Atze Schröder über Humor

„Mensch sein heißt, sich zu entwickeln“

Foto: BorisBreuer

Das wandelnde Ruhrpott-Klischee Atze Schröder ist nicht aus der deutschen Comedylandschaft wegzudenken. Lukas Gilbert hat mit ihm über geschmacklose Witze und die Verantwortung als Comedian gesprochen.   

Hinz&Kunzt Randnotizen

Freitags informieren wir per Mail über die Nachrichten der Woche:

Atze Schröder schlägt zum Interview im Hinz&Kunzt-Haus auf, wie man ihn kennt: Locken auf dem Kopf, Pilotenbrille auf der Nase, Grinsen auf dem Gesicht. Seit bald 30 Jahren ist das Ruhrpott-Original auf Bühnen unterwegs – immer ­kostümiert, immer als Atze. Seine bürgerliche Identität hält der Wahlhamburger geheim. Doch in jüngster Ver­gangenheit lässt er immer wieder einen Blick hinter die ­Fassade zu, 2022 hat er gar eine Autobiografie veröffentlicht.

Hinz&Kunzt: Du bist seit den 1990er-Jahren erfolgreich. Warum funktioniert Atze Schröder so gut?

Atze Schröder: Ich glaube, es sind zwei Sachen. Einmal Herz. Rudi Carrell hat immer gesagt: „Ein Komiker braucht Herz“, und ohne das geht es nicht. Das Zweite ist: Ich habe immer sehr viel inhaltlich gedacht, viel an Texten gefeilt und mit Autoren zusammengearbeitet – und ich glaube, das ist es, dass man inhaltlich dranbleibt und auch immer die Nase am Arsch des Volkes hat.

Deine Serie „Alles Atze“, aber auch andere Comedyformate aus den 1990ern und 2000ern, sind voll mit Gags über Schwule, Frauen, Dicke, Ausländer:innen – wie denkst du heute über die Comedy dieser Zeit?

Das war der Zeitgeist – aber da haben wir uns Gott sei Dank weiterentwickelt. Wenn man das nicht tut, dann gehört man nur noch zu dieser Zeit und ist irgendwann auch out.

Gibt es Gags, für die du dich heute schämst?

Schämen nicht, aber ich würde einige so auf keinen Fall mehr machen. Sachen, die als frauenfeindlich empfunden werden können, oder irgendwelche „Tuntenwitze“. Damals, im ­Kontext der Zeit, haben wir das als lustig empfunden. Aber Mensch sein heißt auch, sich zu entwickeln – und ich glaube, das hört nie auf. Sachen, die ich vor einem halben Jahr noch gesagt hätte, empfinde ich heute als unangenehm.

Zum Beispiel?

Zum Beispiel ist es mir heute wichtig, alle Geschlechter anzusprechen, nicht nur Mann und Frau. Darauf habe ich lange nicht so einen Wert gelegt. Auf der Bühne spreche ich heute darüber, dass es mindestens 50 Geschlechter gibt, aber in einer Art, die nicht despektierlich und herab­würdigend ist, sondern ich sage: „Wovor habt ihr Angst?“ Über Humor kann man schließlich auch Ängste nehmen.

Neben Atze Schröder ist zum Beispiel auch Cindy aus Marzahn schon lange erfolgreich, Trash-TV-Formate aller Art sowieso: Warum lachen wir so gerne über die Unterschicht?

Viele Menschen schauen halt gerne auf Leute, denen es noch schlechter geht als ihnen selbst, die noch fertiger sind als man selbst. Bei den ganzen Trash-Formaten ist das ­offensichtlich. Auf andere zu zeigen und auf andere herabschauen zu wollen, das scheint tief verankert zu sein. Mir ist wichtig, dass ich mich immer selbst mit reinnehme. Nicht zu sagen: „Guck mal, die da“, sondern mich zum Teil dessen zu machen. Ich mache sehr viele Witze auf ­meine ­eigenen Kosten und haue mich im Zweifel selbst in die Pfanne.

Gute Satire tritt nicht nach unten, heißt es oft. Hast du Maßstäbe für Comedy?

Gute Comedy macht sicherlich aus, nicht nach unten zu treten – aber auch nicht nach oben. Es geht eher darum, den Leuten auch mal den Boden unter den Füßen wegzuziehen.

Du kommst aus einfachen Verhältnissen. Fühlt es sich manchmal falsch an, den Proll zu spielen und so auch ein bestimmtes Bild von „einfachen Leuten“ zu zeichnen?

Genau das mache ich eben nicht. Darüber, dass der Atze als relativ einfach eingestuft wird, versuche ich Gedanken auf die Bühne zu bringen, die auch im Feuilleton der Süddeutschen stattfinden könnten. Und das ist eigentlich immer der schönste Moment, wenn ich sehe, das Publikum denkt: „Ach, stimmt, da hab ich so noch gar nicht drüber nachgedacht, obwohl ich ja so schlau bin.“ Das sichere Fundament der Bildungsbürger zu erschüttern, dass jemand, der eher von unten kommt, vielleicht hier und da auch mal die ­bessere Einsicht hat, das macht ganz viel Spaß.

Werden Menschen mit niedrigem Bildungsabschluss unterschätzt?

Mit Sicherheit. Letztens fuhr bei uns der Müllwagen vor, und ich habe an einen, der hinten auf dem Trittbrett stand, eine Frage gestellt. Der Typ hat mir in kurzer Zeit einen Vortrag gehalten, der hätte so auch im Bundestag statt­finden können. Mit Hauptsätzen, Nebensätzen und sinnvollen Fremdwörtern. Das ist genau dieser Effekt, den ich meine. Da kommt von jemandem inhaltlich etwas, womit du nicht rechnest, und das haut dich dann besonders vom Hocker. Diese Menschen werden immer für dumm ­gehalten. Und das stimmt einfach nicht.

Ist es schwieriger geworden, Comedy zu machen?

Der eine oder andere sagt ja, man könne auf der Bühne vieles nicht mehr sagen. Vieles sollte man auch nicht sagen, würde ich da anfügen, und das heißt, man muss raffinierter werden und Dinge raffinierter schreiben – aber das macht auch Spaß.

Dennoch wird weiterhin alles gesagt. Ich habe zumindest nicht den Eindruck, dass heutzutage alle Comedians besonders reflektiert auftreten.

Das würde ich auch nicht sagen. Es ist vermutlich wie in der Musik. Es gibt den Ballermannschlager auf der einen Seite des Spektrums, und es gibt die vielleicht etwas überladene Ballade von Grönemeyer auf der anderen.

Sexismus ist also auch in der Comedyszene weiter aktuell – aber es gibt mehr Gegenwind. Wie wichtig war es, dass #MeToo die Comedyszene erreicht hat?

Ich halte das für elementar wichtig. Und auch hier kann man Menschen, die noch dagegenreden, sagen: „Wovor habt ihr Angst?“ Stichwort „alter Weißer Mann“. Ich bin ja nun mal selbst einer. Das kann ich benutzen und sagen: „Was ist an mir lächerlich und wo kann ich mich ändern?“ Da steckt so viel drin, da könnte man eine halbe Stunde auf der Bühne draus machen.

Welche Rolle spielt es, dass sich Betroffene Gehör verschaffen? Ich denke da zum Beispiel an den Behindertenwitz von Luke Mockridge, der kürzlich eine Debatte ausgelöst hat.

Das spielt eine große Rolle. Denn man übersieht auch ­Dinge, das muss man ganz offen zugeben, und dann ist es doch gut, wenn man Hinweise bekommt.

Haben sich Menschen an dich gewendet?

Ich habe vor etwa zehn Jahren einen Gag über „Zigeunerschnitzel“ gehabt. Vom Zentralrat Deutscher Sinti und ­Roma kam dann ein Hinweis, das Wort auch im erkennbar lustigen Kontext nicht mehr zu verwenden. Das fand ich ­absolut hilfreich.

Hast du da auch eine Verantwortung als Comedian?

Auf jeden Fall. Ich will ja nicht helfen, Dinge hoffähig zu machen, bei denen ich privat der Meinung bin, sie sind zurecht nicht mehr sagbar.

Du machst seit einiger Zeit einen Podcast zusammen mit dem Psychologen Leon Windscheid. Seit wann setzt du dich mit deiner eigenen Psyche auseinander?

Schon ein Leben lang. In meiner Familie gab es viele tragische Suizide. Viel Schwermut, teilweise auch Depressionen. Von daher liegt es fast in der Wiege, sich damit auseinanderzusetzen. Das ist ein Thema, das immer schon in meiner Familie besprochen wurde.

Was keine Selbstverständlichkeit ist …

Das stimmt, aber in unserer Familie ist das Thema einfach so offensichtlich. Mein Vater war eines von neun Kindern. Fast die Hälfte der Geschwister ist frühzeitig aus dem Leben geschieden. Seine Mutter, also meine Oma, hat sich auf dem Dachboden erhängt. Wenn in einer Familie ein Fall ­vorkommt, dann wird der vielleicht noch verschwiegen. Aber wenn es in allen Teilen der Familie überall wieder ­auftaucht, dann spricht man natürlich darüber. Thera­peutisch habe ich mich damit aber erst später im Leben auseinandergesetzt.

Und das hat geholfen?

Total. Ich kann nur jedem empfehlen, zum Profi zu gehen, wenn man Fragen in sich spürt.

Birgt Humor auch die Gefahr, Dinge von sich ­weg­zuschieben und sich nicht ernsthaft mit ihnen auseinanderzusetzen?

Ja, unbedingt. Da muss man auch aufpassen, dass man nicht alles ironisiert und dass man einige Dinge wirklich ernst nimmt. Alles über die Ironieschiene zu fahren – das ist letztlich Resignation, spätestens wenn es in den Zynismus übergeht. Denn Zynismus ist endgültig ein Aufgeben.

Gab es Phasen, in denen es dir schwerer fiel, Witze zu machen?

Nee, nie. Das ist einfach meine Leidenschaft, und ich freue mich jetzt schon wieder darauf, das nächste Mal auf der Bühne zu stehen.

Ob reflektierter Atze der 2020er- oder 1990er-Atze: Mehr Ruhrpott-Klischee geht eigentlich nicht. Jetzt lebst du seit einigen Jahren in Hamburg. Wie groß war der Kulturschock?

Gar nicht so groß. Ich habe immer schon total gerne in Hamburg gespielt. Auch weil der Humor hier ähnlich handfest ist. Im Ruhrpott ist das wahrscheinlich alles gespeist durch die Bergarbeiter-Tradition – und in Hamburg waren es eben die Hafenarbeiter, die das Handfeste, aber auch Einflüsse aus aller Welt reingebracht haben.

Danke für das Gespräch!

Artikel aus der Ausgabe:

Wovor habt ihr Angst?

Für unseren Humorschwerpunkt haben wir mit Atze Schröder darüber gesprochen, wie sich Comedy verändert hat – und wie er sich selbst weiterentwickelt hat. Zudem haben wir die Clowns ohne Grenzen besucht und mit einer Psychologin über die heilende Kraft von Humor gesprochen. Außerdem im Heft: In Harburg finden Drogenkranke seit mehr als 30 Jahren Hilfe. Doch die Sozialarbeiter:innen des Abrigado fühlen sich allein gelassen.

Ausgabe ansehen
Autor:in
Lukas Gilbert
Lukas Gilbert
Seit 2019 bei Hinz&Kunzt. Zunächst als Volontär, seit September 2021 als Redakteur.

Weitere Artikel zum Thema