Der Andrang beim Winternotprogramm in der Spaldingstraße war groß. Mehr als 100 Menschen standen Schlange, um ein Bett zu bekommen. Während drinnen Polizei und Security die Menschen durchsuchten, kam es draußen zu Auseinandersetzungen.
Schätzungsweise 120 Menschen drängen sich am Donnerstagabend vorm Winternotprogramm in der Spaldingstraße 1. Es ist nasskalt. Alle wollen ein Bett zum Übernachten. Die Stimmung in der langen Warteschlange ist aufgeheizt: Die Menschen drängeln, beschimpfen sich und greifen einander an. Schon Stunden stehen die Meisten vorm Eingang, das stresst. Besonders direkt vor der Tür kommt es immer wieder zu Handgreiflichkeiten.
Während sich drinnen Polizei und Sicherheitsdienst für den Ansturm bereit machen, sind die Wartenden draußen sich selbst überlassen. Nirgendwo Ansprechpartner. Niemand verteilt ein wärmendes Getränk. Oder redet den Menschen gut zu. Stattdessen: Immer wieder laute Rufe, die nach Streit klingen. Rumänische, polnische, englische und bulgarische Sprachfetzen. Schätzungsweise 90 Prozent der Wartenden sind Migranten. Unter ihnen nur eine Handvoll Frauen, keine allein.
Einige der Wartenden sind angetrunken. Eine Frau sitzt auf dem kalten Asphalt, guckt starr auf den Boden. Später werden wir sie erkennen. Sie hatte schon morgens mit ihrem Freund Krystof vor der Tagesaufenthaltsstätte (TAS) des Diakonie-Zentrums für Wohnungslose angestanden. Schon am Vortag waren die ersten da gewesen. Weil hier die begehrtesten Plätze des Winternotprogramms vergeben werden: Wohncontainer für maximal zwei Personen bei Kirchengemeinden. Doch das Paar ging leer aus.
„Ich stehe schon seit 14 Uhr an“, sagt Plamen, der aus Bulgarien kommt. Er hofft, dass er mit seinen vier Freunden zusammen in einem Zimmer unterkommt. Sie hätten keine andere Möglichkeit zum Übernachten. „Ich hoffe, dass es ein schönes Winternotprogramm ist“, sagt er. Auch Edgar und Ernest wollen gemeinsam auf ein Zimmer. Die beiden Letten sind seit drei Jahren in Hamburg, haben jetzt keine Arbeit mehr und haben ebenfalls vergeblich morgens bei der Containerplatzvergabe gewartet.
Insgesamt gibt es momentan in der Spaldingstraße 160 Plätze. So viele wie beim Start des letztjährigen Winternotprogramms. Später wurde aufgestockt. Dies hat Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) auch für dieses Jahr angekündigt, wenn der Bedarf vorhanden ist. Wie immens der Bedarf bereits am ersten Tag ist, zeigt die immer länger werdenden Warteschlange vor dem Eingang. Aber der Sozialsenator sagt auch: Das Winternotprogramm ist kein Zuwanderungsprogramm.
Um 17 Uhr öffnet sich endlich die Glastür. Aber nur für wenige Sekunden. Mehr als fünf Personen lassen die Sicherheitskräfte nicht hinein. Was dann kommt, erinnert an Knast: Erst müssen die Wartenden ihre Taschen abgeben. Alles wird gründlich gefilzt. Dann sind die Menschen selbst dran und müssen sich abtasten und auf Waffen und Drogen durchsuchen lassen. Der Sicherheitscheck hat einen ernsten Hintergrund: Vergangenes Jahr kam es zu einer Messerstecherei unter Bewohnern.
Doch die Prozedur dauert lang. Im Schnitt öffnet sich die Tür nur alle zehn Minuten. Bei rund 120 Menschen dürfte der Letzte nach rund vier Stunden nach Öffnung endlich ins Warme gelangen.
„Es ist besser als die Straße“, sagt Konstantin, auch Rumäne und seit zweieinhalb Jahren in Hamburg. Konstantin hat auch schon im vergangenen Jahr hier geschlafen. Über das Essen und die Sauberkeit hat er nur Gutes zu berichten. Und beschämt die Hinz&Kunzt-Reporterin mit seiner nächsten Frage: Ob es hier beim Stehen und Aufzeichnen nicht viel zu kalt sei?
Dossier: Wohnungsnotstadt Hamburg
Text: Simone Deckner
Fotos: Mauricio Bustamante
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