Likedeelerei

Solidarität statt Rendite

Die sechs Mitglieder der Likedeelerei vor dem frisch gekauften Mietshaus. Foto: Mauricio Bustamante

Die „Likedeelerei“ kauft mithilfe des Geldes vieler Menschen Wohnhäuser – um so für dauerhaft günstige Mieten zu sorgen.

Hinz&Kunzt Randnotizen

Freitags informieren wir per Mail über die Nachrichten der Woche:

„Renditeobjekt“: Mit diesem Lockruf für Anleger:innen preist ein Immobilienmakler vergangenen Herbst eine Immobilie in Wilhelmsburg an. Sie ist Philine Jaffkes Zuhause. Seit 15 Jahren arbeitet die selbstständige Osteopathin im Erdgeschoss des Altbaus im Vogelhüttendeich, seit sechs Jahren wohnt sie in einer der sieben Wohnungen im Haus – und hat dieses in ihr Herz geschlossen: „Ich mag das Krumme und Schiefe, und ich fühle mich hier total wohl“, sagt die 45-Jährige.

Philine Jaffke, eine nachdenkliche, leise Frau mit freundlicher Ausstrahlung, ist so etwas wie die gute Seele des 1890 errichteten Hauses. Als sie eines Morgens im Treppenhaus einen Aushang entdeckt, auf dem der Makler Besichtigungen mit Kaufinteressierten ankündigt, fällt sie aus allen Wolken. Sie sucht die Annonce im Internet – und liest, das „interessante Mehrfamilienhaus mit schöner Fassade“ lasse laut Mietenspiegel „Werte zwischen Euro 8,50 und Euro 14“ zu. Philine Jaffke zahlt derzeit 6,35 Euro für den Qua­dratmeter, kalt. Sie sucht das Gespräch mit ihren Nachbar:innen. Alle seien sich schnell einig gewesen: „Das wird nicht gut ausgehen. Ein Investor will ja, dass sein Kauf sich rechnet.“

Philine Jaffke telefoniert herum – und landet schließlich bei Simon Stülcken, der zufällig nur wenige Schritte entfernt in einem Hausprojekt wohnt. Der 40-Jährige ist einer von sechs Mitgliedern einer Gruppe, die Menschen mit wenig Geld vor hohen Mieten und Verdrängung schützen will: der „Likedeelerei“. Ihr Ansatz: Mithilfe von ­kleinen und großen Krediten vieler Menschen, die ihre Idee unterstützen, kaufen sie Häuser, um sie den Gesetzen des Immobilienmarktes zu ent­ziehen. „Das passt perfekt!“, denkt sich Philine Jaffke. Schon einen Tag später sitzen sie zusammen.

Ein verregneter Mittwochnach­mittag im Januar: Drei Mitglieder der „Likedeelerei“ nehmen sich Zeit fürs Gespräch mit Hinz&Kunzt, während die anderen ein Bewerbungsgespräch mit zwei Geflüchteten führen, die bald Mieter:innen werden könnten. Ihren Namen hat die Gruppe in Anlehnung an die „Likedeeler“ (plattdeutsch für „Gleichteiler“) gewählt: einer Gruppe von Piraten, die im 14. Jahrhundert Nord- und Ostsee unsicher machten und sich der Legende nach dadurch auszeichneten, dass sie ihre Beute gerecht aufteilten und dabei die notleidende Bevölkerung nicht vergaßen.

„Man unterschätzt das Potenzial leicht. Wenn 100 Leute je 1000 Euro geben, sind das schon 100.000 Euro …“– Simon Stülcken

Die Likedeeler des 21. Jahrhunderts sind seit Jahren politisch aktiv. Zum Beispiel bei „Wilhelmsburg solidarisch“, einem Bündnis aus Menschen, die sich gegenseitig bei Problemen mit Behörden oder Vermieter:innen unterstützen. Die ­Erfahrungen, die sie dort gesammelt haben, fasst David Döen, ein 32-Jähriger mit langem Bart, so zusammen: „Man kann bei allem helfen. Aber eine Wohnung zu finden, ist fast un­möglich.“ Eine Idee nimmt langsam Gestalt an, die Saskia Hoppen, 40, so beschreibt: „Wenn wir die Häuser nicht kaufen, kommt irgendwann immer ­irgendein Investor.“

Viele aus der Gruppe haben selbst erlebt, wie der sogenannte freie Markt funktioniert. Simon Stülcken hat sich „Jahre von Zwischenmiete zu Zwischenmiete gehangelt“, weil er als Student nicht als zahlungskräftiger Mieter galt. Saskia Hoppen hat als Sozialarbeiterin Wohnungslose beraten und mitansehen müssen, wie selten die eine Chance bei Vermietenden bekommen. Und David Döen weiß, wie schwer es ist, mit Bildungsschulden ­eine Wohnung zu finden: „Mit einer schlechten Schufa-Auskunft hast du ein Problem.“

Der Zufall beschert der Gruppe vor zwei Jahren das erste Projekt: Die Freundin eines Freundes will ihre Wohnung in Glinde verkaufen. Innerhalb kurzer Zeit sammeln die sechs mehrere 10.000 Euro bei Freund:innen, Bekannten und Familie, die Hälfte des Kaufpreises gewährt die Vorbesitzerin als günstigen Kredit, weil sie die Idee so gut findet. Auch das „Mietshäuser­syndikat“, seit Langem in ähnlicher Mission unterwegs, hilft mit Geld aus (siehe Infokasten). Heute lebt eine Romafamilie in der kleinen Wohnung. „Die haben zweieinhalb Jahre in einem Container in einer Unterkunft leben müssen, weil sie nichts gefunden ­haben“, erzählt David Döen. „Wegen ­ihres Namens.“

Solidarische Direktkredite

Für die Finanzierung der Haussanierung und den Kauf weiterer Wohnhäuser sucht die „Likedeelerei“ weiterhin Menschen, die für die gute Sache Geld zu günstigen Konditionen verleihen. Der Zinssatz liegt je nach Wunsch zwischen 0,1 und 1,5 Prozent, bei Bedarf zahlt die „Likedeelerei“ den Kredit vorzeitig zurück. Eigentümerin des ­Hauses im Vogelhüttendeich ist die „WEG-damit Hausverwaltung GmbH“ aus dem Umfeld des Mietshäusersyndikats. Gesellschafterin dieser GmbH ist der Verein ­„WEG-damit”, bei dem die Likedeeler Mitglieder sind. Zweite Gesellschafterin soll eine Stiftung des Mietshäusersyndikats werden, die gerade gegründet wurde. Dieses Konstrukt soll verhindern, dass die Immobilie jemals zu Gewinnzwecken weiterverkauft werden kann. Vorbild ist das bundesweit erfolgreiche Mietshäuser­syndikat, unter dessen Dach sich Menschen zusammenschließen, um für sich dauerhaft preiswerten Wohnraum zu schaffen – indem sie diesen mithilfe von Direktkre­diten erwerben. Alle sechs Likedeeler haben zudem einen „Vertrag des Scheiterns” unterschrieben, in dem sie erklären, niemals Mieten um des Gewinns willen zu erhöhen und möglichst immer unter dem Mittelwert des Mietenspiegels zu bleiben.
Mehr Infos unter: www.likedeelerei.org und www.syndikat.org

Ihr zweites Projekt, das vierstöckige Mietshaus im Vogelhüttendeich, stellt die „Likedeelerei“ vor Herausforderungen: 950.000 Euro müssen sie hier einsammeln, um den Hauskauf samt Nebenkosten zu stemmen. „Wir waren verwundert, wie schnell das ging“, erzählt Simon Stülcken. Und David Döen ergänzt: „Man unterschätzt das Potenzial leicht. Wenn 100 Leute je 1000 Euro geben, sind das schon 100.000 Euro …“ Neben privaten Geldgebenden muss am Ende allerdings auch eine Bank helfen. Die sichere Zukunft einer alten Dame, die seit Jahrzehnten in dem Altbau wohnt, ist für alle „eine große Motivation“, erzählt Simon Stülcken: „Wir haben uns immer wieder gedacht: Wir müssen es schaffen, dass diese Frau mit über 80 nicht noch mal umziehen muss!“

In diesen Tagen wird der Eigen­tümerwechsel ins Grundbuch ein­getragen. Bevor die künftigen Hausbesitzer:innen im Dezember den Kaufvertrag ­unterschrieben ­haben, sind sie mit Fachleuten ­einer Baufirma durchs Haus gegangen: „Wir haben ja auch eine Verantwortung, dass wir das geliehene Geld nicht in einer Bruchbude versemmeln“, sagt Saskia ­Hoppen. Klar ist: Manche der Fenster sind noch einfach verglast und müssen ausgetauscht werden, das Dach ist undicht. Und würde es bei der Gelegenheit nicht auch Sinn machen, das Haus aufzustocken und so zusätzlichen günstigen Wohnraum zu schaffen? Andererseits: Mehr als 8,50 Euro kalt soll das Wohnen im Haus künftig nicht kosten, sagt David Döen: „Damit wären wir immer noch weit unter dem, was hier in ­Wilhelmsburg normalerweise verlangt wird.“

Ihr Modell soll sich breitmachen: Jedes Jahr ein neues Haus ist der Traum. „Dann sind wir in zehn Jahren vielleicht so gewachsen, dass wir uns die Arbeit als solidarische Hausverwalter:innen bezahlen können“, sagt Simon Stülcken. Bis dahin arbeiten sie ehrenamtlich, und klar ist: Gegen den Willen der Menschen soll nichts laufen. „Wir ­wollen nicht über den Kopf der Mieter:innen ­hinweg entscheiden“, sagt David Döen. Manche haben sie bei ihren Rundgängen durchs Haus bereits kennengelernt, bald ist ein „Meet & Greet“ für alle geplant. Die Bewohner:innen spiegelten mit ihrer Unterschiedlichkeit den Stadtteil, meint Saskia Hoppen. Und Simon Stülcken ergänzt: „Ja, das alte Wilhelmsburg.“

Fast alle Mieter:innen haben der „Likedeelerei“ Geld für den Kauf geliehen oder Kredite in ihrem Umfeld gesammelt, soweit ihnen das möglich war, berichtet Philine Jaffke. Sie freut sich darüber, dass die künftigen Eigentümer:innen die Mieten solidarisch festlegen wollen – also so, dass niemand in Not gerät, weil sie oder er sich das Wohnen nicht mehr leisten kann: „Ich habe das Gefühl, das ist ein zukunftsweisendes Modell.“

Artikel aus der Ausgabe:

Wenn Armut krank macht

Wie Armut psychisch krank macht, wie kranke Obdachlose in Hamburg zu wenig Hilfe bekommen und wie eine Community Health Nurse den Bewohner:innen auf der Veddel hilft – mit Zeit. Außerdem: KI-Kunstwerke generiert aus Schicksalen von Obdachlosen und beindruckende Bilder aus Georgien.

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Autor:in
Ulrich Jonas
Ulrich Jonas
Ulrich Jonas schreibt seit vielen Jahren für Hinz&Kunzt - seit 2022 als angestellter Redakteur.

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