Die Haspa an der Reeperbahn regelt für alle die Geschäfte – und manchmal auch mehr
(aus Hinz&Kunzt 116/Oktober 2002)
In kaum einer Straße wird so viel Geld umgesetzt wie auf der Reeperbahn. Die Banken haben dennoch die Flucht ergriffen. Nur noch eine Filiale regelt hier Finanzgeschäfte persönlich: die Hamburger Sparkasse.
Reichtum ist relativ. „Soll ich Ihnen mal mein Zahngold zeigen?“, fragt die alte Frau den Filialleiter nicht zum ersten Mal. Carsten Maywald, ganz Diener seiner Kundin, nickt ergeben. Gemeinsam gehen sie zu den Schließfächern, und die Witwe zeigt stolz das Schächtelchen mit ihrem Vermögen: „Mein Mann hat gut für mich gesorgt!“, sagt sie wie jedes Mal.
In die HASPA-Filiale an der Reeperbahn kommen alle: die Immobilienbesitzer wie die Bordellbetreiber, die Einzelhändler wie die alten Mütterchen, die Arbeitslosen wie die Sozialhilfeempfänger, in Spitzenzeiten bis zu 500 Menschen am Tag. „Eine sehr vielschichtige Kundschaft“, sagt Maywald, seit 25 Jahren in der Filiale und seit drei Jahren deren Leiter. Seinen Beruf hat der 48-Jährige in einer Zweigstelle in Blankenese gelernt. Dorthin zurück würde er nie gehen: „Hier ist es sicher nicht leichter – aber ich fühle mich pudelwohl. Ich mag es, wenn das Leben pulsiert!“
Nachdem die Commerzbank kürzlich ihre Zweigstelle geschlossen hat, betreibt die Haspa die einzige Filiale an der Reeperbahn. Andere Geldinstitute wie die Dresdner Bank, die Deutsche Bank oder die BfG (heute: SEB) haben schon vor Jahren das Weite gesucht.
Banken-Kritiker sehen darin eine Entwicklung nach US-amerikanischem Vorbild: Mit ihren immer genaueren Controlling-Systemen können die Geldinstitute mühelos feststellen, wo sie wie viel mit ihren Kunden verdienen. Ergebnis: der Rückzug der Banken aus den Vierteln, in denen viele Menschen mit wenig Geld leben und die deshalb nicht lukrativ erscheinen.
Dass die Armut auf St. Pauli – 13,3 Prozent Sozialhilfeempfänger und etwa noch mal so viele Arbeitslose – der Grund sein könnte für die Abwanderung der Geldinstitute, das will Maywald „so nicht stehen lassen“: Kleinere Zweigstellen würden „immer mal“ geschlossen. „Und die Großbanken haben sich nicht nur hier zurückgezogen, sondern zum Beispiel auch an der Hoheluftchaussee.“ Zudem, meint Maywald, auch Menschen mit geringem Einkommen könnten für Banken interessante Kunden sein, wenn sie sich „vertragskonform“ verhielten: „Das kann sich ja entwickeln.“
Der Morgen des Filialleiters ist ruhig verlaufen. Ein Angestellter fragte nach einem 10.000-Euro-Kredit, er will sich ein neues Auto kaufen. Ein Selbstständiger suchte Rat, wie er den Bau eines Einfamilienhauses finanzieren könnte, er wird wiederkommen mit den nötigen Unterlagen. Ein im öffentlichen Dienst Beschäftigter hat sein Aktiendepot aufgefrischt, „der kauft jetzt zu niedrigen Preisen nach“, weiß der Experte.
Nicht immer geht es so friedlich zu in der Filiale gegenüber dem Spielbudenplatz. Wenn die Ämter am Monatsende Geld überweisen an die Armen, „gibt’s schon mal Aufregung“, berichtet Maywald. Dann müssen die Mitarbeiter im Ansturm der Ungeduldigen, die sehnlichst die Überlebenshilfe erwarten, auch mal Schimpfkanonaden hören wie: „Ihr sitzt doch auf dem Geld! Zahlt das endlich aus!“
Maywalds Frau für alle Fälle heißt Bärbel Schultze. Die 56-jährige Kundenberaterin ist auf St. Pauli aufgewachsen und auch schon 24 Jahre in der Filiale tätig, sie kennt das Quartier und seine Schwierigkeiten. „Für den Stadtteil wird nicht genug getan“, meint die resolute Bankangestellte, weshalb „viele Menschen mit wenig Einkommen“ zu ihr kommen, die „Beratung und Betreuung brauchen“. Oft, erzählt sie, „wissen die Leute nicht, wo sie anpacken sollen, um aus der Geldmisere rauszukommen“.
Ein älterer Herr mit viel Gold an den Handgelenken sucht das Gespräch. „2000 Euro kostet der Spaß!“, ruft er Bärbel Schultze zu. Der offenbar nicht schlecht gestellte Rentner ist schockiert angesichts der Reparaturkosten für seinen Mercedes. „Das kriegen wir schon hin!“, beruhigt ihn die Bankangestellte. „Kommen Sie morgen noch mal!“
Am Vormittag hat sie bereits einem Arbeitslosen aus der Patsche geholfen. Der ehemalige Verlagsmitarbeiter hatte mit seiner Kreditkarte immer weiter Geld abgehoben, obwohl sein Konto längst in den Miesen war – wohl auch aus Frust angesichts von 60 erfolglosen Bewerbungen um einen neuen Job. „Das ist einer, der immer wieder auf die Beine kommt“, sagt Bärbel Schultze – und hat die Schulden in ein ratenweise abzuzahlendes Darlehen umgewandelt.
Die zahlreichen Gewerbetreibenden vom Kiez – rund 1000 der 7500 Konten sind Geschäftskonten – sind meist einfach zu versorgen, so Carsten Maywald. Viele bringen ihre Einnahmen täglich und holen sich Wechselgeld, „da bauen sich Kontakte viel besser auf.“ Kurz wird die unsichtbare Mauer sichtbar, die sich auch durch die menschlichste Bankfiliale zieht: Die „sehr schöne Beratungszone“ im ersten Stock, jener Ort, an dem „diskrete Atmosphäre“ herrscht, lernt ein schlichter Guthabenkonto-Besitzer „höchstens zur Eröffnung“ kennen.
Schwierig gestalten sich die Darlehensgespräche auf St. Pauli. Oft muss der Filialleiter Nein sagen angesichts von „Schnapsideen“ und unsicheren Einkommensverhältnissen. Das fällt ihm nicht immer leicht: „Es gibt immer Fälle, bei denen du denkst: Dem würd ich’s gönnen! Aber die Vorschriften?
Wer nur von Rente, Stütze oder Mini-Jobs lebt, kann auf einen Kredit kaum hoffen. Im besten Fall schickt ihn Maywald ins „Start-up-Center“ der Bank, wenn die Geschäftsidee pfiffig erscheint. Es bleibt den Bankmitarbeitern die Hilfe zum Überleben, und die kann ebenso bedeutsam wie zeitaufwändig sein: Wenn etwa der alte Mann mit der kleinen Rente auch beim dritten Mal nicht begreift, dass ihn eine Sammelüberweisung viel billiger käme als acht einzelne Transaktionen, dann ist Geduld gefragt. Zumal der Rentner am Ende entscheidet: „Nein, ich will das so wie bisher!“ „Ich versuche allen Kunden gerecht zu werden“, sagt Maywald, und einer wie er meint das auch so.
Vor einigen Wochen allerdings wurde seine Toleranzgrenze doch überschritten: Ein offenbar geistig Verwirrter überfiel mit einem Gaspistolen-Imitat die Bank, die direkt im Blickfeld der Davidwache liegt. Da übernahm der Chef persönlich die Verfolgung – und ermöglichte den Polizisten die schnelle Festnahme.