Thomas, 50, verkauft Hinz&Kunzt auf St. Pauli.
(aus Hinz&Kunzt 243/Mai 2013)
Thomas’ Lebensweg ging nie lange Zeit geradeaus, aber der 25. April 1991 wirft ihn komplett aus der Bahn. Das ist der Tag, an dem er einen Nachbarn totschlägt. Weil der ein „Kinderschänder“ gewesen sei und sich an einem Nachbarsjungen vergriffen habe. Für 15 Jahre muss Thomas in den Knast: Totschlag. In Santa Fu bereut er seine Tat. „Ich hätte mich bremsen sollen“, sagt er daher. Aber im Bremsen war Thomas noch nie gut. Als er vier Jahre alt war, kam er ins Heim: Seine Mutter war mit den elf Kindern überfordert. Im Heim erlebt er Gewalt, wird mit dem Rohrstock geschlagen. „Da lernst du, dich durchzusetzen“, erinnert er sich.
Als Thomas elf ist, haut er das erste Mal ab: Er klaut ein Pferd und reitet davon. „Mein Drang nach Freiheit war groß“, sagt er. Es folgen andere Heime, es folgen weitere Fluchtversuche. Als die Bundeswehr ihn einziehen will, reist er zwei Jahre durch Europa – um sich schließlich für vier Jahre zu verpflichten, als die Feldjäger ihn einfangen. „Ich konnte ja nicht wissen, dass es mir da gefällt“, sagt Thomas schmunzelnd. Rastlos ist er bis heute: „Wenn ich mal einen Rappel kriege, setze ich mich einfach in einen Zug und bin weg.“
Was Thomas gar nicht mag: Wenn man sein Vertrauen missbraucht. Im Dezember 2011 erwischt er seine Freundin mit einem anderen im Bett. Damit war die Beziehung für ihn vorüber. „Das dulde ich nicht!“, sagt Thomas. Viereinhalb Jahre lang hatte er mit der Frau und ihrer Tochter in einem Mietshaus vor den Toren Hamburgs gelebt. Dann, im Januar 2012, zieht er aus. „Ich setze keine Frau mit Kind vor die Tür“, sagt er. „Ich bin nie ein Arschloch gewesen.“ Thomas’ Problem: Er findet keine bezahlbare Wohnung, landet mit seinem Schlafsack auf dem Rathausmarkt.
Das Leben auf der Straße setzt ihm mehr zu, als er gedacht hätte: Im Oktober 2012 wird er mit einer Lungenentzündung ins Krankenhaus eingeliefert. „Das war haarscharf“, sagt Thomas nachdenklich. „Wäre ich ein paar Tage später gekommen, wär’s das gewesen.“ Hätte er danach wieder auf die Straße gemusst, hätte er den Winter wohl nicht überlebt.
Doch Thomas hatte Glück: Er ist im Winternotquartier von Hinz&Kunzt untergekommen. „Das war wie ein Sechser im Lotto!“, sagt er. In dem ehemals leer stehenden Bürogebäude kommt er zusammen mit seinen Mitbewohnern wieder zur Ruhe, findet Zeit und Sicherheit für Schlaf und Körperpflege. „Draußen habe ich meinen Körper betäubt. Das brauche ich hier nicht“, erzählt er zufrieden.Thomas ist mit Leib und Seele Hinz&Künztler. Er hat beim Verkaufen sogar eine ganz besondere Frau kennengelernt: „Sie ist inzwischen mehr als nur eine gute Freundin“, sagt er und lächelt. Thomas hat sogar schon einen Schlüssel zu ihrer Wohnung, könnte auch bei ihr einziehen.
Aber in diese Abhängigkeit will er sich nicht begeben, jedenfalls noch nicht: „Ich verlasse mich nicht auf eine Frau, nur um eine Unterkunft für mich zu haben.“ Schließlich sei er zu oft enttäuscht worden. Es geht gerade wieder ein bisschen aufwärts in Thomas’ Leben, doch bald muss er wohl wieder auf die Straße. Dann könnte er wieder abstürzen. „Das will ich eigentlich nicht“, sagt Thomas. „Aber man weiß es ja nicht.“
Text: Benjamin Laufer
Foto: Mauricio Bustamante
Hinz&Kunzt: Hast du einen Lieblingsplatz in Hamburg?
Thomas: Ich setze mich am Elbstrand in Övelgönne gerne in den Sand und gucke auf die Elbe. Das kann ich stundenlang machen.
H&K: Wo siehst du dich in zwei Jahren?
Thomas: Ich würde mich gerne in einer vernünftigen Wohnung sehen. Und mit einem Job, der zu mir passt und zu dem ich passe.