Gerd, 50, verkauft an der Stadthausbrücke.
(aus Hinz&Kunzt 258/August 2014)
Gerd hat die Faxen dicke vom Plattemachen. „Ich will nicht mehr“, sagt er. Fast 20 Jahre war er obdachlos. Zurzeit wohnt der 50-Jährige bei einem Kumpel, bis er etwas Eigenes gefunden hat. „Wenn du auf der Straße bist, hast du 24 Stunden am Tag Stress.“ Weil man immer aufpassen müsse, auf seine Sachen und sich selbst.
Kürzlich wurde er zusammengeschlagen: mitten am Nachmittag auf der Reeperbahn. Warum, das weiß er nicht. Aufgewacht ist er auf der Intensivstation. Doch Gerd weiß mit üblen Dingen umzugehen. Jahrelang wurde er vom Vater verprügelt. Als seine Mutter starb, war er 18 Jahre alt.
Anfang der 90er-Jahre trennte sich seine Frau mit den gemeinsamen drei Kindern von ihm. Kurz darauf kam sein jüngster Sohn mit zwei Jahren bei einem Wohnungsbrand ums Leben. Der Zweitälteste ist auch schon tot: Er starb vor vier Jahren an Alkoholismus. Da war der Junge 16 Jahre alt. Nach der Trennung von seiner Familie fing es an mit der Obdachlosigkeit. Warum genau, kann Gerd nicht sagen: „Das hat sich so ergeben.“ Seit damals ist er meistens allein unterwegs, findet das aber vollkommen in Ordnung. „Ich bin ein Einzelgänger.“
Und Nika geht mit. Die Dackweiler-Hündin (Dackel plus Rottweiler) ist seine Begleiterin – wenn auch erst seit vergangenem Oktober.
Unterwegs ist Gerd schon, seit er 18 Jahre alt war. „Ich war in 44 Ländern.“ Und er hat immer irgendwo gearbeitet. Als Weinleser in Frankreich, als Oliven- und Orangenerntehelfer in Spanien, als Hafenarbeiter in Amsterdam. Aber auch in Asien, Südamerika und Afrika war er auf Reisen und wäre einmal fast nicht zurückgekommen.
In der Ostsahara wurde er von Tuareg angeschossen, weil die Wegezoll wollten und er ihnen nichts geben konnte. Zwei dicke Narben hat er am linken Oberarm. Und eine Kalaschnikow landete in seinem Gesicht. „Damals habe ich meine ersten Zähne verloren.“ Heute lacht Gerd darüber. Allein schon deshalb, weil er fest entschlossen ist, nicht mit sich und seinem bewegten Leben zu hadern. Gerd sagt: „Ich habe keinen Gram über mein Leben.“ Und er hat noch ein Ziel: „30 Jahre will ich noch machen. Ich hab noch ein paar Beerdigungen, auf denen ich tanzen muss.“ Gerd lacht. Schwarzer Humor hilft eben.
Hinz&Kunzt: Was ist dein Lieblingsort in Hamburg?
Gerd: Der Ohlsdorfer Friedhof. Da kann man seinen Gedanken nachgehen und dann geht dir keiner aufn Sack. Das ist schön, vor allem im Herbst. Aber liegen möchte ich da nicht.
Text: Maike Plaggenborg
Foto: Mauricio Bustamante