Den besten Überblick über das Leben auf der Straße haben Obdachlose – und Hinz&Künztler. Sie stehen schließlich tagein, tagaus, bei Wind und Wetter auf ihrem Verkaufsplatz. Für die meisten ist er deshalb fast so etwas wie ein Stück Heimat. Umso schlimmer, wenn sie von dort vertrieben werden.
(aus Hinz&Kunzt 248/Oktober 2013)
Manche Hinz&Künztler stehen jahrelang am selben Ort. Für viele spielt sich hier ihr ganzes Leben ab. Hier sind ihre Kunden, mit denen sie auch dann ein Schwätzchen halten, wenn sie längst eine Zeitung gekauft haben, hier haben einige Hinz&Künztler Freunde gefunden, manche sogar eine Wohnung. „Wer von seinem Platz vertrieben wird, der empfindet das oft ähnlich schlimm wie damals, als er seine Wohnung verloren hat“, ist die Erfahrung von Hinz&Kunzt-Sozialarbeiter Stephan Karrenbauer.
Neulich gab es wieder so einen Fall, zum Glück mit Happy End. Da bekam ein Hinz&Künztler vor einem großen Supermarkt einen Platzverweis. Ein neuer Bezirksleiter empfand Jan als Störfaktor. „Ich war wie zerstört“, erzählt der 63-Jährige. Aber bevor wir noch Kontakt aufnehmen konnten zu dem Bezirksleiter, hatten sich schon Jans Kunden eingeschaltet und für den 63-Jährigen gekämpft: Sie schrieben einen Brief an den Bezirksleiter und sammelten Unterschriften. Sie erzählten dem Hamburger Abendblatt, dass der Hinz&Künztler „die Seele des Platzes“ sei, oft die Einkaufswagen säubere, auf den Hund aufpasse. Und alle hoben immer wieder hervor, wie hilfsbereit Jan sei. Tatsächlich machte der Bezirksleiter seine Entscheidung dann auch rückgängig. Danke! Und danke vor allem an alle, die sich für Jan eingesetzt haben!
Auch Erichs Verkaufsplatz war neulich in Gefahr. Seit zwölf Jahren steht er auf dem Wochenmarkt in Bergedorf. Weil er’s ziemlich doll am Rücken hat, bringt er einen Hocker mit. Auch dieser Hocker steht seit Jahren auf dem Markt.
Neulich kam ein Mann auf ihn zu, den er noch nie gesehen hatte. Du und dein Hocker, ihr müsst hier weg, soll der Mann wohl sinngemäß gesagt haben. Nun ist Erich nicht jemand, der sich so schnell etwas sagen lässt, zumal er sich im Recht wähnte. Schließlich hat er vom Bezirksamt eine Genehmigung, dass er an dieser Stelle die Hinz&Kunzt verkaufen darf. Der Mann schnappte sich den Hocker und baute ihn an einem Nebeneingang wieder auf. „Ich kann nicht anders, ich kann nicht anders“, soll er dabei immer wieder gesagt haben. Hier könne er sitzen, ohne jemanden zu stören. „Zu stören?!“ Erich war tief getroffen und aufgebracht. Wenn er ihm nicht glauben würde, dann solle er doch beim Bezirksamt anrufen, rief er. Aber das tat der Mann nicht. Schließlich sei er selbst Mitarbeiter des Bezirksamtes.
Wie gesagt, der Erich lässt sich nicht so schnell alles gefallen … Ganz laut und ganz aufgeregt kann der 61-Jährige dann werden. Dass es in ihm drinnen ganz anders aussieht, das weiß man nur, wenn man ihn kennt.
Bis in den Hauptausschuss des Bezirks Bergedorf kam die ganze Angelegenheit. Und es stellte sich heraus: Der Mann war die Urlaubsvertretung und wusste nichts von der Genehmigung. Der Erich und sein Hocker dürfen also bleiben. Erich hatte sich sowieso schon vorgenommen, den Hocker wieder an seinen Platz zu stellen. Er hatte sich sogar ausgedacht, was er sagen würde, wenn der Mann wieder auftauchen würde: „Ich kann nicht anders, ich kann nicht anders.“
Text: Birgit Müller
Foto: Peter Czikowsk