Marian, 49, verkauft Hinz&Kunzt vor der U-Bahn-Station Christuskirche.
Lachend reißt Marian die Arme hoch und schwenkt sie hin und her. „Wir werden tanzen und ein Lagerfeuer machen!“, ruft er. Diesen Monat wird der gebürtige Pole 50 Jahre alt. Das will er feiern – auch wenn er nur im Sitzen tanzen kann.
Vor drei Jahren kam Marian in der Hoffnung auf einen Neuanfang nach Deutschland. Doch auf einer Baustelle in Essen, auf der er ohne Papiere arbeitete, stürzte er. Marian fiel aus mehreren Metern Höhe auf seine Knie. Sein Arbeitgeber zahlte ihm Geld, damit er verschwand – ohne Behandlung, ohne Job. Er schmiss Marian auch aus seinem Zimmer in einer Arbeiterunterkunft. Deshalb landete er auf der Straße. In der Hoffnung auf einen neuen Job kam er nach Hamburg. Doch seine Knie sind seit dem Sturz kaputt, deshalb humpelt er und kann nicht lange laufen. „So finde ich keine Arbeit“, sagt er und zeigt verzweifelt auf seinen Rollstuhl, auf den er sich beim Gehen abstützt wie auf einen Rollator.
Nicht nur seine Verletzung belastet ihn. Auch die vielen Jahre in der polnischen Armee lassen ihn nicht los. Über seine Einsätze im Kosovokrieg spricht er nicht gern. „Nur, wenn ich betrunken bin“, sagt er. Ein traumatisches Erlebnis verfolgt ihn bis heute – doch er will nicht darüber reden. Danach verließ er die Armee. „Ich will nie wieder eine Waffe in die Hand nehmen“, sagt er entschieden. Sieben Monate verbrachte er nach dem letzten Einsatz in einer Psychiatrie.
Um Trauma, Obdachlosigkeit und Knieschmerzen besser zu ertragen, greift Marian zum Alkohol. Als er vor drei Monaten versuchte, abrupt aufzuhören, bekam er einen Krampfanfall. „Wenn ich anfange zu zittern, hilft nur ein Bier“, sagt er. Seit November wohnt er auf dem Gelände einer Kirchengemeinde in einem Container des Winternotprogramms. „Das tut mir gut“, sagt er und klopft sich aufs Herz. Seitdem versuche er, weniger zu trinken.
Auch der Verkauf des Straßenmagazins tut ihm gut. „Hier helfen mir alle“, sagt er und verteilt Luftküsse in alle Richtungen, als wolle er das ganze Hinz&Kunzt-Haus damit erreichen. Auch seine Mutter in Polen ist eine Stütze für ihn. „Mit Mama telefoniere ich jeden Tag.“ Da er kein Telefon hat, geht er dafür in die Bahnhofsmission. „Die wissen schon, was ich will, wenn ich komme“, erzählt er.
Im April endet das Winternotprogramm, dann wird Marian wieder auf der Straße stehen. Daran will er jetzt noch nicht denken. Er bleibt optimistisch, denn er hat ein Ziel vor Augen: „Ich will wieder arbeiten.“ Dafür müsste er aber wieder richtig laufen können – ohne sich auf seinen Rollstuhl zu stützen. „Ich gebe nicht auf“, sagt er und hievt sich von seinem Stuhl hoch. Jetzt muss er los, um seine Freunde zur Geburtstagsfeier am Lagerfeuer einzuladen. „Egal, ob im Sitzen oder im Stehen – ich werde tanzen.“