Mauretanien

Früher Sklave, heute Aktivist

Brahim Ramdhane zeigt seinem Sohn Ismael den Ort, an dem er als Sklave aufwuchs. Foto: Frank Schultze

Einst war er selbst ein Sklave – heute engagiert sich der Aktivist Brahim Ramdhane für ein Mauretanien ohne Unterdrückung und Leibeigenschaft. Seine stärkste Waffe: Kindern eine Schulbildung zu ermöglichen.

Hinz&Kunzt Randnotizen

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Wo vor rund 50 Jahren Sklavenhalter ihre Zelte aufbauten und das Dorf Ain Salama entstand, erstreckt sich heute nur noch die Wüste Mauretaniens unter einem grenzenlos blauen Himmel und brennender Sonne. Hier parkt Brahim Ramdhane, 55, seinen Wagen. 160 Kilometer ist er mit dem Auto aus der Hauptstadt Nouakchott hergekommen, auf der Suche nach Spuren seiner Ver­gangenheit. Lederne Flip-Flops trennen seine Füße vom ­glühenden Sand. Ramdhane starrt auf eine rostige Metallplatte auf einem weiß getünchten Brunnen und erinnert sich an seine Kindheit. 

Als Fünfjähriger zog er Wasser aus dem 60 Meter tiefen Schacht. Er erinnert sich an die furchtbare Hitze, in der er schuften musste. „Brahim, hol Wasser!“, „Brahim, such die Esel!“, befahlen seine Master damals. Wenn er hinaus zu diesem Brunnen rannte, bekleidet nur mit einem Lendenschurz oder alten Lumpen, brannte der Sand unter seinen nackten Füßen. Damals war er ein Sklave. 

Brahim Ramdhane gehört zu den Haratin, ehemaligen Sklaven und deren Nachkommen, die sich heute als Volksgruppe verstehen. Dass die Einteilung in „Schwarze“ und „Weiße“ als Sklaven und Sklavenhalter kein Naturgesetz ist und wohl auch nicht der Wille Allahs, lernte Ramdhane erst im Laufe seines Lebens. Nur ein Zufall führte dazu, dass er die Schule besuchte. Erst seit 2007 steht Sklaverei auch in Mauretanien unter Strafe. Doch bis sie auch aus den Köpfen der Menschen verschwunden ist, setzt sich Ramdhane mit seiner Stiftung dafür ein, dass mehr Haratin-Kinder zur Schule gehen.

Brahim war fast sechs Jahre alt, als 13 freie Kinder in Ain Salama nach zwei Jahren Koranschule in die Grundschule gehen sollten. Doch die Regierung bezahlte nur dann einen Lehrer, wenn er vor mindestens 15 Schüler:innen unterrichtete. Deshalb griffen die Sklavenhalterfamilien zu einem Trick: Sie setzten zwei Sklavenkinder auf die freien Plätze. Eines von ihnen war Brahim. Er wurde ein guter Schüler, trotz der Arbeiten vor und nach der Schule, und schaffte nach sechs Jahren die Versetzung an die Mittelschule in Boutilimit, der nächsten Stadt. 

Ramdhane fährt knapp zehn Kilometer von seinem Heimatdorf in die Stadt. Damals, als Schüler, legte er die Strecke zu seiner früheren Mittelschule zu Fuß zurück. „Mein Gefühl von Freiheit begann hier“, erzählt er beim ­Anblick der staubigen Klassenräume. Hellhäutige und ­dunkelhäutige Kinder lernten hier ganz selbstverständlich nebeneinander, doch nur Brahim war Sklave. „Hatte Allah die Sklaven nicht dunkel geschaffen?“, fragte er sich und lernte: Mauretaniens Kinder erhielten ihren Status durch die Mutter. War ihre Mutter Sklavin, gehörten auch die ­Kinder ihren Mastern. Brahim begann zu rebellieren, suchte Streit mit seinen Mastern. Auch seiner Mutter ­machte er Vorwürfe. Doch sie antwortete: „Die Master sind meine Familie, so wie du es bist.“ Sie war nicht durch Eisenketten an ihre Master gebunden, sondern durch den tiefen Aberglauben, Abtrünnige erwarte das Fegefeuer. 

In der für alle kostenlosen Schule ist Brahim erfolgreich, wird ans Gymnasium versetzt und engagiert sich als Aktivist in der Anti-Sklaven-Bewegung. Die Sklaverei wird 1981 abgeschafft, bleibt jedoch straffrei. Die Jahre vergehen mit Abitur und Studium der Soziologie – und mit Informationskampagnen gegen Sklaverei. An diesen arbeitet Ram­d­hane im Geheimen, da Abhängigkeiten von den Mastern und Repressalien gegenüber den Schwarzen Mauren nach wie vor zum Alltag gehören. Er heiratet, wird Philosophielehrer und lebt ab 2001 in der Hauptstadt Nouakchott. 

Auch das Land entwickelt sich weiter: Internationale Proteste und Forderungen von Bürgerbewegungen führen dazu, dass das mauretanische Parlament 2007 Sklaverei ­unter Strafe stellt. Ein historischer Erfolg. Mit neuem Schwung gründen Ramdhane und seine Freunde die ­Organisation „Initiative de Resurgence du Mouvement ­Abolitionniste en Mauritanie“ (IRA). Sie führen die Polizei zu den Häusern von Sklavenhalterfamilien und zwingen sie so zum Handeln. „Wir haben vielen Sklaven geholfen, sich zu befreien“, erinnert sich Ramdhane. Einige Sklavenhalter werden befragt, doch niemand wird verurteilt. Stattdessen müssen viele Aktivisten ins Gefängnis, schließlich auch Brahim Ramdhane. Der Vorwurf: Mitgliedschaft in einer verbotenen Organisation, Aufruf zu Gewalt, Störung der ­öffentlichen Ordnung und Volksverhetzung.

In der Zwischenzeit spaltet sich die Bewegung über der Frage, wie es weitergehen soll: Es gibt weniger Sklav:innen, aber die früheren Leibeigenen leiden weiter unter ­Diskriminierung, Armut und fehlender Bildung. Brahim geht fortan seinen eigenen Weg und greift gegen die ­Diskriminierung ehemaliger Sklav:innen auf das Mittel zurück, das ihn über die Jahre stark gemacht hat: Bildung. Durch sie lernte er, unabhängig zu sein und seine Geschicke zu lenken.

Mit kostenlosem Koranunterricht, Druck auf die Behörden und Schulplätzen an Privatschulen geht Ramdhane mit seiner Sahel Stiftung gegen die Ausgrenzung der ­Haratin vor. „Generell sind Privatschulen für weiße Mauretanier“, sagt er, doch damit sich etwas ändert, müssten ­Haratin dieselbe Bildung erhalten. An Privatschulen lernen Kinder in kleineren Klassen, und die Lehrer werden besser bezahlt. Seit 2017 schickt Ramdhane daher jährlich mehr als 1000 Kinder in ganz Mauretanien in Privatschulen. Dafür handelt er mit Schulleitern kostenlose Plätze aus oder bezahlt das Schulgeld mit Spendengeldern, die er vor allem von privaten Fördernden und ausländischen NGOs erhält. 

Bildung ist die beste Chance gegen Diskriminierung, davon ist Ramdhane überzeugt: „Wer nicht lernt, wird niemals frei sein!“

Artikel aus der Ausgabe:

Housing First: Jens hat endlich ein Zuhause

Wohnungen für Obdachlose mit „Housing First“ – endlich auch in Hamburg! Passend dazu im Magazin: Wie Grundrechte das Wohnen schützen. Im Schwerpunkt: Wieso Demokratien weltweit unter Druck stehen, warum Hamburgs Stadteilbeiräte diverser werden sollen und ob man Miteinander reden in Workshops lernen kann. Außerdem: Wieso die Polizei härter gegen Obdachlose in der Innenstadt vorgeht.

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