Mariusz, 27, verkauft Hinz&Kunzt im Hauptbahnhof
(aus Hinz&Kunzt 247/September 2013)
„Jedes zweite Wochenende bin ich zur Schule nach Krakau gefahren. Zwischendurch habe ich hier in Hamburg Hinz&Kunzt verkauft“, erzählt Mariusz. Die Doppelbelastung hat er gemeistert: Im Mai hat Mariusz sein Abitur bestanden. Ein großer Schritt für den inzwischen 27-Jährigen. Nun will er gerne Mechatronik in Hamburg an der Fachhochschule studieren.
Um diese Chance zu erhalten, musste der gebürtige Pole in den vergangenen vier Jahren noch mal die Schulbank drücken. „Ich komme aus dem hintersten Zipfel von Polen. Nicht weit entfernt von der Ukraine“, erzählt Mariusz. „Damals habe ich mich gefragt: Wieso Schule? Brauche ich nicht. Ich fahre lieber nach Deutschland. Dort ist es viel besser als hier.“ Mariusz war damals 18 Jahre alt und lebte bei seiner Mutter. Sein Vater arbeitete als Schlosser in einer Autowerkstatt in Hamburg. Mariusz folgte ihm.
Doch so einfach, wie Mariusz sich das Leben in Deutschland vorgestellt hatte, war es nicht. Anfänglich jobbte er auf dem Bau, später fand er in derselben Werkstatt wie sein Vater eine Anstellung. Doch eines Tages platzte der Reifen eines Lkw, an dem er arbeitete. Sein Chef verlangte von Mariusz, den Schaden zu übernehmen.
Aus Angst vor seinem Chef, vor den Kosten und vor der Arbeit, bei der ihm Fehler unterlaufen könnten, tauchte Mariusz nicht mehr in der Werkstatt auf. Stattdessen zog es ihn auf die Straße. „Ich habe drei Jahre mit Punkerkollegen auf der Straße gelebt“, berichtet der Heavy-Metal-Fan. Er lernte eine Frau kennen und verliebte sich. „Sie war Junkie.“ Mariusz wirkt bedrückt, wenn er von ihrer gemeinsamen Zeit erzählt, in der auch er begann, Drogen zu nehmen. „Aber nur zwei Jahre“, sagt Mariusz. „Ich will das nicht mehr.“ Vor fünf Jahren hat er neu angefangen. Seitdem verkauft er das Straßenmagazin am Hauptbahnhof und nimmt die Ersatzdroge Methadon. Und er setzte sich neue Ziele: Abitur, Studium.
Teil eins ist geschafft. Wenn auch verspätet: „Vor zwei Jahren habe ich fast mein Bein verloren“, erzählt Mariusz. Ein einfacher Katzenkratzer am Fuß entzündete sich. Mariusz ging trotz schrecklicher Schmerzen nicht zum Arzt. „Keine Krankenversicherung“, erklärt er. „Erst meiner Schwester ist es gelungen, mich zum Arzt zu bewegen.“ Fast wäre es zu spät für Marisusz’ Bein gewesen, aber durch eine aufwendige Operation konnte es noch gerettet werden. Heute fällt nur bei genauer Beobachtung auf, dass der 27-Jährige mit dem rechten Bein ein wenig hinkt. „Die Ärzte haben sich toll um mich gekümmert“, meint Mariusz.
In der Schule musste er trotzdem ein Jahr aussetzen. „Deswegen hat es bei mir vier Jahre bis zum Abschluss gedauert.“ Nun soll der nächste Schritt folgen: das Studium. Ein Dach über dem Kopf hat Mariusz seit einigen Monaten wieder: Er lebt im Hinz&Kunzt-Wohnprojekt.
Hinz&Kunzt: Was ist dir besonders wichtig?
Mariusz: Meine jüngere Schwester ist in Polen geblieben und studiert. Ich versuche sie zu unterstützen, wo es geht. Mit Geld oder einfach nur kleinen Geschenken.
Text: Jonas Füllner
Foto: Mauricio Bustamante