Schweigeminute zur besten Sendezeit: Harald Höppner setzte in der Talk-Show von Günter Jauch ein Zeichen: Zum Gedenken an die über 1000 Menschen, die am Wochenende im Mittelmeer auf der Flucht ertranken. Wer ist der Mann, der mit einem umgebauten Fischkutter und einem Team von Freiwilligen auf eigene Faust Flüchtlinge retten will? Wir waren bei der Schifftstaufe der Sea Watch im März dabei.
(aktualisiert am 20. April)
Harald Höppner sieht man an, dass die letzten zwei Monate anstrengend waren. Der Brandenburger Unternehmer hat wenig Schlaf bekommen. Aber jetzt steht er vor einer großen Menge Menschen und ein Strahlen huscht über sein Gesicht. Viele sind trotz Schmuddelwetter seiner Einladung in den Hafen nach Finkenwerder gefolgt: Kamerateams, Journalisten mit Schreibblöcken, Fotografen und Menschen, die mehr über die Idee erfahren wollen, die Höppner und seine Mitstreiter vor ein paar Monaten spontan am Küchentisch ausgeheckt haben. Nun sind alle Augen auf einen ehemaligen Fischkutter gerichtet, an dessen Bord Höppner steht. Heute wird er auf den Namen MS Sea Watch getauft.
Dieser 1917 in den Niederlanden gebaute und zuletzt 2014 überholte Fischkutter spielt die Hauptrolle bei der Idee, die man wahlweise als mutig oder größenwahnsinnig bezeichnen kann: Mit dem 21 Meter langen und 5,2 Meter breiten Stahlkutter wollen Höppner und sein Team ins Mittelmeer fahren. Ihr Ziel: Die Gegend zwischen Malta und der libyschen Küste, also genau dort, wo sich am vergangenen Wochenende erneut zwei katastrophale Schiffsunglücke ereigneten: In einem gekenterten Boot starben 400 Menschen, in einem anderen bis zu 950. Der UN-Flüchtlingsrat UNHCR sprach vom „schlimmsten Massensterben, das jemals im Mittelmeer gesehen wurde.“ Allein in den erste vier Monaten dieses Jahres wurde das Mittelmeer für über 1500 Menschen zum Massengrab. Im vergangenen Jahr starben dort mehr als 3000 Menschen. Seit dem Jahr 2000 waren es über 20.000.
„Wir wollen nicht länger tatenlos zusehen, wie Menschen im Mittelmeer sterben, weil es für sie keinen legalen Weg nach Deutschland beziehungsweise Europa gibt, um hier ihr Recht auf Asyl in Anspruch zu nehmen“, so Höppner. Darum wollen sie vor Ort Flüchtlingen in Seenot helfen.
Die Sea Watch soll eine „schwimmende Telefonzelle“ sein. Die Crew soll im Notfall Boote der Küstenwache und private Schiffe per Funk um Hilfe rufen. Höppner betont, dass die Sea Watch „kein Rettungsboot“ sei. „Wir werden da nicht hinfahren und sagen: ‚Wir sind die Sea Watch, wir werden euch retten!‘ Wir werden erst einmal beobachten. Wir werden Ausschau halten mit unseren Ferngläsern, ob es Hilferufe gibt. Wir werden unser Beiboot ins Wasser lassen und versuchen, uns erst einmal vorsichtig anzunähern.“
Es werde eine enge Zusammenarbeit mit der italienischen und maltesischen Küstenwache geben, die direkt über Notfälle in Kenntnis gesetzt werden soll. Höppner fährt Anfang April nach Malta, um für das Projekt zu werben. Er ist gut vernetzt, erste Artikel sind bereits in der Malteser Presse erschienen. Für den Fall, dass doch direkte Hilfe gefordert ist, hat sich die Crew auch gerüstet: An Bord sind hunderte Schwimmwesten und Rettungsinseln für maximal 500 Personen.
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Harald Höppner bei Jauch
Die Initiatoren: alles Landratten
Über eine neue Satellitenanlage, die noch mal so viel gekostet hat wie das ganze Schiff, will die Crew zudem Bilder und aktuelle Informationen zur Lage vor Ort in die ganze Welt senden. Das sei „absolut notwendig“, um die Öffentlichkeit zu informieren, so Höppner: „Ich sage immer, ich möchte die Grenze vom Mittelmeer nach Berlin verschieben. Das wirklich alle wissen: Das tangiert uns auch.“
Das Interesse an der Privatinitiative, die vier Brandenburger Familien („alles Landratten“) letzten Winter am Küchentisch ausheckten, war von Anfang an groß. Momentan werden rund 200 Bewerbungen von Freiwilligen sondiert – „viele auch aus Hamburg“, so Höppner. Die Altersspanne reicht von 30 bis 70 Jahren. Es sind Ärzte dabei, Anwälte, Seeleute und Menschen wie Johannes Bayer. Der Schiffsingenieur las im Internet von dem Projekt, beurlaubte sich von seinem Job in Schweden und wird das Schiff mit nach Malta überführen. Oder Menschen wie Tilmann Holsten: Der Greifswalder überführt beruflich Schiffe und begutachtete die Sea Watch vor dem Kauf. „Harald ist einer der verrücktesten Kunden, die ich je hatte. Er ist sehr entschlossen“, sagt er. Holsten verdient hier vergleichsweise Peanuts, trotzdem bereut er seine Mitarbeit nicht: „Ich bin sehr stolz darauf, dass ich das hier mit anschieben konnte.“
Im April soll die Sea Watch nach Malta überführt werden und dann im Mai das erste Mal auslaufen. Zunächst macht Harald Höppner aber erst mal 14 Tage Urlaub.
Text: Simone Deckner
Fotos: Mauricio Bustamante