Hinz&Künztler Josef

Hinz&Künztler auf der Suche

Hinz&Kunzt-Verkäufer Josef träumt von einem Job und einem eigenen Bett. Foto: Miguel Ferraz
Hinz&Kunzt-Verkäufer Josef träumt von einem Job und einem eigenen Bett. Foto: Miguel Ferraz
Hinz&Kunzt-Verkäufer Josef träumt von einem Job und einem eigenen Bett. Foto: Miguel Ferraz

Josef, 53, verkauft Hinz&Kunzt vor Lidl in der Niendorfer Straße.

Hinz&Kunzt Randnotizen

Freitags informieren wir per Mail über die Nachrichten der Woche:

Vergangenen Sommer hat Josef seinen Vater zuletzt gesehen. Zufällig begegneten die beiden sich auf der Straße, in der Kleinstadt, aus der Josef stammt. Der Vater grüßte – und ging wortlos weiter. „Er ist so stur im Kopf“, sagt Josef und schüttelt den Kopf. Wie es ihm damit geht, dass der Vater bis heute den Streit nicht begraben will, den es vor langer Zeit gab? „Schlecht!“

Josef wächst in Skalica auf, einer 15.000-Einwohner-Stadt ganz im Westen der Slowakei. Die Eltern arbeiten beide in einer Fabrik, die Fußmatten für Autos herstellt. Josef besucht neun Jahre die Schule und anschließend eine Fachschule für Bautechnik. Danach arbeitet er in derselben Firma wie seine Eltern. Gemeinsam mit drei Geschwistern leben sie in einer großen Wohnung. „Wir hatten ein gutes Leben“, sagt der heute 53-Jährige über die Jahre im Sowjet-Sozialismus. Nur an Freiheit habe es ihnen gefehlt.

1989 müssen deshalb auch in der damaligen Tschechoslowakei die Herrschenden ihre Posten räumen – die „Samtene Revolution“ führt zum friedlichen Machtwechsel und 1993 zur Gründung der heutigen Slowakei. Mit dem Kapitalismus kommen wirtschaftliche und soziale Verwerfungen ins Land. Schließlich verliert Josef seinen Job. Derweil steigen die Lebensmittelpreise und die Miete auch. Die Familie streitet sich immer häufiger, weil Josef den Eltern nicht genug Geld für den gemeinsamen Haushalt geben kann. Eines Tages setzen die ihn deshalb vor die Tür.

Eine Nachbarin hat einen guten Tipp: In Irland werden Bauarbeiter gesucht, legale Arbeit für 700 Euro die Woche. 2006 macht sich Josef auf den Weg. Zwei Jahre lang verdient er dort „gutes Geld“. Dann kommt die Bankenkrise. Es folgen Jahre als Pendler zwischen den Welten: Mal findet er einen schlecht bezahlten Job in seiner Heimat, mal sucht er sein Glück im Ausland.

Fünf Jahre lebt er in Wien, auf der Straße oder in Notunterkünften für Obdachlose. Dort lernt er Landsleute kennen, die zu Freunden werden – und mit denen er 2019 nach Hamburg weiterzieht. Sie reparieren Elektroschrott und verkaufen ihn auf Flohmärkten, sammeln Pfandflaschen und fischen manchmal vergessenes Wechselgeld aus Fahrkartenautomaten. Einer von Josefs Freunden ist Norbert. Der ehemalige Verkäufer und heutige Vertriebsmitarbeiter überzeugt ihn im Herbst vergangenen Jahres, es ebenfalls mit Hinz&Kunzt zu versuchen.

Bis Ende März noch kann Josef im Winternotprogramm der Stadt schlafen. Dann muss er zurück auf die Straße. Er habe seine Sachen in einem Park versteckt, dort werde er wie vergangenes Jahr sein Zelt hinter Gebüsch verborgen aufbauen. Und wovon träumt er? „Ein richtiger Job wäre toll, etwa bei einer Reinigungsfirma. Regelmäßiges Einkommen. Und ein Bett in einem Wohncontainer oder so.“

Übersetzung: Norbert Frater

Artikel aus der Ausgabe:
Ausgabe 386

gem/einsam

Wieso auch junge Menschen einsam sind, was das mit ihrer Gesundheit macht und was man dagegen tun kann, erfahren Sie im Schwerpunkt. Außerdem: Eine Fotoreportage aus Vietnam. Und: Wieso ein Bettler jetzt den HVV verklagt.

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Autor:in
Ulrich Jonas
Ulrich Jonas
Ulrich Jonas schreibt seit vielen Jahren für Hinz&Kunzt - seit 2022 als angestellter Redakteur.