Mieterverein zu Hamburg

Mieter:innen sollten sich mehr wehren

Dr. Rolf Bosse, Vorsitzender des Mieterverein Hamburg, in seinem Büro. Foto: Imke Lass

In Hamburg werden immer höhere Mieten verlangt. Grundlage dafür ist der Mietenspiegel, den der Mieterverein zu Hamburg weiter anerkennt. Warum eigentlich?

Hinz&Kunzt Randnotizen

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Hinz&Kunzt: Hamburgs Vermietende verlangen heute knapp zehn Euro pro Quadratmeter. Ein Anstieg von mehr als einem Euro seit 2019. Das geht aus dem neuen Mietenspiegel hervor.

Rolf Bosse: Ein beunruhigendes Fazit. Es zeigt deutlich, die steigenden Mieten können immer weniger Menschen stemmen. Und die Gehälter halten nicht Schritt. Hinzu kommt: Selbst Mieter:innen mit durchschnittlichen Einkommen haben es inzwischen schwer, eine Wohnung zu finden.

Grundlage für Mieterhöhungen ist der Mietenspiegel, und der steigt. Auch, weil nur Mieterhöhungen und Neuvermietungen und keine unveränderten, oft günstigen Mieten in die Erhebung einfließen. Ein Fehler mit System?

Wenn es ein Fehler sein soll, dann ja. Denn: Als der Gesetzgeber 1975 das Miethöhegesetz verabschiedet hat, war ein System, das einen Mietanstieg nach sich zieht, gewollt. Im Gegenzug zum Verzicht auf die grundlose Kündigung der Wohnung haben Vermieter dieses Mieterhöhungssystem bekommen. Damals waren die Vorzeichen allerdings anders als heute. Viele Wohnungen waren noch in gemeinnütziger und öffentlicher Hand. Die Mieten stiegen, aber nur sehr langsam. Seit den 1990er-Jahren wurde dann nicht nur zu wenig neu gebaut, sondern es wurden ganze Wohnungsbestände privatisiert und an gewinnorientierte Unternehmen verkauft. Eine totale Fehlsteuerung mit der Folge, dass wir uns nun in dieser Wohnungsnot befinden.

Die Mietervereine fordern schon lange, dass der Mietenspiegel anders erhoben werden soll. In diesem Jahr ist der Streit beinahe eskaliert. Wie kam es dazu?

Im Kern geht es um die Art der Berechnung der Mittelwerte. Bislang wurden die aus der Durchschnittssumme aller erhobenen Mieten errechnet. Diese Methode nennt man das arithmetische Mittel. Die Behörde wollte jetzt den Median zugrunde legen. Das ist der Wert, der genau in der Mitte aller erhobenen Mieten liegt.

Ich war nie gut in Mathematik. Was macht also den Unterschied?

Wenn unter den erhobenen Mieten extrem hohe sind, wirken sich diese auch extrem auf die Durchschnittssumme aus. Der Miet-Median, also die Miete, die in der Mitte aller Datensätze liegt, wird hingegen durch diese Ausreißer so gut wie gar nicht beeinflusst. Der Median zieht also in vielen Fällen geringere Mittelwerte nach sich. Deswegen haben wir Mietervereine den Vorstoß begrüßt. Die Vermieterverbände haben aber gedroht, die Neuberechnung nicht anzuerkennen. Das hätte die Rechtssicherheit des Hamburger Mietenspiegels gefährdet.

Die Behörde hat schließlich eingelenkt und die Änderungen zurückgenommen. Aus Protest dagegen erkennt der zweitgrößte Verein „Mieter helfen Mietern“ den Mietenspiegel nicht an. Ihr Verein hingegen trägt ihn mit, obwohl er Mieterhöhungen für viele Haushalte bedeutet. Warum?

Aktuell begründen Vermietende Preiserhöhungen mit dem Mietenspiegel. Ohne dessen Anerkennung könnten sie versuchen, massive Mieterhöhungen zu verschicken. Dagegen hätten sich Mieter:innen natürlich wehren können. Aber wir wissen aus Erfahrung, dass sich höchstens 20 Prozent der Betroffenen gegen eine falsche Mieterhöhung wehren. Deswegen bin ich fest davon überzeugt, dass die Anerkennung dieses Mietenspiegels weniger Streit, mehr Sicherheit und am Ende des Tages geringere Erhöhungen für alle Mieterinnen und Mieter Hamburgs bringt, als einer, der auf dem Papier besser ist, an den sich aber nicht gehalten wird. Zudem trotzen wir der Wohnungswirtschaft dafür einige Zugeständnisse ab.

Welche sind das?

In diesem Jahr fallen immerhin schon mal 2,5 Prozent der überhöhten Mieten aus der Berechnung raus. Außerdem haben wir vereinbart, dass der Mietenspiegel 2025 nach dem Median berechnet und das von der Wohnungswirtschaft auch anerkannt wird. Und im Arbeitskreis Mietenspiegel wollen wir gemeinsam einen Weg finden, um rechtswidrige Mieten insgesamt aus der Berechnung herauszufischen. Wenn illegale Mieten nicht mehr in den Mietenspiegel einfließen, wird auch die Dynamik der Preissteigerung gebremst.

Die städtische Saga hat sich verpflichtet, ihre Mieten innerhalb von drei Jahren um 10 Prozent statt der
erlaubten 15 Prozent zu erhöhen. Ist das angesichts der Mietenentwicklung nicht immer noch zu viel?

Ich wünsche mir, dass die Saga ihre Deckelung noch mal ausdifferenziert und bei kleineren Wohnungen versucht, die Preisentwicklung etwas stärker zu dämpfen. Wichtig ist aber, dass sie Mieten erhöht, weil nur veränderte Mieten in den Mietenspiegel einfließen. Den Erhöhungen der noch weitgehend günstigen Saga-Mieten haben wir zu verdanken, dass der Mietenspiegel nicht noch schneller in die Höhe schießt. Also fünf Euro mehr für alle. Tut mir leid, liebe Mieterinnen und Mieter, aber das muss sein. 

Wie geht es in Ihren Augen weiter?

Bisher war es so, dass unseren Protestaufrufen wenige gefolgt sind. Das muss sich ändern! Ich will, dass, wenn die Wohnungswirtschaft beim Mietenspiegel 2025 Zicken macht, alle Mieter:innen in Hamburg aus ihren Häusern kommen und klar machen: Wer un­zulässig zu viel verlangt, dem hauen wir die Mieter­höhungen um die Ohren. 

Artikel aus der Ausgabe:

Eins geht noch?

Laut einer Studie kann sich etwa jede:r Fünfte in Deutschland vorstellen, einen „trockenen Januar“ – einen „Dry January“ – einzulegen. Wir haben für Sie ohne moralischen Zeigefinger mit Suchtexperten und Menschen gesprochen, die mit und ohne Alkohol leben. Außerdem im Magazin: Warum unser Hunger auf Fisch im Senegal zum Problem wird.

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Autor:in
Jonas Füllner
Jonas Füllner
Studium der Germanistik und Sozialwissenschaft an der Universität Hamburg. Seit 2013 bei Hinz&Kunzt - erst als Volontär und inzwischen als angestellter Redakteur.

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