Stefania, 59, verkauft bei der U-Bahn-Station Volksdorf
(aus Hinz&Kunzt 259/September 2014)
Eine feste Unterkunft hat Stefania jetzt! In einem Wohncontainer in St. Georg. Dort gibt es auch eine kleine Küche, in der sie manchmal Marmelade einkocht: „Die bringe ich dann zum Hauptbahnhof, wo jeden Dienstag ein kleiner Bus steht, der Lebensmittel in die Ukraine fährt. Dort ist ja Krieg! Und ich will wenigstens ein bisschen helfen.“
Dabei kann die 59-jährige Ukrainerin selbst Hilfe gebrauchen: Ihr Mann starb bei einem Unfall. Und ihre beiden Söhne wurden schwer krank. Zum Glück haben sie durch Operationen überlebt. Zwischenzeitlich aber musste Stefania selbst ins Krankenhaus. „Mir ging das alles sehr an die Nieren.“ Damals war sie gerade Rentnerin geworden – bis vor Kurzem begann das Rentenalter für Frauen in der Ukraine mit 55 Jahren. Seitdem bezieht sie um die 100 Euro Rente pro Monat. Weil sie damit die hohen Behandlungskosten für ihre Söhne nicht bezahlen konnte, hat sie versucht, Verwandte zu finden, die vor 20 Jahren nach Duisburg ausgewandert sind. In den letzten Jahren hatte sie kaum Kontakt zu ihnen, aber immerhin eine Adresse. Doch als sie dort in Duisburg vor der Tür steht, wohnen ihre Verwandten dort nicht mehr: „Ich habe mich dann einfach in den nächsten Zug gesetzt. Und der fuhr nach Hamburg“, erzählt sie. Sie findet zunächst Unterschlupf im Frauenhaus, zugleich kommt sie zu Hinz&Kunzt. Dort hat sie neulich für alle Borschtsch gekocht. Echtes, ukrainisches Borschtsch!
In ihrer Heimatstadt Lemberg und dann in Kiew hat sie Deutsch und Englisch studiert und lange als Lehrerin und später als Dolmetscherin gearbeitet. „Meine Studienjahre waren meine schönsten Jahre“, schwärmt sie.
Sudoku-Rätsel sind ihre absolute Leidenschaft. Sie seien „wie Arznei“. Und Lesen mag sie: Kriminalromane, Geschichtsbücher, Zeitungen, die Hinz&Kunzt natürlich. „Man muss sich immer für etwas interessieren“, sagt sie.
Für Politik etwa. Denn die beobachtet sie mit Sorge. In ihrem Heimatland, der Ukraine, hätten immer alle Nationen friedlich nebeneinander gelebt. „Jetzt kommt Putin und nimmt sich einfach alles.“ Deshalb, und weil die wirtschaftliche Situation zu Hause immer schwieriger wird, möchte sie nun hierbleiben. Und sie wünscht sich sehnlichst, dass ihr älterer Sohn zu ihr kommt, bevor er von der ukrainischen Armee eingezogen wird. Bis dahin aber bleibt sie erst mal allein in ihrem Container, in dem sie sich sehr wohlfühlt. „Der ist wie ein richtiges Haus.“
Hinz&Kunzt: Hast du für die nächste Zeit Pläne?
Stefania: Ich überlege, wie ich es schaffe, mit dem Schiff mal für drei Tage nach London zu fahren. Ich habe so lange Englisch unterrichtet, aber ich war noch nie dort. Und ich möchte über das Rote Kreuz meine deutschen Verwandten finden.
Text: Maike Plaggenborg
Foto: Mauricio Bustamante