Unser Autor hat sich mit 48 nochmal verliebt – in eine Band! Deswegen lud er die französisch-schweizerischen Carrousel für ein Konzert in sein Wohnzimmer. Und tatsächlich kamen sie.
Es hat mich erwischt. Mit 48. Und anfangs hab’ ich es gar nicht gemerkt. Ich war auf der Suche nach neuer, schöner Musik. Googelte rum, gab Namen von Bands ein, die mich vor Jahren begeisterten, als ich noch keine Kinder und viel Zeit hatte, in CD-Läden nach musikalischen Entdeckungen zu suchen. Ich tippte also „Les Négresses Vertes“ ein (eine französische Band, die um 1990 Chanson, Polka und Ska kombinierte) – und landete bei „Carrousel“.
Einige Wochen später besuchten meine Frau und ich das Konzert. Montagabend, 60 Leute in einer Bar in Barmbek, gleich neben dem Eingang eine improvisierte Bühne. Die Präsenz der Musiker zog uns sofort in ihren Bann, die Songs verzauberten unsere Herzen. Die besonderen Instrumente! Der Wechselgesang! Je länger die Band spielte, desto mehr wippten wir auf unseren Barhockern im Takt. Zu tanzen trauten wir uns an diesem Abend noch nicht – dabei will diese Musik getanzt werden!
Nach dem Konzert verkauften die Musiker ihre CDs, die sie zuvor signierten. Eine kostete 15, drei 25 Euro. „Zu teuer“, sagte meine Frau. Ich folgte ihrer Sparsamkeit. Tags darauf bereute ich es. Surfte auf der Internetseite der Band. Bestellte die CDs zum doppelten Preis. Und schickte meine E-Mail-Adresse an den Fan-Verteiler, in der Hoffnung, bald von neuen Auftritten zu erfahren.
Neun Monate später meldete sich der Manager. „Carrousel“ planten eine Tournee durch deutsche Wohnzimmer, ob wir eine Idee für unsere Stadt hätten? Ich zögerte. War unser Wohnzimmer für so etwas geeignet? Sollten wir nicht besser Freunde fragen? „Wenn du da nicht ja sagst, wirst du es dein Leben lang bereuen!“, sagte meine schlaue Frau. Wir sagten zu. Und luden ein. Und waren aufgeregt! Musiker in unserem Wohnzimmer, mitten in diesem langweiligen Neubaugebiet vor den Toren der Stadt!
Es wurde der schönste aller denkbaren Abende– Ulrich Jonas
Schon bald plagten uns Zweifel. Was, wenn unsere Freunde und Bekannten nicht kämen, obwohl sie zugesagt hatten? Wenn sich nur zehn oder 15 Menschen in unserem Wohnzimmer verlören?
Es wurde der schönste aller denkbaren Abende. Unser Wohnzimmer war voll, der Hut mit den Spenden auch, und Sophie und Léonard, Kern der Band und gleichzeitig ein Paar, entpuppten sich nicht nur als großartige Musiker, sondern auch als beeindruckende Menschen.
Wir kochten für sie, radebrechten auf Französisch, räumten unser Bett und schliefen auf dem Fußboden. Musikerkind Mathieu und die Babysitterin bekamen das Gästezimmer. Sogar unsere Jungs, eher schwer zu begeistern für französischsprachigen Chanson-Pop, waren angetan. Mein Sohn Valentin und meine Frau reparierten mit Sophie ihr Toy-Piano, bei dem sich ein Filzdämpfer gelöst hatte. Sie war glücklich. Als der VW-Bus hupend Richtung nächstes Wohnzimmer fuhr, fühlten wir uns gleichzeitig übervoll und irgendwie leer.
Wir sind dann Groupies geworden. Zwei Monate später fuhren wir nach Bremen. Eine kahle ehemalige Lagerhalle statt unseres Wohnzimmers, wir nicht mehr Gastgeber, Veranstalter, sondern nur noch Fans. Wir kamen deutlich zu früh, blickten in den Raum und sahen „unsere“ Musiker dort mit anderen zu Tisch sitzen. Wir mussten draußen bleiben.
Es war ein schönes Konzert, ja. Doch irgendwie fühlten wir uns hinterher auch ein wenig betrogen. Hörten sich die Ansagen nicht ähnlich an wie bei uns im Wohnzimmer? Was wir als so besonders empfunden hatten, verlor ein Stück seiner Einzigartigkeit. Wir fühlten, was wir vorher nur gewusst hatten: Wir sind nicht die einzigen Fans dieser Band, und sie spielt nicht nur für uns.
Caroussel live
Lüneburg: Freitag, 7.10., 21 Uhr, Zur Hasenburg, Hasenburg 1, 14/10 Euro
Weitere Infos unter www.carrousel-musique.com
Unserer Liebe tat das keinen Abbruch – sie ist bedingungslos. Also machten wir uns auf die Suche nach Orten, wo die Band auftreten könnte. Wir haben sie gefunden. In Lüneburg, wo wir leben, sind wir heimliche Veranstalter. Das Konzert steigt im Partyraum eines in die Jahre gekommenen Hotels, in dem sonst alte Männer Bundesliga schauen. Der Kontakt kam über uns zustande.
Längst hängen wir Plakate auf, rufen bei Magazinen an und verteilen selbst gedruckte Flyer (1000 Stück). Mit Freunden sprechen wir garantiert jedes Mal über die Frage, ob sie auch wirklich zum Konzert kommen, zu wie vielen oder warum nicht. Wir schreiben Menschen an, zu denen wir seit Monaten oder Jahren keinen Kontakt hatten. Es ist eine aufregende Zeit.
Manchmal huscht mir der Gedanke durch den Kopf, was sein wird, wenn alles vorbei ist. Ich verscheuche ihn dann schnell. Schließlich ist nach dem Konzert vor dem Konzert.