Zufälliges Wiedersehen mit einem alten Bekannten: Der Ex-Hinz&Künztler Uwe Wichmann engagiert sich beim Selbstversorgerprojekt Minitopia.
Da, guck, aus dem Baum wird ein Künstler einen Drachen schnitzen für unseren Kinderbereich. Da muss dringend die Rinde ab, sonst vergammelt das Holz.“ Uwe Wichmann läuft schnellen Schrittes voraus, zeigt mal nach links und mal nach rechts auf Baumaterial, über Gemüsebeete und Blumenkübel. „Und guck mal hier, das war eine Litfaßsäule, die haben wir zerlegt. Da wollen wir Beete draus machen und alte Getreidesorten reinpflanzen“, sprudelt es aus dem 62-Jährigen heraus. „Wusstest du, dass Getreide eigentlich mehrjährig ist, nicht nur einjährig?“
Keine Frage: Uwe Wichmann ist in seinem Element. Eigentlich ist er ein alter Bekannter, aber dass er sich so fürs Gärtnern und für Gartengestaltung begeistern kann, ist neu für uns. Nur zufällig haben wir den Ex-Hinz&Künztler bei den Recherchen zum Selbstversorgerprojekt Minitopia in Wilhelmsburg wiedergetroffen. Seit einem Jahr versuchen Engagierte dort, ein 1000 Quadratmeter großes ehemaliges Werkstattgelände zur Gemeinschafts-Stadtfarm umzugestalten. Getestet wird alles, was umweltschonend ist und unabhängig von gängigen Waren- und Energiekreisläufen macht – vom Wildkrautbeet über Windräder bis hin zur Wurmbox.
Uwe Wichmann kam 1994 zu uns. Damals war er drogenabhängig und alkoholsüchtig – und hat „viel Scheiß gebaut“, wie er zugibt. Fast zehn Jahre lang verkaufte er das Hamburger Straßenmagazin. Während dieser Zeit fand er wieder eine Wohnung, er ging ins Polamidon-Programm, meisterte einen Alkoholentzug und hat seither nie wieder einen Schluck angerührt. Und ihm gelang das, wovon Hinz&Kunzt bei jedem Verkäufer träumt: Er brauchte uns nicht mehr und machte sich sogar selbstständig mit seiner Film-Service- Firma „Blocker Kollektiv“. Das war 2003. Und es lief gut! Sogar für den Film Soul Kitchen von Starregisseur Fatih Akin war sein Team im Einsatz. 2010 berichteten wir über Uwe (H&K Nr. 203 und 207), danach verloren wir uns aus den Augen. Nun steht er vor uns, in Sneakern, gestreiftem Hemd, Outdoor-Hosen und Strohhut. Wie eh und je trägt er einen Rauschebart, er hat sich gar nicht groß verändert. Was machst du hier? Wie geht es dir?
Man kann hier echt viel machen und man lernt so viel!– Uwe Wichmann
„Ich hatte einen Burn-out“, erzählt Uwe und atmet tief durch. In der Filmbranche lief es nicht gut. Die Aufträge für sein Blocker-Kollektiv blieben aus, aber Vorauszahlungen standen an – von Krankenkassenbeiträgen bis zur Umsatzsteuer. Das zerrte an den Nerven. Hinzu kam, dass Uwe sich nicht einfach als Arbeitgeber verstand. Er fühlte sich verantwortlich für seine Festangestellten und Minijobber, von denen manche – so wie Uwe früher selbst – auf die schiefe Bahn geraten waren oder die Pech im Leben gehabt hatten. Auch nach Feierabend wollte er für seine Leute da sein. Doch die Verantwortung wurde zu viel. Irgendwann konnte Uwe nicht mehr. „Ich hab das zu lange laufen lassen“, sagt er im Rückblick. Die Insolvenz war unausweichlich. Zum Glück konnte er Mitte 2015 seine Firma einem Freund übergeben. Der übernahm auch die Mitarbeiter. „Das war ja mein Hauptmagenschmerz“, so Uwe.
Seitdem geht es bei Uwe gesundheitlich langsam wieder bergauf. „Ich hab oft eine Freundin in Wilhelmsburg besucht“, erzählt er. Dort streifte der gelernte Fotograf und Requisiteur zur Entspannung mit der Kamera umher. Eines Tages legte er sich auf die Lauer, um einen Eisvogel zu fotografieren. „Das sah wohl komisch aus“, meint Uwe. Zumindest reizte es Stevie Engelbrecht, Gründerin von Minitopia, ihn anzusprechen und ihm von der Idee des Selbstversorgerprojekts zu erzählen. Uwe war „sofort begeistert“.
Dabei bin ich eigentlich gar nicht der große Gärtner– Uwe Wichmann
Bei der Eröffnungsveranstaltung von Minitopia war er folglich dabei. „Das war so toll!“, schwärmt er noch heute. Schüler hatten ein Catering aufgebaut, es gab eine Schnippeldisco mit geretteten Lebensmitteln, überall tummelten sich coole Leute. Uwe schloss sich kurzerhand der „Hochbeetgruppe“ an, die auf dem kontaminierten Gelände des Projekts Gemüse anbauen wollte. „Wir nennen uns die Beetbrüder und -schwestern“, sagt er und lacht. „Dabei bin ich eigentlich gar nicht der große Gärtner“, gesteht Uwe. Vor allem reizte es den Fotografen nämlich, die Entwicklung von Minitopia mit der Kamera zu dokumentieren. Und abzulichten, „was da alles an Tieren rumläuft – vom Käfer bis hin zum Reh“. Diese Vielfalt mitten in der Stadt lässt Uwes Herz höher schlagen. Sogar eine Fotoausstellung konnte er Ende vergangenen Jahres in den Minitopia-Hallen realisieren. „Man kann hier echt viel machen“, schwärmt Uwe, „und man lernt so viel!“ Dann führt er uns weiter übers Gelände – und erzählt nebenbei von seiner Lieblingspflanze, die in den 1970er-Jahren als Ableger zu ihm kam und seither in seinem Zimmer wuchert. „Dass ich die noch hab, nach all dem Auf und Ab in meinem Leben, ist eine wahre Freude.“ In Wahrheit steckt in Uwe nämlich doch ein großer Gärtner.