnell hatte er wegen der Fußballwetten Schulden bei Freunden. Sein Geheimnis machte ihn einsam. Aus Angst, dass seine Familie etwas erfährt, verließ er Rumänien 2011. „Wenn wir unehrlich leben, wenden wir uns von den Menschen ab, die wir lieben“, erklärt Vasile. „Aus Scham.“
Maricela glaubte, er ging allein in der Hoffnung, in Deutschland einen neuen Job zu finden – deshalb unterstützte sie seine Entscheidung. Vasile kam nach Hamburg, da er hier über Bekannte Arbeit auf einem Feld bekam. Mit den anderen Schwarzarbeitern wohnte er in einem Container. Doch das meiste Geld, das er verdiente, verzockte er.
Bald verlor er den Job, weil er sich beschwerte, dass er seinen Lohn manchmal zu spät, manchmal gar nicht erhielt. Seitdem schläft er in leer stehenden Häusern. „Aber ich sehe immer ordentlich aus.“ Demonstrativ streicht er sein Hemd glatt. „Man darf nicht sehen, dass ich obdachlos bin“, sagt er. Dann schüttelt er den Kopf, als ärgere er sich über das, was er gerade gesagt hat. „Aber ich will mich nicht mehr verstecken.“
Er arbeitet an sich – vor allem, um Maricela wieder in die Augen schauen zu können, sagt er. Sie hatte herausgefunden, dass er wettsüchtig und verschuldet war. „Ich habe sie enttäuscht“, sagt Vasile traurig. Zu seinen Kindern hat er guten Kontakt, doch mit Maricela sei das „nicht so einfach“.
Vor ein paar Jahren schwor er sich, nie wieder einen Fuß ins Wettbüro zu setzen. „Ich habe mich umgesehen und gemerkt, dass die meisten Leute da drinnen keine Familien haben. Neben dem Wetten ist kein Platz“, erklärt er. „Aber ich will meine Familie in meinem Leben haben.“ Ein bisschen stolz sagt er: „Von der Europameisterschaft habe ich keine einzige Minute gesehen.“
Er hofft, dass Maricela ihm irgendwann verzeiht. „Ich habe Hoffnung“, denn er weiß: „Eigentlich habe ich ja schon viel geschafft – jetzt bin ich sogar im Magazin.“ Da lächelt er.
Übersetzung: Flaviu Morariu